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Krankheit verstehenSo hilft eine Verhaltenstherapie gegen Depression

Lesezeit 5 Minuten
Depression

In der Ver­hal­tens­the­ra­pie werden Menschen mit ihren Ängsten kon­fron­tiert.

Köln – Der Abend, an dem Frank Meyer sich selbst unheimlich wurde, begann mit einer Karnevalsparty. An die darauffolgende Nacht erinnert sich der 53-jährige Kölner, der seinen echten Namen nicht nennen mag, nur schemenhaft: Er sei aus der Kneipe irgendwie nach Hause gekommen und später blutüberströmt in seinem Bett aufgewacht. "Mein Gesicht und das Kissen waren nass", sagt Meyer. Am nächsten Morgen sei er zum Arzt. Diagnose: eine geprellte Rippe und eine Platzwunde am Kopf. Schlimmer seien die Erinnerungslücken gewesen, sagt Meyer: "Ich weiß nicht, wie es passiert ist.

Fehlendes Selbstbewusstsein

Den Psychotherapeuten Daniel Wagner lernt Meyer vier Wochen später Ende März kennen. Weder arbeiten noch Auto fahren sei ihm in den Tagen danach möglich gewesen, sagt er. Nicht, weil er sich nicht bewegen konnte, sondern weil ihm das Selbstbewusstsein gefehlt habe. "Ich fühlte mich nicht mehr sicher mit mir selbst."

Daniel Wagner stellt nach den ersten Sitzungen die Diagnose: mittelschwere depressive Episode. "Das Ereignis war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte", so der Therapeut. "Es gab vorher schon eine Reihe anderer Symptome." Sein Patient sei nicht mehr in der Lage gewesen sich aufzuraffen, habe Schlaf- und Konzentrationsschwierigkeiten. An vielen Dingen, die Meyer früher Spaß gemacht haben, kann er sich seit Monaten nicht mehr freuen. Zur Behandlung einer Depression ist eine Verhaltenstherapie nachweislich gut geeignet. Auch bei anderen psychischen Erkrankungen wie Ängsten, Zwängen, Süchten und Persönlichkeitsstörungen sind Therapieerfolge in vielen Studien belegt. Auf solche belastbare Daten - Fachleute nennen sie evidenzbasiert - legen Verhaltenstherapeuten wie Daniel Wagner viel Wert. "Schließlich war die Methode in der Geschichte der Psychotherapie die erste, die diese Form der Wissenschaftlichkeit für sich reklamierte", erklärt der Psychologische Psychotherapeut, der lange die Spezialambulanz für Menschen mit Angsterkrankungen an der Uniklinik Köln leitete.

Geschichte der Verhaltenstherapie

Sigmund Freud, dem Erfinder der Psychoanalyse, warfen dagegen schon Zeitgenossen Unwissenschaftlichkeit vor. "Freud konnte seine Ideen zwar glänzend literarisch darstellen, aber seine Interpretationen von Einzelfallberichten waren vielen seiner Nachfolger wissenschaftlich zu wenig fundiert", sagt Wagner. Pioniere wie der Schweizer Arzt Paul Dubois wollten aus der Psychotherapie eine evidenzbasierte Wissenschaft machen. Ein wissenschaftliches Gerüst, an das sie sich anlehnen konnte, fand diese sogenannte erste Welle der Verhaltenstherapie in den Theorien der Konditionierung. Wie wird ein Verhalten erlernt? Wie kann man es wieder verlernen? "Dem lag die Herangehensweise zugrunde, den Menschen wie eine Black Box zu betrachten, in die man nicht hineinschauen kann", erklärt Wagner. Weil das zur Erklärung vieler Störungen unbefriedigend war, setzten die Therapeuten der sogenannten zweiten Welle schließlich auch beim Denk-Verhalten, den Kognitionen, an. So kam zum Beispiel Grübeln als typisches Symptom einer Depression in den Blick.

Seit einigen Jahren rollt bereits die dritte Welle der Verhaltenstherapie durchs Land. Sie speist sich aus unterschiedlichen Strömungen, die unter anderem die Emotionen in den Fokus rücken. Eine davon ist die Achtsamkeitsbasierte Therapie, in der Patienten lernen, die eigenen Gefühle und Gedanken überhaupt erst mal wahrzunehmen und sie nicht direkt zu bewerten. Auch Frank Meyer konnte sein Leben irgendwann nicht mehr als "gut" bewerten. Es sei in den vergangenen Monaten "eine Menge zusammengekommen", sagt er. Eine chronische Krankheit, Probleme im Job, ein privater Umbruch - genauer mag der Mittfünfziger nicht werden. Er habe Verabredungen abgesagt, sei kaum vor die Tür gegangen, habe Nächte vor dem Fernseher verbracht. "Ich hatte mein Selbstvertrauen fast komplett verloren."

