„Es ist eine Katastrophe“Hoher Andrang und Überlastung bei Kölner Tafeln
Köln – Dass sie gut haushalten kann, braucht die alleinerziehende Muter Antonia M. niemandem zu beweisen. Mit 980 Euro hat sie ihren Sohn David (Name geändert), ihre einjährige Tochter und sich selbst versorgt. „Gerade so“ reichte das Geld für Lebensmittel, Säuglingsnahrung, Hygieneartikel, Kleidung und Schulbedarf, und ab und zu war auch ein Kinobesuch für den elfjährigen David drin.
Doch jetzt ist die 35-Jährige wie vor den Kopf gestoßen. Auch wenn sie an allem spart, reicht es nicht für eine einigermaßen gesunde Ernährung. „Es ist eine Katastrophe“, sagt sie. Und meint die rasant steigenden Preise für Lebensmittel.
„Obst und Gemüse können wir uns kaum noch leisten“
„Damit wir nicht mehr ausgeben als wir für die Woche haben, geht David mit zum Einkaufen und schreibt die Preise auf. Von allem, was wir am Nötigsten brauchen und zuerst kaufen“, sagt sie. „Obst und Gemüse können wir uns kaum noch leisten. Und auch die kleine Packung Hack nur noch ganz selten. Die hat bei Aldi 2,50 Euro gekostet. Jetzt kostet sie fünf.“
980 Euro hat Antonia M. nach Abzug der Miete für die Zweizimmerwohnung in Poll, den Kosten für Heizung, Strom, Internet und Handy für sich und ihre Kinder zum Leben. Sie bezieht Hartz IV, arbeiten kann sie derzeit nicht. „Einen Kitaplatz bekomme ich frühestens, wenn meine Tochter zwei Jahre alt ist. Und sie sollte entwicklungsmäßig schon weit genug sein, dass sie dort gut zurechtkommt“, ist der Mutter wichtig.
Leistungsempfänger leiden massiv unter sinkender Kaufkraft
3 Euro haben Menschen, die von Hartz IV leben, im Jahr 2022 mehr zur Verfügung. Von 2016 bis 2020 ist der Satz durchschnittlich um sieben Euro gestiegen. Im Jahr 2021 stieg er um 14 Euro. Die Erhöhung des Hartz IV Satzes um drei Euro von 446 Euro im Jahr 2021 auf 449 Euro in 2022 ist eine Steigerung von knapp 0,7 Prozent.
Die Inflationsrate schwankt von 2016 bis 2020 laut Statistischem Bundesamt zwischen 0,5 und 1,8 Prozent. Im Jahr 2021 stieg sie auf 3,1 Prozent, in den ersten drei Monaten des Jahres 2022 liegt sie bei 5,8 Prozent, im April betrug sie 7,4 Prozent.
Grundlegend neu müssten die Regelsätze ermittelt werden – das fordern Wohlfahrtsverbände sowie der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB). Nur dadurch könne ein wirksamer Schutz vor Armut gewährleistet werden. Zurzeit lägen die Hartz-IV-Leistungen für fast alle Bezieher „unterhalb der Armutsgrenze“, so der DGB.
Doch auch Menschen mit geringem Einkommen oder einer niedrigen Rente spüren den Verlust der Kaufkraft massiv, weiß Karin Fürhaupter von der Kölner Tafel. „Die Nachfrage steigt seit Wochen stark, an allen unseren 40 Ausgabestellen.“ Dort werden gespendete Lebensmittel an bedürftige Menschen weitergegeben. „Immer mehr Stellen sind überlastet, oft können sie keine neuen Kunden mehr aufnehmen.“
30 Jugendeinrichtungen werden versorgt
Grund seien die stark steigenden Lebensmittelpreise und auch, dass viele aus der Ukraine geflüchtete Menschen hilfebedürftig seien. Versorgt werden von der Tafel auch 30 Jugendeinrichtungen in sozialen Brennpunkten, deren Budget oft nicht für Rohkost oder Obst reicht, zahlreiche Hilfsprojekte für Frauen und drogenabhängige Menschen und drei Obdachlosenküchen.
