50 Jahre FeminismusZwei Kölnerinnen verschiedener Generationen ziehen Bilanz
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Giesela Schneider (77) Die Pionierin der Kölner Frauenbewegung war aktiv gegen den Paragrafen 218
Leonie Bremer (24) Die Umweltaktivistin versteht Feminismus als Konzept gegen Benachteiligung
Gabi Bossler hat mit beiden gesprochen.
Giesela Schneider (77): „Wir wurden überrannt“
Die Kampagne „Ich habe abgetrieben“ ist Fixpunkt für die Feiern zu 50 Jahren Feminismus. Warum das? Feministische Aktionen gab es auch schon vorher.
Eine Frauenbewegung in dem Ausmaß aber nicht, nur einzelne Initiativen. Aber das Thema ungewollte Schwangerschaft, das war für alle Frauen von großer, existenzieller Bedeutung.
In Sachen § 218 waren Sie die Feministin der ersten Stunde, standen im Mai 1971 mit einem Tapeziertisch auf der Schildergasse, um Unterschriften für die Kampagne zu sammeln. Wie kam es dazu?
Anlass war ein Brief von Alice Schwarzer an Günter Wallraff, für den ich im Urlaub die Post gesichtet habe. In Paris gab es die Aktion schon, in Deutschland solle sie auch starten. Wallraff meinte dann, das wäre doch was für mich. Ich hatte vorher schon versucht, in der SPD oder FDP für mehr Chancen von Frauen etwa in der Arbeitswelt zu streiten. Aber da hieß es nur „dann geh’ doch rüber in die DDR.“ Ein einschneidendes Erlebnis war auch, dass meine kleine Schwester mit 18 schwanger geworden ist. Wir hatten damals absolut keinen, an den wir uns wenden konnten.
Wie waren die Reaktionen auf der Schildergasse?
Wir wurden überrannt. Sehr viele Frauen haben uns unterstützt, es brach quasi aus den Frauen heraus. Arbeiten gehen zu könne, Sexualität ohne Angst zu erleben. Es gab zwar damals schon die Pille, aber nur für verheiratete Frauen. Nach acht Wochen hatten sich unserer Bewegung „Aktion 218“ 80 sehr aktive Frauen angeschlossen, mit vielen Ideen. Wir sind etwa nach Bonn, um mit dem Justizminister zu reden, der die Fristenlösung blockierte. Oder wir haben den Gürzenich gestürmt, um mit Gynäkologen zu sprechen; von denen haben uns auch Männer unterstützt, indem sie den Eingriff vorgenommen haben. Das war Teil einer schönen Zeit. Wir waren viele, uns einig und sehr solidarisch.
Hatten die Kölner Feministinnen noch andere Themen?
Wir haben viel zusammen gelesen, auch zur Gleichberechtigung bei Bildung und Erwerbsarbeit, die Frauen-Reihe von Rohwolt etwa. Das war auch der Anlass, dass ich nach der Abendschule noch studiert habe und Lehrerin geworden bin. Für Deutsch und Geschichte. An der Gesamtschule Holweide sind die Themen Gleichberechtigung und Feminismus dann in meine Projekte eingeflossen.
Was sind aktuell die drängendsten Probleme?
Gewalt gegen Frauen gibt es bis heute viel häufiger, als man glaubt. Und auch das Verbot, im Internet darüber zu informieren, dass man als Gynäkologin Abtreibungen vornimmt, ist ein massiver Schritt zurück.
Wie nehmen Sie Feminismus heute wahr?
Wenn ich mich umschaue, wer heute an der Spitze von progressiven Bewegungen steht, dann sehe ich nur junge Frauen. Die setzen sich für Klimaschutz, soziale Belange und Gleichberechtigung ein. Und das klug und sehr kämpferisch.
Interview mit 24-Jähriger: „Betroffene auf die Podien“
Leonie Bremer (24) Die Umweltaktivistin versteht Feminismus als Konzept gegen Benachteiligung. Gabi Bossler hat auch mit ihr gesprochen.
Vor einem halben Jahrhundert gingen Frauen auf die Straße, um gegen den Paragrafen 218 zu kämpfen. Von Politik und Kirche gab es heftige Gegenwehr. Sind diese Pionierinnen für Sie heute noch von Bedeutung?
Da haben sich welche getraut – das ist ein starker bleibender Eindruck. Frauen waren damals ja noch viel stärker Gewalt ausgesetzt als heute – und damit meine ich auch gesetzliche Gewalt. Vergewaltigung in der Ehe etwa war noch bis 1997 erlaubt. Allerdings haben damals vor allem weiße Frauen der Mittelschicht gekämpft. Unser Konzept heute ist da anders.
Inwiefern?
Das beginnt damit, dass wir Feminismus inklusiv begreifen. Es geht nicht nur um Rechte für Frauen sondern auch für Personen, die nicht in das binäre Geschlechterschema passen, wie etwa transsexuelle oder intersexuelle Menschen.
Wie setzen Sie den erweiterten Begriff von Feminismus in de Praxis, etwa bei ihrer Arbeit für Fridays for Future, um?
Wir achten sehr darauf, dass bei unseren Veranstaltungen mehr Frauen repräsentiert sind als Männer. Vor Beginn fragen wir die Pronomina ab, damit sich alle anwesenden Personen korrekt angesprochen fühlen. Gerade wurde ich für eine Interviewserie angefragt, bei der ich ausschließlich mit Männern sprechen sollte. Das habe ich abgelehnt. Das Gleiche gilt für ein Gespräch mit Menschen, die aufgrund ihrer Hautfarbe oder ihres sozialen Status diskriminiert werden. Es gibt zum Beispiel kaum farbige Frauen, die auf Demos Reden halten. Es ist wichtig, dass diese Menschen selbst zu Wort kommen dürfen und wir nicht über sie sprechen.
Warum?
Weil wir Probleme nicht immer nur aus einer Perspektive betrachten dürfen. Menschen, die etwa als Frau, Farbige und teilweise auch aufgrund ihres geringen sozialen Status oder durch Arbeitslosigkeit gleich mehrfach benachteiligt sind, sollen ihre Probleme und Bedürfnisse selber artikulieren und dabei gehört werden. Generell können Perspektivwechsel Lösungswege für viele gesellschaftliche Probleme aufzeigen.
Gibt es Verbindungen zwischen Klimagerechtigkeit und Geschlechtergerechtigkeit?
Ja. In Uganda etwa werden nach Klimakatastrophen Entschädigungen gezahlt. Weil Frauen dort kein Land besitzen dürfen, bekommen sie nichts für ihre zerstörten Felder. In Krisen wird Ungleichbehandlung oft sichtbar. In Coronazeiten gab es für 450-Euro-Jobs kein Kurzarbeitergeld – und die machen vor allem Frauen. Auch Belastung durch die Kinderbetreuung ging fast nur zu Lasten der Frauen.
Was sind wichtigste Zukunftsthemen?
Immer noch sind schlecht ausgebildete, sozial benachteiligte oder behinderte Mädchen und Frauen oft von Gewalt betroffen. Ein wichtiges Feld ist auch der queere Feminismus – die Gleichberechtigung von Menschen jedweder sexueller Orientierung. Hier stehen wir noch ganz am Anfang.