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Ukraine-KriegWas haben die Sanktionen gegen Russland bewirkt?

Lesezeit 6 Minuten
Von Mangel nichts zu spüren: Im Moskauer Einkaufszentrum Jewropejski gibt es zwei Jahre nach Kriegsbeginn kaum noch Leerstände.

Von Mangel nichts zu spüren: Im Moskauer Einkaufszentrum Jewropejski gibt es zwei Jahre nach Kriegsbeginn kaum noch Leerstände.

Der Westen wollte Russland mit Sanktionen wirtschaftlich in die Knie zwingen, doch im Alltag ist kaum etwas davon zu spüren.

Moskau In Moskaus schillernder Einkaufswelt haben nach dem kriegsbedingten Weggang einiger großer westlicher Ketten längst andere die Geschäfte übernommen. Im Jewropejski-Einkaufzentrum im Herzen Moskaus ist anders als nach Beginn der Sanktionen kaum noch Leerstand zu sehen. Es gibt Mode aus der Türkei, Technik von Miele oder Apple, darunter auch das neuste iPhone. Vieles, was es eigentlich nicht geben sollte, gelangt über Parallelimporte aus Drittländern in das Riesenreich. Die Warenwelt lässt zwei Jahre nach Kriegsbeginn keine Wünsche offen, wie Moskauer in Gesprächen betonen.

Das Staatsfernsehen tönt immer wieder, die vom Westen erlassenen Sanktionen schadeten den Menschen in der EU deutlich mehr als der Rohstoffgroßmacht. Neben Öl und Gas gebe es auch sonst alles, was es zum Überleben brauche.

Zwei Jahre nach Beginn der Invasion, die Kremlchef Wladimir Putin am 24. Februar 2022 befohlen hatte, läuft die Kriegswirtschaft auf Hochtouren. Der Konsum brummt. Der Präsident betont, der Westen sei gescheitert mit seinen beispiellosen Sanktionen. Zwar haben sich viele westliche Firmen, vor allem große wie Siemens, VW und Mercedes vom russischen Markt zurückgezogen, ihre Geschäfte – meist mit massiven Abschlägen – verkauft. Trotzdem ist die Mehrheit auch deutscher Unternehmen weiter in Russland tätig. Sie wollen oder können die über Jahre geleisteten Investitionen in Milliardenhöhe nicht einfach in den Wind schreiben.

Auch deutsche Firmen machen weiter Geschäfte in Russland

Der Großhandelskonzern Metro etwa verteidigt den Verbleib in Russland. „Wir tragen Verantwortung für unsere rund 9000 lokalen Mitarbeitenden und versorgen viele der klein- und mittelständischen Kunden – also Restaurants und Händler – mit Lebensmitteln“, sagte ein Sprecher. Dem Unternehmen zufolge gab es in Russland seit Kriegsbeginn keine Wachstumsinvestitionen mehr. „Wir verurteilen den Krieg aufs Schärfste“, sagte Metro-Chef Steffen Greubel auf der Hauptversammlung Anfang Februar. Zugleich verwies er auf ausländische Unternehmen, die Russland verlassen wollten und „zwangsenteignet“ wurden. Es sei nicht im eigenen Interesse, das Geschäft Oligarchen aus dem Umfeld der russischen Regierung zu überlassen, sagte Greubel. Metro hat in Russland 93 Märkte, 89 in eigenem Besitz.

Der Krieg hat bei Metro dennoch deutliche Spuren hinterlassen. Der Umsatz im Geschäftsjahr 2022/23 ging auch infolge der Kaufzurückhaltung deutlich um 7,9 Prozent in lokaler Währung zurück, der berichtete Umsatz wegen negativer Wechselkurseffekte noch stärker (minus 13,6 Prozent). Bei Metro wird erwartet, dass der Negativtrend anhält.

Laut dem Ost-Ausschuss der deutschen Wirtschaft verzeichnete der Russland-Handel insgesamt im vergangenen Jahr einen historisch beispiellosen Einbruch um 75 Prozent. Die Rohstoffgroßmacht, einst wichtiger Gas- und Öllieferant für Deutschland, fiel auf Platz 38 der Handelspartner hinter Slowenien (2022: Platz 14). Der deutsche Handel mit Russland schrumpfte im Zuge der Sanktionen 2023 um drei Viertel auf 12,6 Milliarden Euro. „Die früher von Energieträgern dominierten Einfuhren sanken nach dem Beginn des Ölembargos Anfang 2023 um 90 Prozent auf nur noch 3,7 Milliarden Euro“, hieß es.


