Das Projekt, das im Lockdown startete, sollte die Bewohner aktivieren, gemeinsam das Lebensumfeld zu gestalten. Jetzt wurde evaluiert.
Soziale Arbeit und kulturelle AngeboteWie die TH Köln „Du bist Bocklemünd – Werkstadt 829“ bewertet
Von unbekannten, maskierten Menschen angesprochen werden und dann gleich über persönliche Wünsche und Bedürfnisse reden? Schwierig. Die Anfangsphase des Praxisprojekts „Du bist Bocklemünd – Werkstadt 829“, das 2020 startete und Ende 2023 abgeschlossen wurde, stand wegen der Corona-Lockdowns und -Vorsichtsmaßnahmen unter einem denkbar ungünstigen Stern. Ohnehin hatten sich die Initiatoren vom Verein Aktion Nachbarschaft ein ehrgeiziges Ziel gesetzt: Soziale Arbeit mit kulturellen und künstlerischen Angeboten verbinden.
Zunächst scheint das nicht neu: Schließlich zaubern Kinder und Jugendliche im Rahmen von Kreativprojekten in Jugendtreffs seit Jahren Graffiti an graue Mauern, es werden Rap-Aufnahmen in eigneen Tonstudios gemacht, und für Erwachsene gibt’s Näh-, Töpfer- und Aquarell-Kurse en masse.
Menschen erst nach Bedarf fragen und dann Angebote stricken
Mit dem Projekt in Mengenich aber, das von den drei Rheinenergie-Stiftungen gefördert wurde, habe man den anspruchsvolleren Ansatz der Gemeinwesenarbeit verfolgt: „Oft denken sich wohlmeinende Mitarbeiter von sozialen Trägern solche Angebote aus, hier sollten die Menschen zunächst nach ihrem Bedarf befragt werden, um daraus Angebote zu entwickeln“, erklärt Rolf Blandow, Mitarbeiter am Institut für Migration und Diversität (Midi) an der TH Köln.
Alles zum Thema Technische Hochschule Köln
- TH Köln Förderpreise für die Semesterbesten am Campus Gummersbach
- Neue Ausstellung in Nümbrecht Gerd van Rijn, ein Fotograf mit Blick für das Einzigartige
- Besuch des neuen Standorts in Poll Kölns Schwarze Bibliothek lädt zu Einweihungsfeier – Finanzielle Lage immer noch fragil
- Höhlenerlebniszentrum So plant Engelskirchen den neuen Tourismus-Hotspot
- Mobilitätskonzept des Kreises Fahrrad auf Strecken bis zehn Kilometer eine Alternative
- Auszeichnung Gummersbacher Studierende haben Navigation für neurodivergente Personen entwickelt
- Autonomes Fahren Gummersbacher forschen an KI-Sensoren für den Motorsport
Wissenschaftlich begleitet und bewertet wurde das Praxisprojekt von Professor Dr. Markus Ottersbach und seinen Mitarbeitern Anne Broden und Blandow. Otterbach zog eine insgesamt positive Bilanz: „Summa summarum: Das Projekt ist gut und unterstützungswürdig, wir befürworten eine Fortsetzung“.
Arbeitslosigkeit liegt hier über dem Schnitt
Einige Schwierigkeiten wurden in der Evaluation aber auch angesprochen. So hatte zwar die Pandemie eine umfassende Information und Befragung der Mengenicher Bevölkerung deutlich erschwert. Aber die stelle ohnedies eine schwierige Klientel dar, wie Broden erläuterte, die für ihre abschließenden Interviews lediglich 15 aussagebereite Bewohner gefunden hatte: „Die Arbeitslosigkeit liegt über dem Durchschnitt, außerdem leben hier viele Menschen mit Migrationserfahrungen. Häufig haben die Bewohner andere Probleme als Kunst und Kultur.“
Bei den Befragungen zu Beginn des Projekts hatten die Bewohner meist angegeben, dass sie sich Verbesserungen bei Themen wie Vermüllung, Alkohol- und Drogenkonsum oder Gewalt wünschen. Auch mehr Vielfalt beim Gastronomie-Angebot und ein günstigeres Image des Stadtteils seien häufig genannt worden. Alles Probleme, die im Rahmen des Projekts nur sehr begrenzt angepackt werden konnten.
Weiterhin habe sich gezeigt, dass es sehr schwer war, Kinder und Jugendliche für die Thematik der „Werkstatt 829“ anzusprechen. Und von den Erwachsenen, die sich aktiv beteiligten, seien die meisten besser situiert gewesen als der Durchschnitt der Bevölkerung – Eigenheim-Besitzer etwa.
Kinder erleben Wow-Momente bei der Gestaltung von Textilien
Diese Einschränkungen vorausgesetzt, konnten Vertreter der beteiligten Vereine Aktion Nachbarschaft, Coach, fair.stärken, Offene Jazz Haus Schule und Modekollektiv, die für die Evaluation ebenfalls befragt wurden, durchaus von Erfolgen ihrer für die „Werkstatt 829“ entwickelten Projekte erzählen. Von Müttern etwa, die sich um eine Belebung der Spielplätze bemüht hatten und den Mut fanden, sich bei den Wohnungsgesellschaften über eine Rattenplage zu beschweren. Von erfolgreichen Pflanzaktionen, Reinigungseinsätzen und Festen mit einem eigenen Senioren-Singkreis. Oder von Kindern, die „Wow“-Effekte bei der Gestaltung von Textilien erlebten.
Andererseits gebe es, was das Engagement der Vereine für die gemeinsame Sache angehe, noch Luft nach oben. So fehle es vor allem an einer erkennbaren, von allen akzeptierten Leitung. Das seien aber „übliche Probleme“ bei der Durchführung solcher Projekte, auch wenn es um die Einbindung bestimmter Gruppen gehe. Speziell die Kinder und Jugendlichen müsse man immer wieder ansprechen, damit sie ihre Ideen und Wünsche kundtun, meint Anne Broden: „Das ist kein Kurzstreckenlauf“.
Weil die Rheinenergie-Stiftungen, die ihre Unterstützung wegen Corona schon von drei auf vier Jahre verlängert hatten, laut Satzung ein Projekt nicht mehrmals hintereinander fördern dürfen, wurden schon anderweitig Anträge auf eine Fortsetzung gestellt. Irgendwann soll möglichst die Stadt die Finanzierung übernehmen. „Jetzt kann es losgehen“ sei eine weit verbreitete Stimmung in den beteiligten Vereinen, berichtete Broden.