Die Krux: Zeitgleich mit dem massiv steigenden Hilfebedarf geht die Spendenbereitschaft zurück, denn Lebensmittel, die kurz vor dem Verfallsdatum stehen, werden immer häufiger zu ermäßigten Preisen angeboten. „Lidl etwa führt im Mai in seinen Filialen eine ,Rette-mich-Tüte’ ein, in der älteres Obst und Gemüse sowie Brot verbilligt angeboten wird“, so Fürhaupter. „Das werden wir merken denn genau diese Lebensmittel haben wir für die Tafeln bekommen.“
Doch selbst, wenn plötzlich mehr Lebensmitteln gespendet würden, könne man nicht noch mehr Menschen versorgen. Es fehlen Ehrenamtliche, und auch die zentrale Verteilstelle sei an ihrer Kapazitätsgrenze. Schon jetzt machen Fürhaupter die Urlaubsmonate Juni und September heftiges Kopfzerbrechen. „Dann wird es richtig eng mit den Lieferungen.“ Trotzdem haben sich die Helfer noch ein Ziel gesetzt. „In Kalk brauchen wir dringend eine Ausgabestelle.“
Tafeln und „Stromsparcheck“ überlastet
Auch Antonia M. versucht, sich an ihrem Wohnort Poll selbst zu helfen. Sie hat bei der dortigen Tafel-Ausgabestelle angefragt, ob Sie kommen kann. „In einer Woche soll ich wieder anrufen, weil es gerade unheimlich viele Anfragen gibt. Dann wissen die Helfer, ob doch noch ein Platz frei ist.“
Hilfesuchende brauchen auch bei der Energiesparberatung „Stromsparcheck“ einen langen Atem. Im Linksrheinischen betreuen die zwei Beratenden mit jeweils 30 Wochenstunden zur Zeit 30 Familien und Einzelpersonen im ersten oder zweiten Termin. „55 stehen schon jetzt auf der Warteliste“, sagte Fachanleiterin Melania Mamkovska, die in Sachen Energiesparen nach Hause kommt und Spar-Glühbirnen oder abschaltbare Steckerleisten gleich mitbringt.
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Der Sozialausschuss hatte die Verwaltung Mitte Januar beauftragt zu prüfen, „wie eine langfristige Absicherung eines präventiven Angebotes zur Verhinderung von Strom- und Gassperrungen ermöglicht werden kann“. Derzeit werde final darüber beraten, einen Zuschuss zu gewähren, sagt eine Stadtsprecherin. Mehr als fünf Monate nach der Aufforderung des Sozialausschusses könnte dann am 20. Juni der Rat über einen Zuschuss entscheiden.
Hoher Andrang bei Schuldner-Insolvenz-Terminen
Für eine schnelle Erweiterung des Angebots plädiert Peter Krücker, Vorstand der Caritas Köln, die den Stromsparcheck durchführt. Dies sei sowohl sozial- als auch klimapolitisch absolut sinnvoll. „Bei den explodierenden Energiepreisen sind immer mehr Menschen dringend auf eine Beratung angewiesen.“
Gleichbleibend hoch ist der Andrang bei den Schuldner-Insolvenz-Terminen der Verbraucherberatung Köln. „Die Nachfrage wird stark steigen. Preiserhöhungen wirken mit Verzögerung, weil zuerst die Rücklagen aufgebraucht werden“, sagt Uwe Humbert-Kukulady. „Wenn die Menschen dann nicht Hilfe bekommen, geraten sie schnell in eine Abwärtsspirale.“
Davor hat auch Antonia M. Angst. „Im August kommt die Stromabrechnung. Das Geld für die Nachzahlung habe ich einfach nicht.“ Bitter sei das Leben auch für ihren Sohn David, sagt sie. „Er war in der Coronazeit sehr isoliert. Jetzt geht das Leben für seine Freunde wieder los, sie treffen sich und gehen ins Kino oder spielen zusammen Minigolf.“ David kann nicht dabeisein. Seine Mutter weiß nicht, wie sie am Ende des Monats die Lebensmittel bezahlen soll.