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Flüchtlingskrise in KölnTurnhallen sollen für Geflüchtete tabu bleiben

Lesezeit 4 Minuten
Auf dem Areal des früheren Lager Lind an der Luftwaffenkaserne plant das Land NRW ebenfalls eine Erstaufnahmeeinrichtung.

Auf dem Areal des früheren Lager Lind an der Luftwaffenkaserne plant das Land NRW ebenfalls eine Erstaufnahmeeinrichtung.

Die Flüchtlingswelle rollt: Die Stadtverwaltung sondiert Freiflächen, auf denen Container-Aufnahmestellen geschaffen werden können. Parteien und Initiativen erwarten bessere Konzepte.

Er findet deutliche Worte, Kölns Sozialdezernent Harald Rau. Im Interview mit der Rundschau hat er die Stadtgesellschaft auf eine neue Flüchtlingswelle eingestimmt. Großflächige Aufnahmestellen, betrieben mit Containern, sollen geschaffen werden. Auf die Frage der Rundschau: „Ist damit die Flüchtlingskrise da“, antwortet Rau knapp aber klar: „Ja.“ Und die Bevölkerung werde das bald zu spüren bekommen. Das Land plane bereits zwei neue Erstaufnahmeeinrichtungen mit je 500 Plätzen in der ehemaligen Oberfinanzdirektion an der Riehler Straße und im ehemaligen Lager Lind am Linder Mauspfad.

Flüchtlingsinitiativen äußern Kritik

Es brauche wieder die Unterstützung der Initiativen, die Solidarität aus der Bevölkerung, so Rau. Aus dem Kölner Flüchtlingsrat wird dazu Bereitschaft signalisiert. Aber aus dem Zusammenschluss der Flüchtlingsinitiativen kommt auch deutliche Kritik.

In die ehemalige Oberfinanzdirektion an der Riehler Straße sollen bis zu 500 Geflüchtete einziehen.

In die ehemalige Oberfinanzdirektion an der Riehler Straße sollen bis zu 500 Geflüchtete einziehen.

„Dass die Zahlen steigen, das ist nicht neu“, sagt Claus-Ulrich Prölß, Sprecher des Flüchtlingsrates. Und verknüpft das mit der Kritik: „Wir vermissen schon lange eine parallele Strategie, wie die Menschen untergebracht werden können.“ Den Vorwurf richtet er nicht alleine gegen Rau, sondern sogleich gegen den ganzen Stadtvorstand. „Wir haben schon in der Krise 2015/16 gesehen, dass die Dezernate nicht zusammengearbeitet haben“, so Prölß. Da habe der eine Dezernent an Flächen festgehalten, die der andere für Unterkünfte brauchte.

Größere Herausforderungen als 2015/2016

Rau hatte der Rundschau gesagt, die vom Rat beschlossene Reserve von 1500 Unterbringungsplätzen sei aufgebraucht. Prölß will auch da den Eindruck nicht wirken lassen, dort sei ein großes Polster über Nacht verloren gegangen. „Diese Reserve war auch schon schnell aufgebraucht, als der Ukraine-Krieg begann.“ Kurzum: Es hat nach Prölß' Ansicht Gründe genug gegeben, sich auf größere Zuströme rechtzeitig vorzubereiten.

Grafik zu Flüchtlingsunterbringungen in Köln

Grafik zu Erstaufnahmeeinrichtungen in Köln

Im eigenen Hause rechtzeitig solche Entwicklungen vorbereiten und bei Landes- und Bundesregierung Druck aufbauen, ist der Rat des Flüchtlingsexperten. „Es braucht Geld und Personal“, sagt Prölß. An Personal fehle es in den zuständigen Fachabteilungen der Verwaltung. Düsseldorf und Berlin sieht er in der Pflicht, dafür die finanzielle Grundlage zu schaffen.

