Mehr als ein Jahr lang haben sich Israel und die Hisbollah gegenseitig beschossen und zuletzt auch direkte Gefechte geliefert. Nun soll die Gewalt enden – vorerst. Ob es am Ende zu einem nachhaltigen Frieden kommt, ist aber völlig ungewiss.
Rundschau-Debatte des TagesWas steckt hinter der Waffenruhe im Libanon?
Nach fast 14 Monaten gegenseitigem Dauerbeschuss, massiver Zerstörung, Tausenden Opfern und Vertriebenen schwiegen zwischen Israel und der Hisbollah im Libanon seit den frühen Morgenstunden des Mittwochs die Waffen. Zehntausende hoffen in beiden Ländern auf die Rückkehr in ihre Heimat und ein dauerhaftes Ende der Gewalt. Doch wie realistisch ist das?frühen
Was sieht das Abkommen zwischen Israel und der Hisbollah genau vor?
Die Vereinbarung basiert laut Medienberichten auf der UN-Resolution 1701, die bereits den Krieg 2006 zwischen Israel und der Schiiten-Miliz beenden sollte, aber nie vollständig umgesetzt wurde. Zu den wichtigsten Punkten der neuen Einigung zählen demnach: ein Ende der Feindseligkeiten für zunächst 60 Tage; ein Rückzug der Hisbollah-Kämpfer bis zum Litani-Fluss etwa 30 Kilometer nördlich der israelisch-libanesischen Grenze; die Stationierung von insgesamt 10000 Soldaten der libanesischen Armee im Grenzgebiet (5000 sind schon jetzt dort); ein schrittweiser Abzug der israelischen Bodentruppen aus dem Libanon; sowie Schritte, um zu verhindern, dass die Hisbollah sich wieder bewaffnet.
Wer soll die Einhaltung des Abkommens überwachen?
Eine Staatengruppe unter Führung der USA, zusammen mit Frankreich, dem Libanon, Israel und der UN-Friedenstruppe Unifil. So berichten es israelische Medien – über offizielle Kanäle wurden Einzelheiten bislang nicht bekannt gegeben. Unifil ist bereits mit rund 10000 Blauhelmen im Land, scheiterte aber daran, das Grenzgebiet zu überwachen. Mit der neuen Aufsicht verbindet sich die Hoffnung, dass die genannten Punkte strenger durchgesetzt werden, womöglich durch Sanktionen bei Verstößen. Bei der Umsetzung gebe es aber noch viele offene Fragen, sagt der libanesische Nahost-Experten Riad Chawahdschi. „Wir haben die großen Themen der Einigung, aber keine Details.“
Welche Bedeutung hat die Einigung für den Libanon und für Israel?
In beiden Ländern warten Abertausende darauf, in ihre Wohnorte zurückzukehren. Im Libanon wurden rund 800000 Menschen durch Kämpfe vertrieben, Hunderttausende flüchteten über die Grenze nach Syrien. Nun hoffen sie auf bessere Tage angesichts einer schweren humanitären Krise als Folge des Kriegs. Die Hisbollah habe nach schweren Rückschlägen der vergangenen Wochen – unter anderem dem Verlust fast der kompletten Führungsriege – keine andere Wahl gehabt, als der Waffenruhe zuzustimmen, sagt Chawahdschi.
In Israel dürfte Erleichterung herrschen, wenn der schwere Beschuss mit Raketen aus dem Libanon endet. Schätzungsweise 60000 Israelis mussten deshalb aus dem Norden des Landes evakuiert werden, die nun – sofern die Waffenruhe hält – in ihre Wohngebiete zurückkehren können. Das hatte Israel zu einem der Ziele im Konflikt mit der Hisbollah erklärt. Es gibt aber auch kritische Stimmen: Koalitionspartner der Regierung von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu waren gegen den Deal. Der rechtsextreme Polizeiminister Itamar Ben-Gvir sprach von einem „schweren Fehler“ und sagte, Israel verpasse eine historische Gelegenheit, die geschwächte Miliz zu zerschlagen. Zum Schluss wich er aber von seiner Drohung ab, im Falle einer Waffenruhe aus der Regierung auszutreten und diese damit zu gefährden.
