Am Mittwoch sind die Impfungen für Fünf- bis Elfjährige gestartet. Die Ständige Impfkommission (Stiko) empfiehlt, vorerkrankte Kinder im Alter von fünf und elf Jahren impfen zu lassen. Bei allen anderen ist dies nach einer ärztlichen Aufklärung allerdings auch möglich. Darüber sprach Simon Westphal mit dem Direktor der Kinderklinik der Uniklinik Köln, Professor Jörg Dötsch.
Viele Eltern sind durch die Empfehlung der Ständigen Impfkommission verunsichert? Was soll ich denn nun machen, wenn ich ein Kind zwischen fünf und elf Jahren habe?
Es gibt vier Situationen, die man da bedenken muss. Die erste: Das Kind hat eine von der Stiko beschriebene chronische Erkrankung. Dann würde ich auf jeden Fall empfehlen, impfen zu lassen. Die zweite Situation: Es lebt ein Angehöriger im Haushalt, der eine schwere chronische Erkrankung hat, aber selbst nicht geimpft werden kann. Dann würde ich das Kind unbedingt auch impfen. Die dritte Situation: Die Eltern sind überzeugt davon, ihr Kind impfen lassen zu wollen. Sie wissen, dass die Nebenwirkungen sehr selten sind, sind sich aber auch dessen bewusst, dass das Risiko nicht exakt zu benennen ist. Dann würde ich auch eine Impfung empfehlen.
Warum?
Die Impfung ist über die Zulassung gesichert. Deshalb ist man auch rechtlich abgesichert und im schlimmsten Fall auch finanziell, wenn doch etwas passieren sollte.
Und die vierte Situation?
Die Eltern sind sich unsicher über die Impfung des Kindes. Sie haben noch Sorge vor den Nebenwirkungen der Impfung. Dann würde ich empfehlen, abzuwarten, bis der Stiko genügend Daten von Millionen geimpften Kindern vorliegen.
Wäre eine ganz klare Empfehlung der Stiko nicht aber trotzdem sinnvoller gewesen?
Im Prinzip macht die Stiko das ja auch. Für die Kinder, für die noch keine Daten vorliegen, empfiehlt sie die Impfung nicht. Sie sagt aber, es ist trotzdem möglich. Das macht sie, weil sie ein wissenschaftliches Fachorgan ist, das nur auf wissenschaftlicher Basis handelt. Mit dieser Öffnung möchte sie der Politik ermöglichen, zu sagen: Vielleicht gibt es doch einen großen Teil, den man impfen lassen kann, weil es die Kinder trotzdem schützt. Man muss dazu immer sagen: Es handelt sich um ein Medikament, dass die europäischen und deutschen Behörden zugelassen haben.
Das könnte Sie auch interessieren:
Für die Eltern geht es jetzt um die Abwägung zwischen Nutzen und Risiko. Wie groß ist denn überhaupt der Nutzen einer Impfung für Kinder zwischen fünf und elf?
Glücklicherweise ist es so, dass in dieser Altersgruppe nach den vorliegenden Daten nur sieben Kinder mit Covid gestorben sind. Alle hatten schwere Vorerkrankung. Das Risiko für ein gesundes Kind in der Altersgruppe, in Deutschland an Corona zu sterben, liegt bis jetzt bei null. Trotzdem können gesunde Kinder krank werden, sie können auch schwerer krank werden. Wenn man das den Kindern ersparen möchte und von der Impfung überzeugt ist, kann man sein Kind auf jeden Fall impfen lassen.
Geht es beim Nutzen der Impfung nur um den individuellen Schutz des Kindes, oder gibt es auch einen Mehrwert für die Gesellschaft, wenn möglichst viele Kinder geimpft sind?
Die Kinder sind uns anvertraut. Wir haben den Auftrag, die Kinder davor zu schützen, was ihnen widerfahren kann. Das heißt: Die 15 Millionen Erwachsenen unter uns, die sich noch nicht haben impfen lassen, die müssen das jetzt schleunigst tun – auch um die Kinder zu schützen. Die Kinder haben nicht die Aufgabe, die Gesellschaft zu schützen.
Aber erleichtert eine hohe Impfquote bei Kindern nicht vielleicht die Entscheidung, wenn es wieder zur Frage kommt: Schließen wir die Schulen oder nicht?
