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„Eine andere kleine Welt“Dieser Kölner baut große Bauwerke aus Kork nach

Lesezeit 7 Minuten
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Präzisionsarbeit: Dieter Cöllens Korkmodell von St. Gereon ist in der romanischen Kirche zu bewundern.

  1. Er ist einer der letzten seiner Zunft: Dieter Cöllen baut Modell aus Kork – ob Die Basilika St. Gereon oder die Maison Carré in Nimes.
  2. Bernd Imgrund hat sich mit dem gebürtigen Kölner unterhalten.

Köln – Mangels offener Cafés sitzen wir vor St. Gereon auf einem Mäuerchen. Ein motorisierter Laubkehrer fährt uns beinahe über die Füße und taucht uns in eine Wolke von Staub und aufgewirbelten Blättern. Erschwerte Interviewbedingungen, aber Dieter Cöllen lacht – tut er ohnehin gern.

Sie kommen gerade aus Ihrem Atelier. Woran arbeiten Sie zur Zeit?

An der Maison Carré von Nîmes, einem der besterhaltenen römischen Tempel. Den baue ich nach als Leihgabe für ein großes Projekt in Passau. Ein halbes Jahr bin ich schon dran, rund ein Drittel fehlt noch.

So ein Korkmodell braucht offenbar seine Zeit.

Das muss lange dauern! Wenn es zu schnell ginge, wäre ich traurig, dafür tauche ich viel zu tief ein in so ein Thema. Als Modellbauer wechselt man in eine andere, kleine Welt. Und das geht am besten, wenn man die Tür zumacht.

Am Modell der Kölner Gereonskirche haben Sie rund ein Jahr lang gearbeitet. Mal den Stundenlohn ausgerechnet?

Nein, ich bin in der Hinsicht kein Kaufmann, und die Recherche ist sowieso schwer zu berechnen. Wenn ich gut zurechtkomme mit meinem Honorar, ist das für mich in Ordnung.

Herr Cöllen arbeitet in Kölle: Was wissen Sie über Ihren Nachnamen?

Na ja, ganz alte Familie! Mein Papa hat eine Weile Ahnenforschung betrieben und kam bis zu einem „von Cöllen“ aus dem 13. Jahrhundert. Ich bin halt Kölner und stolz drauf. (lacht)

Mal als Beispiel: Wie kam der Auftrag zum Nachbau von St. Gereon zustande?

Durch Sven Schütte, bis 2013 Leiter der Archäologischen Zone in der Altstadt. Der war ein großer Fan von Korkmodellen, und so begannen wir mit dem Ubiermonument, um dann über den Kölner Kapitolstempel bei St. Gereon zu landen.

Was war hier die besondere Herausforderung?

Wie so häufig: nah ans Original zu kommen und kein Phantasiemodell abzuliefern. Wir haben zum Beispiel Statiker zu Rate gezogen, um sicherzustellen, dass die imposante Kuppel von St. Gereon schon im 13. Jahrhundert existierte.

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Sie benutzen echten Kork?

Von portugiesischen Korkeichen, ja. Ich habe da meine privaten Adressen von Bauern, die Spaß daran haben, wenn jemand eben nicht nur Flaschenkorken oder Topfuntersetzer herstellen will. Da studiert man vor Ort genau den Baum, der dann in vielleicht zwei Jahren abgeerntet wird – ein schönes Gefühl!

Was ist das überhaupt: Kork?

Das ist der isolierende Mantel des Baumes, und wenn man den abschält, lässt er sich einen neuen wachsen. In nachhaltiger Forstwirtschaft können Sie eine Korkeiche alle acht Jahre abernten.

Was kostet der Quadratmeter?

Wenn das gutes Material ist: 400 bis 600 Euro. Kork wird heutzutage mit Gold aufgewogen, das ist ein echter Wirtschaftsfaktor.

Könnten 3D-Drucker Ihre einjährige Arbeit an so einem Modell in zehn Minuten erledigen?

Eventuell schon, wobei der Kork sein Eigenleben hat. Aber ich will, dass das Arbeit ist und dass diese Arbeit sichtbar wird. Ich glaube, nur so wird der „Geist“ eines solchen Prozesses spürbar, so wie auch ein Ölbild eindrucksvoller ist als der Druck eines Gemäldes.

Unter allen Handwerkern gibt es Ehrenkodexe. Was gehört sich für einen Korkmodellbauer gar nicht?

Ich erkläre das lieber andersherum: Für mich gehört es sich, auch das zu bauen, was man am Ende gar nicht sieht. Im Dom entdecken Sie noch in den dunkelsten Ecken irgendein Figürchen, das niemandem auffällt. Aber es ist eben da, und so gehe ich auch an meine Arbeit. Ein Gesamtkunstwerk kann eben auf kein Detail verzichten.

Was sind die Katastrophen des Korkmodellbaus?

Im Material herrscht ein organisches Chaos, das ich liebe, das aber auch seine Tücken hat. Ärgerlich sind späte Brüche, die etwa durch Materialfehler auftreten können. An einer einzelnen Säule arbeitet man rund eine Woche, und mit einem Schlag kann alles hinüber sein.

Was könnten Sie während eines guten Essens aus einem Weinkorken basteln?

