Seit dem Ende des Kalten Krieges hat die Rüstungsindustrie in Deutschland Kapazitäten abgebaut. Mit dem Ukraine-Krieg tritt ein Wandel ein.
Ukraine-KriegZeitenwende auch für die Rüstungsindustrie
In drei Wochen wird Rheinmetall ein Rekordergebnis vorlegen. Nach vorläufigen Zahlen des Düsseldorfer Konzerns aus Januar wächst der Umsatz um rund 13 Prozent auf 6,4 Milliarden Euro. Knapp zwei Drittel davon werden mit Rüstungsgütern erzielt, daneben gibt es eine große Autozuliefer-Sparte. Noch deutlicher klettert das operative Ergebnis. Rheinmetall erwartet ein Plus von über 20 Prozent, nachdem 2021 rund 24000 Mitarbeitende an 133 Standorten in 33 Ländern ein operatives Ergebnis von 594 (2020: 446) Millionen Euro erzielt hatten. Der Auftragsbestand nähere sich der Marke von 30 Milliarden.
Rheinmetall-Aktie hat kräftig zugelegt
Anleger können sich bestätigt sehen. Die Papiere des MDax-Wertes übersprangen vor einem Jahr den Wert von 100 Euro und klettern seitdem – wenn auch mit Schwankungen – auf über 240 Euro. Die Kurstreiber: eine neue Einschätzung der Sicherheitslage durch den Ukrainekrieg, das von der Bundesregierung geschaffene Sondervermögen von 100 Milliarden Euro, um Lücken in der Ausrüstung der Bundeswehr zu stopfen, nachdem Bundeskanzler Olaf Scholz eine „Zeitenwende“ ausgerufen hat, oder jüngste Aussagen von Verteidigungsminister Boris Pistorius, nach denen die Verteidigungsausgaben in der Nato auch höher sein sollten als zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Erste Großaufträge etwa für die Produktion von Munition oder eine Absichtserklärung zur Kooperation mit Lockheed Martin und Northrop Grumman zur Produktion von F-35 Rumpfmittelteilen sind bereits eingegangen.
Rheinmetall ist auf gepanzerte Kettenfahrzeuge spezialisiert. Im Programm ist der Schützenpanzer Lynx, dessen Fertigung in Ungarn gerade anläuft. Daneben gibt es den älteren Puma, der in Kooperation mit Krauss-Maffei Wegmann (KMW) aus München gebaut wird, oder den noch älteren Marder. Neu ist ein Vorführmodell eines Kampfpanzers mit dem Namen Panther, der in etwa 18 Monaten in Serie gehen könnte und den Rheinmetall an die Ukraine liefern möchte, wie Vorstandschef Armin Papperger dem „Handelsblatt“ gesagt hat. Daneben bietet Rheinmetalls Verteidigungssparte gepanzerte Radfahrzeuge oder Luftabwehrsysteme. Für alle Waffensysteme stellt Rheinmetall auch die Munition her, bietet aber auch Wartung und Ausbildung. Beim Kampfpanzer Leopard arbeitet Rheinmetall mit KMW zusammen, liefert unter anderem die Kanone. Der Panther könnte in Konkurrenz zu dem etablierten Panzer treten. Er ist laut Papperger besser ausgerüstet und billiger.
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Von der Rheinmetall-Eigenentwicklung wenig begeistert ist KMW-Chef Ralf Ketzel. KMW, nach eigenen Angaben Marktführer für hochgeschützte Rad- und Kettenfahrzeuge in Europa, hat zusammen mit dem französischen Panzerbauer Nexter, die den Kampfpanzer Leclerc anbieten, das Gemeinschaftsunternehmen KNDS gegründet. KNDS entwickelt zusammen mit Rheinmetall einen neuen europäischen Kampfpanzer, der Ende der 2030er-Jahre einsatzbereit sein soll. Im „Münchener Merkur“ kritisierte Ketzel einen „Alleingang“ von Rheinmetall. KMW erwirtschaftete 2021 einen Umsatz von 2,7 Milliarden Euro, während seine Belegschaft auf 8767 Mitarbeiter wuchs. Der Auftragsbestand erreichte im abgelaufenen Jahr die Rekordmarke von 10,7 Milliarden Euro.
