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Interview zum Thema Wurst„Vom neuen Kennzeichen lebt kein Schwein besser“

Lesezeit 4 Minuten
Wurst

Ist die Wurst-Vielfalt in Gefahr? Laut Sarah Dhem sind viele Betriebe in ihrer Existenz bedroht (Symbolbild).

Wenn in Politik und Medien über Fleischkonsum gesprochen und geschrieben wird, geht es meistens darum, dass die Menschen weniger Fleisch essen sollten. Der Gesundheit und der Umwelt zuliebe. Fleischersatzprodukte und deren Hersteller bekommen derzeit viel Aufmerksamkeit. Sarah Dhem, Präsidentin des Bundesverbandes der deutschen Wurst- und Schinkenhersteller (BVWS), fordert im Interview mit Dirk Fisser eine Priorisierung für die Wurstproduzenten.

Frau Dhem, die Energiepreise gehen durch die Decke. Haushalte, Unternehmen, alle ächzen. Wie ist die Lage in Ihrer Branche?

Das ist eine Katastrophe. Die Wurstbranche ist sehr energieintensiv: Wärme, Strom, Wasser – ohne kriegen wir die Wurst nicht fertig. Diese Kostensteigerungen sind für viele Betriebe existenzbedrohend. Wer jetzt noch alte Lieferverträge mit seinem Energieunternehmen hat, der weiß, dass es ihn dann spätestens 2023 treffen wird.

Um wie viel Prozent hat sich denn die Produktion aktuell verteuert? Neben den Energiepreisen sind ja zuletzt auch wieder die Preise für ihren Rohstoff angezogen: die Schweine.

Im Juli haben einige Unternehmen unserer Branche Mehrkosten von 35 Cent pro Kilogramm Endprodukt verzeichnet. Aktuell haben sich diese Mehrkosten erhöht – auf 50 Cent pro Kilogramm Endprodukt und mehr. Hauptgründe dafür sind gestiegene Energie-, Personal- und Beschaffungskosten. Tendenz der Preise: weiter steigend.

Also müssen sich die Kunden im Supermarkt darauf einstellen, dass die Wurst deutlich teurer wird?

Natürlich müssten wir die Preissteigerungen eigentlich weitergeben. Das hält sonst kein Produzent auf Dauer aus. Alle Marktteilnehmer haben Angst, die Inflation zu befeuern. Gleichzeitig drohen die Endabnehmer mit Vertragsstrafen, wenn die Liefermengen nicht erreicht werden können.

Die Politik hat ein umfassendes Hilfspaket auf den Weg gebracht. Was fordern Sie darüber hinaus?

Die Lebensmittelproduktion muss für den Fall von Gasengpässen priorisiert werden. Auch in einer Krise müssen Menschen ernährt werden. Ich verstehe absolut nicht, dass das noch nicht geklärt ist. Das ist grob fahrlässig. Und übrigens geht das auch an der Lebensrealität der meisten Menschen vorbei, wenn man den Stellenwert von Wurst in der Gesellschaft betrachtet. Die Wurst gehört zum Leben der Menschen dazu.

Das Agrarministerium in Berlin hat einen Vorschlag für ein fünfstufiges Haltungskennzeichen vorgelegt. Mit dem sollen Verbraucher künftig erkennen, wie das Schwein gelebt hat. Im ersten Schritt wird nur Frischfleisch und keine Wurst gekennzeichnet: Wie finden Sie den Plan?

Auf einer Skala von 1 bis 10 lande ich bei minus 5. Da wird nur der Ist-Zustand gekennzeichnet. Das verändert nichts in den Ställen, davon lebt kein Schwein besser. Es entstehen nur zusätzlicher Verwaltungsaufwand und damit zusätzliche Kosten. Das Fleisch wird im Zweifelsfall also teurer, obwohl im Stall nichts besser geworden ist. Einen Anreiz für bessere Tierhaltung schafft das Kennzeichen nicht. Im Gegenteil: Wer seine Tiere jetzt besser hält, wäre wirtschaftlich künftig besser dran, wenn er zum gesetzlichen Mindeststandard zurückkehrt, weil die Finanzierung privater Tierwohl-Programme wackelt.

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Ist das wirklich so oder geht das an der Lebensrealität der meisten Menschen vorbei? Wir haben eine repräsentative Umfrage in Auftrag gegeben. Dabei kam heraus: 82 Prozent der Deutschen halten Wurst für ein Kulturgut, 65 Prozent fühlen sich von der aktuellen Ernährungspolitik nicht mitgenommen. Da findet also Politik am Verbraucher vorbei statt. Knapp die Hälfte der unzufriedenen Befragten hat gesagt, es wird zu viel über fleischlose Ernährung gesprochen.

Und das heißt aus Ihrer Sicht was genau für die Diskussion ums Haltungskennzeichen und die Tierhaltung?

Das sollten die Diskussionen dann auch widerspiegeln. Wir müssen jetzt gemeinsam die Ernährung der Zukunft gestalten. Nur: Es ist nicht richtig, den Bürgern Vorschriften über ihr Essen zu machen. Man kann den Standpunkt haben, die Landwirtschaft muss reformiert werden. Das ist in Ordnung. Aber das ist eine Mammutaufgabe. Das geht nur in kleinen Schritten und nicht in einem Hauruck-Aufschlag. Das macht mehr kaputt, als dass es die gewünschte Veränderung bringt. Ich erwarte von einem Minister auch die Einsicht: Ok, das ist komplizierter als gedacht.