Als Kind war es für sie ein traumatisches Erlebnis, die Deutzer Hängebrücke aus nächster Nähe einstürzen zu sehen. Als erwachsene Frau verlor sie ihre Wohnung durch den Archiveinsturz. Dass sie selbst den Halt nicht verloren hat, schreibt Margret Groenewald ihrem Glauben zu.
Einsturz des Kölner StadtarchivsKölnerin erlebte gleich zwei dramatische Einstürze in ihrem Leben
„Da gab es plötzlich einen gewaltigen Krach, alles war voller Staub und Dreck, alles Mögliche wirbelte durch die Luft, auch Pferde, und dazu noch diese furchtbaren Schreie.“ Margret Groenewald macht eine Pause, dann fügt sie hinzu: „Die Schreie hallten lange nach.“ Mit diesen Worten erinnert sich die 91 Jahre alte Kölnerin an jenen 28. Februar 1945. Damals war sie 13 Jahre alt. Sie hatte seit Wochen mit ihren Eltern und weiteren Mitbewohnern aus dem Wohnhaus an der Mathiasstraße in dessen Luftschutzkeller ausgeharrt.
„Plötzlich kam jemand die Treppe herunter und forderte uns auf, vor 14 Uhr am Heumarkt zu sein, weil Köln geräumt werden muss.“ Wenn sie sich beeilten, würden sie zu den ersten Personen gehören, die die Stadt mit Bus oder Lastwagen verlassen, habe laut Groenewald die Person mit der Hakenkreuzarmbinde noch gerufen.
„Mein Vater sagte jedoch, dass wir uns nicht beeilen müssen, weil wir in Köln bleiben.“ Er war der einzige Mann unter den Frauen und zwei Kindern. Als Kriegsversehrter aus dem Ersten Weltkrieg musste er nicht an die Front. „Mein Vater erklärte uns, dass wir ja nicht wissen, wohin wir transportiert werden.“ Seine Sorge sei gewesen, dass der Transport direkt in gegnerische Hände fallen würde. „Kurz darauf schickte mich meine Mutter zum Wasserholen an den Heumarkt.“ Es sei schwierig gewesen, den Motorradanhänger von ihrem Vater mit dem großen Bottich über die vielen Trümmer bis zum Hydranten in der Nähe der Deutzer Brücke zu ziehen. „Während ich Wasser schöpfte, brach dann die Brücke zusammen.“ Sie hält kurz inne und fährt dann fort: „Wahnsinnig vor Angst bin ich nach Hause gerannt und sah, wie mir meine Mutter schon entgegenkam. Und als sich der Staub lichtete, hörten wir von Nachbarn, dass die Brücke zusammengebrochen ist.“
Anzunehmen ist, dass aufgrund der vielen Menschen, Militärfahrzeuge, Fuhrwerke und auch der Busse und Lastwagen, die die Kölner aus der Stadt bringen sollten, die Hindenburgbrücke, wie sie damals hieß, zusammenbrach. Wie viele Menschen an jenem 28. Februar 1945 dadurch ihr Leben verloren, ließ sich aufgrund der Kriegssituation nicht ermitteln. Das 1913 bis 1915 als „Deutzer Hängebrücke“ errichtete und 1935 nach dem ehemaligen Reichspräsidenten Paul von Hindenburg umbenannte Bauwerk war neben der Hohenzollernbrücke am Ende des Zweiten Weltkriegs die einzige noch funktionstüchtige Rheinbrücke; Mülheimer und Rodenkirchener Brücke sowie Südbrücke waren bereits eingestürzt. Heute befindet sich an der Deutzer Brücke noch ein Kettenglied der alten Hängebrücke, das 1977 bei Bauarbeiten gefunden wurde. Auf der dort befindlichen Messingplatte steht auch, dass der Einsturz 1945 während Reparaturarbeiten von Bombenschäden erfolgte.