Ein Japaner hat mir gerade einen Korken geschickt, aus dem er Notre Dame geschnitzt hat – mit einem Skalpell! Sieht klasse aus, habe ich mir ins Atelier gestellt. Andere kokeln den Korken an und markieren damit die Nasen beim Schwarzer Peter.

Wer oder was ist der größte Feind des Korkmodells?

Schlechte Behandlung, Wärme, Kälte, Feuchtigkeit. Kork verzieht sich zwar nicht wie Holz, aber in die kleinsten Faulstellen dringt zum Beispiel gern der Holzwurm.

Sie garantieren für Ihre Modelle einen Bestand von 300 Jahren. Und dann?

Kork wird irgendwann so bröselig wie alter Bauschaum. Den können Sie dann mit dem Finger wegkratzen. Wer alte Modelle kaufen will, sollte höllisch aufpassen, dass er nicht übers Ohr gehauen wird.

Der römische Kapitolstempel Kölns stand auf dem Areal der heutigen Kirche St. Maria im Kapitol. War das ein schönes Gebäude?

Das Kapitol war das höchste Heiligtum der antiken Stadt und hätte genau so in Rom stehen können! Es dominierte die Skyline von Köln und war zum Rhein hin ausgerichtet. Die Barbaren auf der anderen Flussseite sollten schließlich wissen, wo der Hammer hängt.

Wachen Sie mit so einem Job auf und schlafen am Abend damit ein?

Ja, immer, aber ich finde das wunderbar. Jeden Tag entstehen neue Fragen und wird die Neugier in eine andere Richtung geleitet.

Was ist der stumpfsinnigste Teil der Arbeit am Korkmodell?

So empfinde ich nicht, sondern freue mich auf jeden neuen Arbeitsschritt. Am schwierigsten ist der Umgang mit Leuten, die nicht liefern, was sie versprochen haben.

Sie sind gelernter Bauzeichner. Haben Sie als Kind schon mit Legosteinen gespielt?

Klar, die Neugier, Funktionen und Technik zu entschlüsseln, war immer da. Bauen, Räume schaffen und mich kleinmachen, das war mein Traum.

Was meinen Sie mit „sich kleinmachen“?

Sich aus dem großen Ganzen und dessen Zwängen zurückzuziehen ins kleine Verlies, wo man dann sein eigener Herr ist. Wie man es auch beim Schreiben oder Malen tut.

Zur Person

Dieter Cöllen wurde 1953 in Köln geboren und besuchte das Albertus-Magnus-Gymnasium. Er ist ausgebildeter Bauzeichner und arbeitete bei verschiedenen Kölner Architekten, bevor er 1985 ein Atelier für Phelloplastik (Korkmodellbau) und Architekturmodellbau gründete. Phelloplastik war im 18. Jahrhundert en vogue, heutzutage jedoch gilt Cöllen als weltweit letzter Vertreter dieser Zunft.

In Kooperation mit Wissenschaftlern und Archäologen arbeitet er für verschiedene Sammler und Museen. Seine Liebe gilt den Bauwerken der Antike, unter anderem entstanden in seinem Atelier Modelle der Cheops-Pyramide, des antiken Poseidon-Tempels und der mittlerweile von der Terrororganisation IS zerstörten Stadt Palmyra.

In Köln fertigte Cöllen das Ubiermonument und den Kapitolstempel, die beide zur Zeit wegen der Arbeiten an der Archäologischen Zone nicht ausgestellt sind. Zu sehen hingegen: das Modell von St. Gereon, das zentral in der Kirche selbst steht. Zusammengefasst findet man seine Werke in dem Text-Bild-Band „Der Ruinenmeister“, erschienen im Verlag J.S. Klotz.

Dieter Cöllen wohnt in Vogelsang.

www.coellen-cork.de

www.modellpalmyra.wordpress.com

Woher kommt die Begeisterung für die Gebäude der Antike?

Ich mag den Verfall, die Ruine. Früher war ich viel im Orient unterwegs, mit meinem VW-Bus.

T1 oder T2?

(lacht) T2, für den T1 war ich dann doch zu jung. Alte Gebäude erzählen mir mehr Geschichten als moderne! Und ich liebe Architektur, bei der es eben nicht um Rentabilität, sondern um ideelle Werte ging. Als der Islamische Staat das antike Palmyra in die Luft jagte, wusste ich sofort, dass ich das nachbauen muss.

Eine knifflige Frage aller Restauratoren und Modellbauer ist: In welchem Zustand stellt man ein Objekt dar?

Bezüglich Palmyra ging es mir um den Erhaltungszustand vor der IS-Sprengung. Der erwähnte Tempel in Nîmes wiederum wurde aufwendig restauriert, und so habe ich ihn auch nachgestellt. Auch meine Kölner Modelle orientieren sich am Originalzustand.

Aber den Kölnberg oder Chorweiler könnten Sie auch?

Klar, aber solche Zweckbauten interessieren mich nicht. Die bergen kein Geheimnis, das sich zu erzählen lohnt.

Sie sagen selbst von sich, dass Sie der Letzte Ihrer Art seien? Warum gibt es eigentlich keinen Korkmodellbauer-Nachwuchs?

Weil das zu viel Arbeit ist. An so etwas setzen sich nur Idioten, aber für mich ist es der Lebensinhalt, nach dem ich lange gesucht habe. Sagen wir es so: Ich zähle mich gern zu den Idioten.