Welche Risiken gibt es für einen möglichen Friedensprozess?
In dem seit Jahrzehnten andauernden Konflikt dürfte es auch dieses Mal eine große Herausforderung werden, ein längerfristiges Ende der Kämpfe zu bewirken. Nach schwerem gegenseitigem Beschuss über mehr als ein Jahr und verheerenden israelischen Angriffen im Libanon ist die Skepsis auf beiden Seiten groß. 60 Tage für den Abzug von Israels Bodentruppen sind eine lange Zeit mit viel Raum für Fehler, Verstöße oder Streit über Details zur Umsetzung des Abkommens. Israels Präsident Izchak Herzog betonte, es müsse klar sein, dass der Staat seine Bürger jederzeit, an jedem Ort und auf jede Art und Weise verteidigen werde.
Um sich gegen erneuten Beschuss der Hisbollah zu schützen und militärisch die Oberhand zu behalten, sicherte Israel sich laut Medienberichten durch die USA ab. Die scheidende Regierung von Präsident Joe Biden hat zugesagt, weitere militärische Einsätze gegen die Miliz zu unterstützen, wenn diese sich nicht an die Einigung halten sollte. Für den Fall, dass Libanons Armee und die Unifil untätig blieben, hätte Israel dann die Rückendeckung für erneute Angriffe. Dieser Brief ist aber nicht Teil der Einigung zwischen Israel und der Hisbollah.
Was passierte nach dem Inkrafttreten der Waffenruhe?
Zunächst hielten sich beide Seiten an die Vereinbarung. Die israelische Armee meldete die letzten Raketenangriffe auf den Norden mehrere Stunden bevor die Waffenruhe um 4 Uhr Ortszeit in Kraft trat. Am Morgen blieb es auf beiden Seiten ruhig. Im Libanon waren nach Inkrafttreten der Feuerpause in und um Beirut Freudenschüsse zu hören. Tausende Menschen machten sich in vollgepackten Autos auf den Weg zurück in den Süden, der in den letzten Monaten unter massivem Beschuss der israelischen Armee stand. Auf sozialen Medien und im arabischen Fernsehen waren lange Staus auf den Straßen zu sehen. Die libanesische Armee rief die Bewohner südlicher Orte jedoch zu Geduld auf. Sie sollten mit ihrer Rückkehr bis zum Abzug der israelischen Streitkräfte warten.
Schweigen die Waffen nun in der gesamten Region?
Nein. Der Krieg zwischen Israel und der Hamas im Gazastreifen geht weiter. Auslöser war der Terrorangriff der radikal-islamistischen Miliz am 7. Oktober 2023. Die Hisbollah attackierte zur Unterstützung der Hamas ihrerseits Israel. Mit der neuen Vereinbarung hat sie ihren Konflikt nun vom Krieg in Gaza entkoppelt. Zuvor hatte sie noch erklärt, eine Waffenruhe gebe es erst bei einem Ende des Gaza-Kriegs. Die Hamas erklärte sich nach der Einigung erneut grundsätzlich bereit für ein Ende der Kämpfe im Gazastreifen – beharrt aber zugleich auf Bedingungen, die Israel nicht akzeptiert.
Die Einigung mit der Hisbollah bedeutet vor allem eine vorläufige und indirekte Einigung zwischen Israel und dem Iran, dem wichtigsten Unterstützer der Miliz. Ihren Konflikt haben die beiden Erzfeinde damit aber keineswegs gelöst. Unklar ist auch, wie Israel sich zur Hisbollah und der Region insgesamt nach dem Amtsantritt des neuen US-Präsidenten Donald Trump im Januar verhalten wird. In dessen Amtszeit wird das Ende der 60-Tage-Frist des ausgehandelten Abkommens fallen. (dpa)