In unserer Adventsserie „Kunst am Bau“ geht es um zwei Reliefs am alten Türnicher Rathaus. Sie erinnern in ihrem Stil an Nazikunst.
Relief am EingangBis heute gibt es Nazikunst am alten Türnicher Rathaus
Ein muskulöser Mann mit nacktem Oberkörper, in der rechten Hand ein langstieliges Werkzeug, vielleicht ein Beil, den strengen Blick nach links gerichtet auf die gleich große Frau. Sie hält eine Weizengarbe in der Rechten, in der Linken ein kurzstieliges Werkzeug, vielleicht zum Schneiden des Getreides. Sie blickt zum Mann herüber, beide Gesichter zeigen keinerlei Regung.
Die beiden Reliefs am Alten Türnicher Rathaus zeigen in ihrer zur Schau gestellten Heldenhaftigkeit deutliche Zeichen von Nazikunst. Der Betrachter denkt schnell an Arno Breker. Er ist der bekannteste Nazi-Bildhauer und Architekt, dessen Werke stilbildend wurden für die heroisierende Darstellung von Menschen.
Das Rathaus Türnich war einst Rentei
Edwin Hörner (1882-1959), der Schöpfer der Reliefs am Türnicher Alten Rathaus, ist 18 Jahre älter als Breker, mithin war er möglicherweise ein Vorbild für ihn. Hörner hat auch religiöse Motive erschaffen, beispielsweise die Skulptur „Die Heilige Familie“, bei der Josef übergroß erscheint, weit unter ihm die kleine Maria mit Jesus auf dem Schoß, eine offensichtlich stark patriarchalische Sichtweise auf die christlichen Ikonen.
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1904 ließ Franz Eugen Graf von Hoensbroech, damaliger Schlossherr auf Schloss Türnich, eine neue Rentei bauen – das spätere Rathaus. Im Obergeschoss lag die Wohnung für den Rentmeister Eugen Broel, der auch Bürgermeister war, und seine Familie.
Die Reliefs kosteten 3300 Reichsmark
1933 entließen die Nazis Broel und ersetzten ihn durch das NSDAP-Mitglied Hans von Lassaulx. Der baute das Haus um und kaufte die beiden Skulpturen für 3300 Reichsmark, eine für damalige Verhältnisse beträchtliche Summe, wie die Kerpener Stadtarchivarin Susanne Harke-Schmidt betont. Da Eugen Broel das Haus gehörte – Graf Hoensbroech hatte es ihm anstelle einer Rente geschenkt – konnte er mit seiner Frau und seinen Kindern dort wohnen bleiben, allerdings verkaufte er es 1934 für 39 000 Reichsmark an die Gemeinde Türnich.
Nach dem Krieg wurde das Rathaus weiterhin für Verwaltungszwecke benutzt. 1983 wurde in Kerpen das zentrale Rathaus fertiggestellt, damit verlor das Alte Türnicher Rathaus seine Funktion. Heute residieren dort ein Rechtsanwalt, eine Praxis für Physiotherapie, zwei Frauenärzte, eine Fachärztin für Innere Medizin, eine Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin, sowie ein Logopädie-Team und eine Praxis für Ergotherapie und Bewegung.
Seit einiger Zeit gibt es die Diskussion über sprachliche und künstlerische Überbleibsel aus der Kolonial- und der Nazizeit. Die Extrempositionen bei dieser Auseinandersetzung sind: Tilgung der alten Spuren, zum Beispiel Straßennamen, einerseits, Aufarbeitung der historischen Zeugnisse und Darstellung des Kontextes durch Schautafeln andererseits. Letzteres würde sich bei den Reliefs am Alten Türnicher Rathaus anbieten.