Kölner Bürger sollen auf Flüchtlingswelle vorbereitet sein

Rau wandte sich über die Rundschau an die Kölner Bürgerschaft, um sie auf die kommende Situation vorzubereiten — auch, damit die Stimmung nicht kippt. Prölß warnt: „Man kann das Kippen auch herbeireden. Wir sollten die Lage jetzt eher für einen Aufbruch zu neuen Wegen nutzen.“ Diese dürfen für ihn aber auf keinen Fall in die Turnhallen der Stadt führen. Die wieder mit Flüchtlingen zu belegen, hat Rau ausgeschlossen, vorerst jedenfalls. Prölß kann von diesem Schritt nur mit aller Deutlichkeit abraten: „Dann wird der Konsens brechen.“

Im Stadtrat sorgte der Bericht für Betroffenheit. „Die aktuelle Zuwanderungsdynamik bereitet uns große Sorgen, da wir spüren, wie sehr diese die Menschen in den Veedeln, die sozialen Träger sowie die betroffenen Verwaltungseinheiten herausfordert“, sagt SPD-Fraktionschef Christian Joisten. Auch Katja Hoyer (FDP) äußert sich besorgt: „Ich gehe davon aus, dass die bevorstehenden Herausforderungen, die von 2015/2016 übertreffen werden.“ Die Unterbringung sei nicht die alleinige Herausforderung, es fehlten auch Schul- und Kindergartenplätze. Volt-Fraktionschefin Jennifer Glashagen betont: „Trotz des aktuellen Drucks ist es uns wichtig, Migration als Chance und nicht als Problem zu begreifen.“ Die Parteien sind sich einig, das Land müsse den Kommunen mehr Geld zur Verfügung stellen.

Einigkeit herrscht auch darüber, dass auch bei weiter steigenden Zahlen keine Geflüchteten in Turnhallen untergebracht werden sollen. „Die Belegung von Turnhallen ist für uns definitiv nicht akzeptabel. Die Verwaltung muss alles daran setzen, dass Alternativen zur Verfügung stehen“, so CDU-Fraktionschef Bernd Petelkau. Für Joisten wäre eine Unterbringung in Turnhallen „verheerend, denn dann würden Kinder auf unabsehbare Zeit wieder keinen Sportunterricht erhalten und Sportvereine reihenweise in die Knie gehen“.

Linke-Fraktionschefin Güldane Tokyürek meint: „Die Verwaltung hat kein langfristiges Konzept zur Unterbringung von Geflüchteten. Wir brauchen jetzt eine Liste von Grundstücken, auf denen Systembauten und gute Container aufgestellt und langfristig betrieben werden können.“ Neben den derzeit 11205 von der Stadt untergebrachten Geflüchteten lebten weitere 10000 Ukrainer in Privatwohnungen.

Dîlan Yazicioglu von den Grünen, fordert, alle Strukturen und Ressourcen in Köln zu nutzen, „um Menschen, die hier ankommen und Schutz suchen, gut unterzubringen – am besten in abgetrennten Wohneinheiten“.

„Gemeinschaftsunterkünfte nicht zu vermeiden“

Das sei „zwar wünschenswert, entbehrt aber angesichts der momentanen Situation jeder Realität“, kontert Hoyer. Auch Glashagen erwartet, „dass Gemeinschaftsunterkünfte übergangsweise nicht zu vermeiden sind“. Zur Frage, ob der Zustrom begrenzt werden solle, sagt sie: „Deutschland ist auf Zuwanderung angewiesen und sollte sie nicht beschränken.“

Die Stadt müsse „gemeinsam mit Land und Bund dafür sorgen, dass die Menschen, die aus sicheren Herkunftsländern kommen und kein Asylrecht haben, zeitnah zurückgeführt werden“, betont Petelkau. „Forderungen an die Bundesregierung, eine Obergrenze für Geflüchtete einzuführen, werden wir nicht stellen“, erklärt Yazicioglu.