Westliche Güter über GUS-Länder und Türkei

Einen Großteil der Sanktionen bei westlichen Gütern umgeht Russland nach Angaben des Münchner Ifo-Instituts über die GUS-Ländergruppe sowie die Türkei. Nach Informationen des Forschungsinstituts exportierten Armenien, Kasachstan, Usbekistan, Kirgistan und die Türkei 2022 rund 50 Mal mehr Güter nach Russland, die kritisch für die russische Wirtschaft oder wichtig für die Militärindustrie sind, als sie 2019 an allgemeinen Gütern in alle Zielländer exportierten. „Dies deutet mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit auf Sanktionsumgehung hin“, erklärte die Ifo-Außenwirtschaftsexpertin Feodora Teti. In der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) hat sich ein Großteil der ehemaligen Sowjetrepubliken zusammengeschlossen. (afp)


Vertreten sind aber weiter Hunderte deutsche Unternehmen in Russland – vor allem in Bereichen, in denen westlichen Sanktionen nicht gelten, um nicht den einfachen Menschen im nach Fläche größten Land der Welt zu schaden. Beispiele sind die Branchen Lebensmittel, Landwirtschaft, Gesundheit und Pharma. Aber insgesamt gilt die Lage als extrem instabil.

Globus etwa betreibt in Russland ausschließlich Lebensmittelmärkte. Die Investitionen seien zwar „frühzeitig und signifikant“ reduziert worden. „Dennoch leisten die Märkte weiterhin einen Beitrag zur Grundversorgung der russischen Zivilbevölkerung“, sagt eine Sprecherin auf Anfrage. „Darüber hinaus zeigen verschiedene Beispiele und verabschiedete Gesetze, dass ein Rückzug aus dem russischen Markt zur Enteignung von Unternehmen führen kann, womit dem russischen Staat erhebliche Vermögenswerte zufallen würden.“

Solche Ängste, dass Betriebe per Erlass Putins unter Zwangsverwaltung gestellt werden, halten sich, seit Russland die beiden internationalen Marken Danone und Carlsberg unter Kontrolle nahm. Auch für Unternehmen, die nicht von Sanktionen betroffen sind, stellt sich die Frage, ob es vertretbar ist, im Land zu bleiben. In der Ukraine werden westliche Unternehmen, die in Russland weiter Geschäfte machen, bisweilen als „Sponsoren des Krieges“ öffentlich gebrandmarkt.

In die Kritik geraten war auch Ritter Sport dafür, weiter Schokolade nach Russland zu liefern. Das Unternehmen beschloss daraufhin, nicht mehr in den russischen Markt zu investieren, Werbung zu stoppen und den Gewinn aus dem dortigen Geschäft an humanitäre Hilfsorganisationen zu spenden. Doch Russland war für Ritter Sport nach Deutschland auch 2023 der größte Absatzmarkt – wenngleich bei leicht rückläufigem Umsatz.

Viele Russen schätzen deutsche Waren. „Alles ist aber sehr teuer geworden“, klagt eine Seniorin im Supermarkt Perekrjostok am Kiewer Bahnhof in Moskau. Auch mit ihrer vergleichsweise guten Moskauer Rente von rund 300 Euro könne sie sich nicht alles leisten. Sie hat Kefir, Milch und Käse aus der Molkerei des deutschen Unternehmers Stefan Dürr im Korb. Sein Foto lässt der Baden-Württemberger, der Verwaltungschef des russischen Milchwirtschaftsverbandes Sojusmoloko und mit dem Unternehmen EkoNiva größer Produzent des Landes ist, als Markenzeichen auf die Verpackungen drucken.

Für jüngere Moskauer mit höheren Einkommen und anderen Bedürfnissen aber tun sich wegen der Sanktionen bisweilen Hürden auf. „Computerprogramme zum Beispiel sind wegen der Sanktionen nicht einfach weiter nutzbar wie vor den Sanktionen“, erzählt der junge Grafiker Andrej. Hier ist nicht nur eine Umgehung des russischen Teils des Internets durch einen VPN-Server nötig, um etwa Grafikprogramme anwenden zu können. Auch die Bezahlung von Software-Abonnements ist umständlicher geworden.

Vermögende müssen auf fast nichts verzichten

Weil Visa und Mastercard ihre Systeme in Russland abgeschaltet haben und auch viele Banken vom internationalen Finanzkommunikationsnetzwerk Swift abgetrennt sind, können Zahlungen nicht mehr ohne Weiteres abgewickelt werden. Andrej hat ein Konto in der früheren Sowjetrepublik Usbekistan eröffnet, um so online und mit einer Visakarte seine Software einzukaufen und zu bezahlen.

Für reiche Russen aber, die sich selbst lange Aufenthalte in Dubai, Thailand und anderswo leisten können, gelten die Möglichkeiten ohnehin als unbegrenzt. Sie lächeln die Sanktionen weg. Vermögende können in Moskaus Autohäusern weiter beliebige Modelle bestellen und auch in den Luxuskaufhäusern und Edelboutiquen internationaler Designer einkaufen. Sie finden stets Wege, Sanktionen zu umgehen. Wie auch Putin einmal sagte, gibt trotz der Strafmaßnahmen weiter alles wie vor dem Krieg. Am Ende sei das nur eine Frage des Geldes. (dpa)