Yo, GottNico Ballmann ist Pfarrer in Bickendorf und „Sinnfluencer“
Köln – Angefangen hat es mit einer Wand. Nico Ballmann hatte eigentlich keinen „Bock“ darauf, gegen sie anzureden. Denn nichts anders war Beten damals für ihn. Aber er hatte sich nunmal auf diesen Deal eingelassen. Bete doch einfach mal eine Woche lang jeden Tag, hatte dieser „coole Reli-Lehrer“ ihn herausgefordert.
Da konnte der bekennende U-Boot-Christ (einmal im Jahr zu Weihnachten in der Kirche auftauchen) nur müde lächeln. Der Bekehrungsversuch würde an ihm abprallen wie ein Gebet an der Wand. Denkste. „Mit der Zeit war da so ’ne Resonanz“, erinnert er sich. Was hat das mit ihm gemacht? Einiges. Heute redet Nico Ballmann gegen sein Handy an. Als Pfarrer. Und als „Sinnfluencer“.
Ähnliches Fahrwasser für Pfarrer
Sinnfluencer? Heißen die nicht Influencer? Und sind das nicht zumeist junge Frauen, die über Kanäle in den sozialen Medien von Oberflächlichkeiten aus ihrem Leben berichten und dabei ziemlich frontal für Shampoos oder Klamotten werben? Stimmt. In deren Fahrwasser ist Nico Ballmann, 33 Jahre alt und Pfarrer in der evangelischen Gemeinde Bickendorf, im Prinzip unterwegs.
Auch er spricht via Instagram und You Tube zu „Followern“. Sicherlich nicht ganz so „mega krass“ wie Bianca Claßen alias „Bibi“ oder Carmen Kroll alias „Carmushka“, um nur zwei Kölner Stars aus der Szene zu nennen. Und der Frage, was ist gerade das geilste Kosmetikprodukt, geht er dabei auch eher selten nach. Über seinen Instagram-Kanal „einschpunk“ fragt er lieber: „Was ist Glück“.
Viel Lust auf Innovation
Alles hat sich gefügt: „Computerbegeistert war ich schon immer“, sagt Nico Ballmann. Lust auf Innovation hatte er sowieso. In seinem Vikariat (praktische Vorbereitung auf den Pfarrerberuf) habe er damit angefangen, über seinen privaten Kanal mal über seine Erfahrungen auf dem Weg zum Pfarrer zu berichten. Und stellte er fest: „Krass, da folgen mir einige.“ Und nicht zu wenige: „Im Gottesdienst sitzen vielleicht 80 Besucher. Über meinen Kanal erreiche ich 800 und mehr.“
Wo finde ich Sinnfluencer?
Yeet ist ein evangelisches Contentnetzwerk. Über 21 Kanäle sind dort Theologiestudierende und junge Pfarrerinnen und Pfarrer anzutreffen, die über den Glauben und Sinnfragen sprechen. Auch Nico Ballmann ist dort vertreten.
Kirche2go ist ein Angebot der evangelischen Kirche in Köln und Umland. Im Stil von Sinnfluencern werden auf diesem Portal Alltagsfragen beantwortet. Der Slogan: Einfach mal Dinge klären, die man schon immer wissen wollte. (ngo)
Seine Follower sind in der Regel zwischen 20 und 35 Jahre alt. Just die Zielgruppe, die kaum noch den Weg in die Kirche findet. „Obwohl sie auf Sinn- und spiritueller Suche sind.“ Warum folgen sie Nico Ballmann auf seinen Kanälen, aber nicht in die Kirche? Der junge Pfarrer macht das ganz wesentlich an der Sprache fest. „Bei dem Wort Pfarrer ploppen gleich Bilder auf: Talar, weißer Bart, ernster Blick. Über Instagram werde sofort klar: „Das ist ein Typ, der sich auch sein Pfand beim Aldi abholt.“
Sprache als Schlüssel
Überhaupt Sprache, das ist für Nico Ballmann der Schlüssel. In einem seiner Formate kommuniziert er über die Kommentarfunktion direkt mit seinen Followern. So hat er sie mal aufgefordert, ihm doch Fürbitten zu schicken. Funkstille. Zweiter Versuch: „Schreibt mir doch mal, was euch am Herzen liegt, was euch umtreibt.“ Was daraufhin abging, beschreibt der Sinnfluencer so: „Pow!“. Jeden Dienstag um 21 Uhr hält er nun mit seinem Followern Fürbitte. Ach ne: Sagt er Gott, was gerade echt nicht so gut läuft, wo er jetzt einfach mal helfen sollte.
Und noch ein Format: Auf ein Glas Wein. Auch dort redet Nico Ballmann via Instagram mit den Menschen über Gott und die Welt. Plaudern, ein Tröpfchen genießen: „Und am Ende sind wir alle ein bisschen beschickert. Auch ganz nett.“
Kirche soll Menschen ansprechen
Was immer Nico Ballmann über die sozialen Medien also macht, läuft wie geschnitten Brot? „Nein, wenn es nicht gefällt, schaut einfach keiner zu. Dann muss ich etwas anderes machen. Etwas, das die Leute anspricht.“ Wird Kirche so nicht beliebig: Das Angebot wird der Nachfrage angepasst? „Das was Kirche im Kern zu sagen hat, ist relevant“, sagt der junge Pfarrer. Da macht er keine Abstriche. „Ich muss nur die richtige Sprache dafür finden. Und daran kann sich die analoge Kirche ruhig mal ein Beispiel nehmen.“
Also hat sich das wohl mit der althergebrachten Kirche erledigt, mit Predigt und Gemeindegesang. „Der Gottesdienst wird bleiben. Die digitale Kirche ist einfach nur ein weiteres Arbeitsfeld“, so Ballmann. Wobei, Kirche müsse sich schon mehr bewegen. „Wir haben Ausschüsse bei uns, die kümmern sich, wenn das Kirchendach einbricht. Einen Ausschuss für Innovationen haben wir nicht. Da werden oft einfach weiter schlecht gemachte Einladungen auf Papier gedruckt und ignoriert, das kaum noch einer kommt. Bei uns ist längst nicht jedem klar, wie ernst die Lage ist.“
Auch Hasskommentare im Netz
Herzchen, Smileys – ist denn alles Friede, Freude Eierkuchen bei „einschpunk“? Nico Ballmann erntet auch „Hate Speech“ (Hasskommentare). „Die sind aber die Ausnahme. Anfangs habe ich noch versucht, einfühlsam darauf zu reagieren. Bringt nichts. Heute denke ich: „Yo, Gott, was soll's.“
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Hate Speech kommt zumeist aus der evangelikalen Ecke. Die fundamentalistischen Christen sind mächtig unterwegs im Netz. Sie sprechen gerade junge Menschen stark an. Popmusik als Lobpreis, coole Klamotten, schöne Gesichter, Videos wie Werbespots. Denen will Nico Ballmann aber nicht das Feld überlassen. „Ich stehe für einen liberalen, freiheitlichen Glauben ein.“
Bleibt eigentlich nur noch eine Frage: Was in Gottes Namen bedeutet „einschpunk“? „Pippi Langstrumpf. Da gibt es die Geschichte, in der Pippi herausfinden will, was ein Spunk ist. Fand ich immer schon cool.“