Einen Vertrag schließen

Bei Meyer wählt Daniel Wagner neben anderen Interventionen einen klassischen Trick der Verhaltenstherapie: Er schließt mit ihm einen Vertrag. Um ihn zu aktivieren, gibt er seinem Patienten Aufgaben bis zur nächsten Sitzung: Er soll Joggen gehen, an die See fahren, sich Bilder aufhängen. Für den Fall, dass Meyer eine Aufgabe nicht erledigt, muss er eine Geldspende an eine gemeinnützige Organisation leisten. Sport und Alltagsaufgaben könnten helfen, die sogenannte Selbstwirksamkeit zu steigern, sagt Wagner: "So merkt man erst mal wieder, dass man etwas bewirken kann."

Bei anderen Klienten arbeitet Wagner allerdings auch ganz anders: "Jeder braucht eine für ihn maßgeschneiderte Form der Behandlung". So könne für den Klienten mit Höhenangst die Konfrontation mit großer Höhe das Richtige sein. Überhaupt sei die Zeit der Schubladen vorbei: "Alle psychotherapeutischen Schulen haben sich weiterentwickelt und lernen voneinander", sagt Wagner. Wichtiger als jede Methode sei die psychotherapeutische Beziehung: "dass ein Klient von einem Therapeuten weiß: Da ist jemand, mit dem ich offen sprechen kann."

Zuhören, in eigenen Worten Wiederholen, Nachfragen. Diesen Dreischritt wendet Wagner auch bei Frank Meyer an. Während der wöchentlichen Sitzungen sprechen die beiden viel über Meyers Gefühle. Woher kommen Sie? Welche Gedankenmuster stecken dahinter? Was, wenn er die Situation mal anders betrachtet? Erstes Ziel der Therapie sei, dass der Patient versteht, wie seine Krankheit funktioniert, sagt Wagner. Zum Beispiel die Gefahr, die in der Vermeidung liegt. "Oft ist es das Vermeiden negativer Gefühle, das psychische Krankheiten überhaupt erst zum Ausbruch bringt." Hat jemand etwa Angst vor Menschenmengen, schafft ihm eine Absage eines Konzertbesuchs kurzfristig Linderung. "Aber der Wegfall dieses unangenehmen Gefühls erhöht auch die Wahrscheinlichkeit, dass beim nächsten Mal wieder vermieden wird." Geht man dagegen - vielleicht zusammen mit dem Therapeuten - auf das Konzert und beobachtet, wie sich der Körper nach einer gewissen Zeit der Angst von selbst wieder entspannt, kann allein das erheblich zur Heilung beitragen.

Eine andere Sichtweise allein durchs Reden

Auch bei Frank Meyer schlägt die Aktivierung langsam an. Er traue sich jetzt wieder Dinge zu, die er lange vermieden habe, sagt er: Reisen, Handwerksarbeiten, Freunde treffen. Auch wenn es ihm noch nicht immer gelingt, daraus Befriedigung zu ziehen: "Daran gilt es jetzt zu arbeiten." Wie diese Arbeit aussehen kann, weiß Meyer. Reden allein könne helfen, ist sich der Kölner sicher: "Man bekommt eine andere Sichtweise. Es kommt etwas in Fluss."

Das ist Verhaltenstherapie

Mit Verhaltenstherapie (VT) wird ein ganzes Spektrum von Methoden im Gebiet der Psychotherapie bezeichnet. Allen gemeinsam ist, dass sie psychische Erkrankungen vor dem Modell der klassischen Konditionierung verstehen: Das geht davon aus, dass Verhaltensweisen erlernt und auch wieder verlernt werden können. Verhaltenstherapie will Hilfe zur Selbsthilfe geben: Der Patient soll die Ursachen seiner Störung verstehen und Mittel an die Hand bekommen, ihre Symptome in den Griff zu bekommen.

Die VT ist eine von drei psychotherapeutischen Methoden, deren Kosten von den Krankenkassen erstattet werden. (ma)