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Interview mit Bundeswehr-ExperteMuss die Wehrpflicht zurückkommen?

Lesezeit 4 Minuten
Der deutsche Verteidigungsminister Boris Pistorius auf einem Leopard 2-Panzer der Bundeswehr.

Der deutsche Verteidigungsminister Boris Pistorius auf einem Leopard 2-Panzer der Bundeswehr.

Der Chef des Reservistenverbandes, Patrick Sensburg, hält die Wiedereinführung der allgemeinen Dienstpflicht für absolut notwendig. Nur so werde Bundeswehr wieder fähig, das eigene Land zu verteidigen.

Patrick Sensburg vertritt als Verbandschef mehr als 115000 Reservisten der Bundeswehr. Nun unterstützt er die Initiative des neuen Verteidigungsministers Boris Pistorius (SPD), die Wehrpflicht wieder einzuführen. Ist das gerechtfertigt?

Herr Sensburg, bei der Bundeswehr sind alle Blicke auf Boris Pistorius gerichtet, der seit knapp vier Wochen Verteidigungsminister ist und als tatkräftig gilt. Merkt die Truppe schon etwas von der neuen Führung?

Bei den ersten Terminen, egal ob Truppenbesuche oder internationale Treffen, hat Minister Pistorius eine gute Figur gemacht. Das Entscheidende ist aber, dass er der Truppe neuen Schwung gibt. Es ist ja so: Pistorius muss die Leute in der Bundeswehr jetzt auf einen Kurs einschwören, der um 180 Grad anders ist als der Kurs der vergangenen 30 Jahre – nämlich weg von einer Bundeswehr, die immer geschrumpft wurde, Richtung Wachstum. Der Minister muss das Mindset in der Bundeswehr ändern.

Ist Pistorius der Richtige dafür?

Er geht es richtig an und ist positiv unterwegs. Er strahlt den Willen aus, etwas hinzukriegen, und das begeistert auch die Truppe.

Endet mit dem SPD-Politiker nun die Serie der katastrophalen Ressortchefs wie zuletzt Christine Lambrecht und Annegret Kramp-Karrenbauer?

Ich würde die vorherigen Minister nicht als Katastrophe bezeichnen. Die Vorgänger hatten einfach andere Prioritäten. Wir waren doch alle ein bisschen blauäugig und hatten eine rosarote Brille auf. Jetzt sind wir in der Realität aufgewacht und merken, dass wir vielleicht doch unser Land irgendwann mal wieder verteidigen müssen. Ich kann daher früheren Ministern keine Vorwürfe machen. Jetzt kommt es auf uns an.

Aber ist Deutschland im Nato-Verbund überhaupt in der Lage, sich zu verteidigen?

Ja, eindeutig. Wir sind dem russischen Militär um Längen voraus – was das Material, aber auch die Einsatzfähigkeit unserer modernen vernetzten Armee betrifft. Die Frage ist aber zum einen, wie sieht es mit China aus, das derzeit genau beobachtet, ob Russland in der Ukraine Erfolg hat. Deshalb müssen wir dafür sorgen, dass der Ukraine-Krieg nicht historisch als Erfolg zu werten ist. Und zum anderen stellt sich die Frage, können wir uns darauf verlassen, dass andere Nato-Partner unsere Landesverteidigung übernehmen. Ich denke, hier müssen wir mehr selbst leisten.

Die Bundeswehr muss aber noch viel aufholen, oder?

Die Frage ist, was man können will. Will man klein und fein irgendwo im Ausland im Einsatz sein – wie in der Vergangenheit – oder ist Landesverteidigung gegen einen Aggressor die ureigenste Aufgabe der Bundeswehr. Das erfordert anderes Material und viel mehr Personal. Realistisch betrachtet benötigt man, um die Bundesrepublik zu verteidigen, eine aktive Truppe von 350000 Soldaten und etwa 1,2 Millionen Reservisten, derzeit haben wir nicht einmal 200000 Soldaten und 30000 Reservisten, die regelmäßig üben. Es wird ohne Wehrpflicht meiner Meinung nach also nicht gehen. Deshalb brauchen wir die Wiedereinführung der Wehrpflicht in Deutschland.

Glauben Sie wirklich, dass die Wehrpflicht mit der jetzigen Ampel-Koalition machbar ist? Daran sind ja auch die Grünen beteiligt, die aus der Friedensbewegung kommen…

Ich glaube, gerade mit den Grünen. Auch unter einem grünen Außenminister Joschka Fischer gab es Auslandseinsätze der Bundeswehr. Ich glaube, den eigenen Staat sichern zu können, ist die wichtigste Aufgabe einer Armee. Da gehen auch die Grünen mit und dies leichter, als Soldaten in alle Teile der Welt zu entsenden.

Eines der größten Probleme ist derzeit nicht das Geld, denn die Bundeswehr erhält 100 Milliarden Euro Sondervermögen, sondern die Beschaffung. Die Rüstungsindustrie klagt, es kämen keine Bestellungen an. Sollte Pistorius da mal durchgreifen?

Der Minister sollte auf zwei Ebenen handeln. An seiner Stelle würde ich noch nutzbare Waffensysteme reaktivieren – einfach um wieder die nötige Stückzahl an Kampfpanzern, Schützenpanzern, Gewehren und Munition zu haben. Dies geht auch trotz der höheren Instandsetzungskosten. Ein Beispiel: Ich habe lieber einen fahrenden und schießenden Schützenpanzer Marder in ausreichender Zahl als einen zwar besseren, aber derzeit noch reparaturanfälligen Schützenpanzer Puma in deutlich kleinerer Zahl. Vorhandenes Gerät sollte erst außer Dienst gestellt werden, wenn neues Gerät auch wirklich da ist.

Die Bundeswehr sollte also auch größere Stückzahlen bestellen?

Ja. Entscheidend ist doch, dass Bestellungen wieder deutlich schneller ablaufen. Das geht nur, indem wir mehr Standard-Produkte bestellen und weniger spezielle Produkte mit allen möglichen Zusatz-Wünschen. In der Folge könnte sich die Bundeswehr bei größeren Stückzahlen wieder eine eigene Instandsetzung leisten und müsste die Reparatur nicht immer an die Hersteller auslagern. Man sollte außerdem die rechtlichen Möglichkeiten des Vergaberechts wirklich nutzen. Denn wir brauchen eine Truppe, die morgen oder übermorgen kampffähig ist – nicht erst in Jahrzehnten. Minister Pistorius setzt da die richtigen Signale.

Interview: Marion Trimborn