Die entscheidenden Gremien haben sich dagegen ausgesprochen, die Impfsituation bei Kindern zur Maßgabe für das Offenhalten einer Schule oder der sozialen Teilhabe zu sehen. Anders als vor einem Jahr kann sich jeder Mensch zu großen Teil schützen, vor allem wenn er sich boostern lässt. Und wir wissen heute sicher, dass die Verläufe bei den Kindern nicht so schwer sind und, – das ist vielleicht das allerwichtigste – dass der Entzug der sozialen Teilhabe zu schweren seelischen und körperlichen Erkrankungen bei Kindern geführt hat. Deswegen ist die Schulschließung ganz unabhängig vom Impfstatus der Kinder zum aktuellen Zeitpunkt nicht akzeptabel.
Welche Nebenwirkungen der Impfung sind in der Altersgruppe bekannt?
Fünf Millionen Kinder sind in den USA einmal geimpft. Da wissen wir nach vorläufigen Daten, dass bei extrem wenigen eine Herzmuskelentzündung aufgetreten ist. Herzmuskelmuskelentzündungen treten allerdings häufiger nach der zweiten Impfung auf, deswegen müssen wir das noch mal abwarten.
Gibt es an Covid erkrankte Kinder auf der Intensivstation?
Es ist sehr selten, dass Kinder mit Covid im Moment noch auf der Intensivstation liegen. In allen drei Kölner Kinderkliniken haben wir auf allen Stationen zusammen in der Regel deutlich unter zehn Kindern. Trotz sehr hoher Inzidenzen, sind das sehr geringe Zahlen.
Wirkt die Omikron-Variante bei Kindern anders als bei Erwachsenen?
Aus den südafrikanischen Daten wissen wir mittlerweile, dass die Omikron-Variante die Kinder nicht wesentlich schwerer krank macht als die anderen zuvor in dem Land herrschenden Varianten. Dies ist wichtig, weil nach aktuellem Stand die Eltern nicht fürchten müssen, dass ihr Kind schwerer erkrankt als dies mit der Delta-Variante der Fall wäre. Gleichzeitig ist Omikron auch bei Kindern erheblich ansteckender, so dass die Ausbreitung höchstwahrscheinlich sehr viel schneller vorangeht. Für das gesamte Gesundheitssystem könnte das eine riesige Belastung sein. Da wir nur wenige Kinder in den Kinderkliniken haben, gehen wir davon aus und hoffen gleichzeitig, dass es aber nicht zu einer Überlastung der Kinder- und Jugendkliniken kommt
Was ist über Long Covid bei Kindern bekannt?
Es gibt Long Covid vor allem bei Jugendlichen. Es ist höchstwahrscheinlich erheblich seltener als wir früher gedacht haben.
Was ist der größte Unterschied zwischen einem Kinderkörper und einem Erwachsenenkörper in Bezug auf die Impfung?
Das Immunsystem des Kindes entwickelt sich bis etwa zum zwölften Lebensjahr. Die 12- bis 17-Jährigen haben in vielen Aspekten schon ein dem Erwachsenen ähnliches Immunsystem. Das haben die jüngeren noch nicht.
Es gibt Eltern, die am liebsten auch schon ihre unter Fünfjährigen Kinder impfen lassen würden. Macht das Sinn?
Das würde ich auf keinen Fall empfehlen, das ist ein sogenannter Off-Label-Use. Wir wissen ja gar nicht, wie die Dosis bei den unter Fünfjährigen sein muss. Wir haben jetzt ja auch lernen müssen, dass bei den unter Zwölfjährigen nur ein Drittel der Dosis der über Zwölfjährigen nötig ist.
Wie lange dauert es noch, bis die Stiko sagt: Lasst uns alle Kinder impfen?
Das ist nicht ganz sicher einzuschätzen. Aus Kreisen der Stiko ist immer wieder der Januar zu hören.
Glauben Sie, das Thema Kinderimpfen hat auch so viel Explosionsgefahr wie das Thema impfen generell?
Ich denke nicht. Wir sollten Eltern nicht das Gefühl geben, mit ihrer Entscheidung für oder gegen die Impfung etwas Schlimmes zu tun. Wir sollten verhindern, dass panikmachende Äußerungen den Eltern gegenüber dazu führen, dass sie ängstlich werden. Ganz wichtig ist an dieser Stelle das Arzt-Patienten-Verhältnis. Wir haben die Pflicht, ruhig und sachlich aufzuklären, unterstützend auf die Eltern zu wirken, sie in ihren Ängsten und Sorgen abzuholen und zu verstehen und dann mit ihnen ganz in Ruhe darüber zu reden. Es verbietet sich, über Druck und Ängste zu arbeiten.
Einschränkungen für ungeimpfte Kinder würden so einen Druck auslösen. Glauben Sie, dass so etwas für die unter Zwölfjährigen kommen wird?
Das wäre falsch. Da würden wir uns von Seiten aller, die sich mit der Kinder- und Jugendgesundheit beschäftigen, ganz klar dagegen aussprechen.