Branche steht vor einer Zeitenwende
„Nach einer 30-jährigen Phase, in denen Kapazitäten in der Rüstungsindustrie abgebaut wurden, steht auch die Branche vor einer Zeitenwende“, sagt der Experte Klaus-Heiner Röhl vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW). Das Potenzial für eine deutliche Steigerung der Produktion sieht er. Die Fabriken gebe es noch, und die Produktionsstraßen können wieder aufgebaut werden. Auch ein Mangel an Fachkräften könne kompensiert werden, wenn die Branche Aufträge für mehrere Jahre erhält. Tesla habe gezeigt, dass innerhalb kurzer Zeit Industriearbeitskräfte gewonnen werden können. Andere Branchen wie etwa die Autozulieferer bauen Stellen ab. Allerdings: „Die Rüstungsindustrie mit ihren Zulieferern ist eine komplexe Branche, die Zeit für den Hochlauf braucht“, so Röhl.
Im Kalten Krieg hatte KMW im Jahr 300 Leopard-Panzer produziert, zuletzt noch 50. Zudem läuft ein Upgrade-Programm für 60 oder 70 Fahrzeuge pro Jahr, etwa 50 weitere Fahrzeuge kommen zur Instandsetzung. Für ein deutliches Hochfahren der Produktion sieht KMW keine industriellen Hindernisse. Man frage laufend bei Unterlieferanten ab, welche Produktionsraten möglich seien, sagte KMW-Chef Ralf Ketzel der Deutschen Presse-Agentur. „Was wir dafür brauchen, ist ein klarer politischer Konsens“, sagt Ketzel.
Das sieht auch Röhl so. Es werde aber Zeit, dass die Aufträge an die Industrie vergeben werden. „Ausgaben aus dem 100-Milliarden-Sondervermögen werden erst ab diesem Jahr getätigt. Damit wurden zehn oder elf Monate vertan – nach der Ankündigung von Mehrausgaben für eine bessere Bundeswehrausstattung nach dem Kriegsbeginn in der Ukraine.“ Mit diesem Geld, sagt Röhl, müssten wirklich wie geplant große Beschaffungsaufträge wie für ein neues Kampfflugzeug oder einen Transporthubschrauber nachgeholt werden. Es dürfe nicht auch dafür verwendet werden, etwa Munition zu kaufen. Diese Ausgaben müssten aus dem regulären Etat finanziert werden. Und die Ausgaben für die Rüstung müssen dauerhaft bei zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes liegen, wie in der Nato vereinbart.
Luftfahrtindustrie erzielt die größten Rüstungs-Umsätze
Die deutsche Rüstungsindustrie erzielte 2020 einen Umsatz von 11,28 (2015: 11,69) Milliarden Euro. Davon entfielen 7,1 (6,9) auf militärische Luft- und Raumfahrt, so das IW, 2,73 (2,23) auf Waffen und Munition, 1,09 (1,11) auf Marineschiffe, 0,72 (1,41) auf Kampffahrzeuge. Hier wurde allerdings im Vorjahr die Lieferung des Schützenpanzers Puma an die Bundeswehr abgeschlossen. 2019 hatte der Umsatz in dieser Waffengattung noch bei 2,3 Milliarden Euro gelegen). Gewählt wurde vom IW eine enge Abgrenzung der Branche, wobei offizielle Zahlen teils nicht vorliegen, weil nur wenige Unternehmen in dem Feld aktiv sind, deren genaue Leistungsfähigkeit die offizielle Statistik nicht spiegeln will. Zulieferer eingerechnet könnten die Erlöse doppelt so hoch sein, inklusive Service dreimal so hoch. Die deutschen Verteidigungsausgaben erreichten 2021 rund 47 Milliarden, entsprechend knapp 1,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Im laufenden Jahr sind es 51 Milliarden oder 1,4 Prozent des BIP. Das Geld steht aber größtenteils nicht für Beschaffungen zur Verfügung. 41 Prozent der Summe entfallen auf Personalausgaben und Versorgungsansprüche, so das IW. Nur etwa 37 Prozent fließen in neue Waffen, Fahrzeuge und andere Ausrüstung. Das 100-Milliarden-Euro-Sondervermögen sorgt laut IW dafür, dass das Zwei-Prozent-Ziel der Nato zumindest in den Jahren 2024 und 2025 erreicht wird. Schon 2026 wird es demnach laut den Budget-Planungen wieder verfehlt, weil die Inflation auch das nominale BIP anwachsen lässt. (raz)