Zunächst an einen Verkehrsunfall gedacht
Szenenwechsel. Köln am 3. März 2009. „Ich war bei einer Tagung im Maternushaus und fuhr mit dem Fahrrad zurück zu meiner Wohnung an der Severinstraße, als ich an der Hohe Pforte an eine Sperre kam und nicht durchgelassen wurde“, erinnert sich Margret Groenewald. „Ich habe zunächst an einen schweren Verkehrsunfall gedacht und bin dann über Schleichwege bis in die Nähe meiner Wohnung gekommen.“ Da die Vorderseite des Hauses so wie immer stand, habe sie sich erst nichts gedacht. „Ich kam aber nicht durch und habe erfahren, dass das Seniorenheim evakuiert werden musste.“ Bis spät nachts hat die ehemalige Sekretärin aus dem Generalvikariat des Erzbistums Köln daraufhin im Seniorenheim bei der Evakuierung geholfen.
Erst dann habe sie erfahren, dass die Rückseite ihres Wohnhauses mit dem Stadtarchiv eingestürzt war. Mit einem Neffen konnte sie später in das einsturzgefährdete Haus, um aus ihrer Wohnung die nötigsten Habseligkeiten zu holen. „In dieser Situation kamen all meine Erinnerungen an den 28. Februar 1945 schlagartig zurück“, berichtet die Seniorin mit stockender Stimme. Ihre Augen füllen sich mit Tränen, als sie leise hinzufügt: „Vor allem die Ängste.“ Bis heute leide sie zeitweise immer wieder unter diesen Ängsten.
Nach dem Krieg war die 1931 in Kleve geborene und seit 1939 in der Nähe des Kölner Rheinufers lebende Frau mit ihren Eltern und ihrer Schwester in die Severinstraße gezogen. Ihr Vater starb in den 1970er Jahren, ihre Mutter hatte sie viele Jahre später im nahe gelegenen Seniorenheim der Caritas am Georgsplatz in ihrer direkten Nachbarschaft unterbringen können. „Das war schön, so konnte ich sie täglich mehrmals besuchen und bei ihrer Pflege helfen“, sagt die betagte Seniorin.
„Das Severinsviertel war meine Heimat“, fasst sie ihre Zeit in der Südstadt zusammen. Nach dem Verlust ihrer Wohnung war sie monatelang mit anderen Betroffenen im Hotel Mercure einquartiert. „Die haben sich sehr um uns bemüht.“ Über die Genossenschaft konnte sie später eine andere Wohnung beziehen, bevor sie vor einigen Jahren in ein Seniorenheim in der Innenstadt zog.
Neben dem Einsturz des Stadtarchivs kann sie sich auch noch gut an den schiefen Turm von Köln erinnern. „Das war ja direkt bei mir um die Ecke.“ Im September 2004 war sie wieder mit dem Fahrrad auf dem Weg nach Hause, als sie von Weitem den Turm von St. Johann Baptist sah. „Ich bin stehen geblieben und habe einen Passanten gefragt: Sagen Sie mal, spinne ich oder steht der Turm tatsächlich schief?“ Beide hätten sie erst sprachlos dagestanden. Erst später stellte sich heraus, dass sich der Kirchturm aufgrund der unterirdischen Arbeiten am Tunnel der Nord-Süd-Bahn gesenkt hatte.
Immer wieder in der Südstadt
Bis heute kehrt die agile Kölnerin, die leidenschaftlich gern bastelt, sowie Gedichte verfasst und viele Jahre nach dem Krieg im „Kölner Volkstanzkreis“ getanzt und musiziert hat, immer wieder in die Südstadt zurück. In der verzweifelten Situation nach dem Verlust der Wohnung im Zuge des Archiveinsturzes „durfte ich Schwester Ancilla kennenlernen, mit der ich bis heute eng verbunden bin“. Oft besucht die Katholikin die Messe im Kloster der Karmelitinnen an der Straße Vor den Siebenburgen und trifft sich mit Schwester Ancilla und dem ehemaligen Pfarrer i. R. von St. Severin, Bernhard Auel, zum Frühstück. „Der Glaube hat mir nicht nur in meinen schweren Lebensphasen geholfen“, ist Margret Groenewald überzeugt und ergänzt: „Der Glaube hat mich mein ganzes Leben lang getragen.“