Quick-CommerceLebensmittel-Lieferdienste kämpfen um Kunden
Berlin – Mitten in der Corona-Krise tauchten sie plötzlich auf: Start-ups wie Gorillas, Flink oder Getir. Sie bauten in den Metropolen ein dichtes Netz an Warenlagern auf, stellten Hunderte Fahrer ein und versprachen, Supermarktprodukte in wenigen Minuten nach Hause zu liefern. Per App können Kunden bequem zum Supermarktpreis bestellen. Quick Commerce wird das Segment genannt. Die Nachfrage boomte in der Krise, bei Investoren saß das Geld locker. Doch das hat sich längst geändert.
Quick Commerce war das Thema 2021
„Quick Commerce war das Thema 2021, das im Handel am stärksten durch die Decke gegangen ist“, sagt Kai Hudetz, Geschäftsführer beim Institut für Handelsforschung in Köln (IFH). „Man musste schon damals kritisch hinterfragen, ob es ein funktionierendes Geschäftsmodell sein kann, einen einzelnen Joghurtbecher in fünfzehn Minuten an den Schreibtisch zu bringen.
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In den vergangenen zwei Jahren haben Lieferdienste davon profitiert, dass Menschen Kontakt vermeiden wollten und deshalb ihre Zurückhaltung beim Online-Kauf von Lebensmittel aufgegeben haben. Entsprechend ausgebaut wurde das Angebot.
Nun folgt die Ernüchterung. Der Lieferdienst war Mittel zum Zweck, nachhaltig verändert hat sich das Einkaufsverhalten der Kunden nicht. Und jetzt, wo die Maskenpflicht im Supermarkt Geschichte ist, suchen Verbraucher sich Gemüse & Co. lieber wieder selbst aus.
Auf Dauer werden sich nicht alle Lieferdienste behaupten können. Viele werden verschwinden oder als Logistiker die Funktion eines Subunternehmers für die großen Lebensmittelhändler übernehmen. Erste Partnerschaften gibt es. Eine Win-Win-Situation für beide Seiten, denn teure Doppelstrukturen kann sich niemand leisten.
Zudem wird sich auch das Liefergebiet verkleinern. Nicht alle Regionen lohnen sich. Denn es braucht eine kritische Masse an Bestellungen, die schon in Ballungszentren schwer zu erreichen ist.
Inzwischen spürt auch die Branche das Ende der Corona-Beschränkungen, die Inflation und auch den Krieg in der Ukraine. Die Nachfrage nach Online-Lebensmitteln ist deutlich zurückgegangen. Die Investoren sind laut Hudetz zurückhaltender. Mancher Lieferdienst, der auf schnelles Wachstum gesetzt hat, steckt nun in Schwierigkeiten. Das Berliner Start-up Gorillas etwa verkündete vor wenigen Monaten erst den Abbau von Hunderten Stellen in der Verwaltung und gab kürzlich einige Standorte auf.
Liefergebühren bestimmen den Kauf
Der Wettbewerbsdruck ist angesichts vieler Akteure auf dem Markt enorm, der Unterhalt von eigenen Warenlagern teuer. Hinzu kommt das Selbstbewusstsein der Beschäftigten, die mit ihrem Kampf für eine bessere Bezahlung, sichere Arbeitsbedingungen und Betriebsräte zunehmend erfolgreich sind. An den Preisen zu schrauben ist wiederum riskant. „Sobald etwa Liefergebühren genommen werden, fährt der Kunde eben häufig selbst die 300 Meter zum Supermarkt und kauft sich, was er braucht, oder bestellt beim günstigeren Konkurrenten“, sagt Hudetz.
Dennoch bleibt den Unternehmen kaum etwas anderes übrig. Flink bietet kostenlose Lieferungen eigenen Angaben zufolge inzwischen erst ab einer Warenkorb-Größe von 50 Euro an. Vom einst zehnminütigen Lieferversprechen haben sich alle verabschiedet.
Lebensmittel-Lieferdienste werden bleiben
Der Markt konsolidiere sich, einige Unternehmen würden aufgeben, andere blieben, sagt IFH-Handelsexperte Hudetz. Doch verschwinden werde das Angebot nicht. Zu groß bleibe das Wachstumspotenzial. 204 Milliarden Euro Umsatz machte der Einzelhandel im vergangenen Jahr mit Lebensmitteln laut Handelsverband Deutschland (HDE). Der Online-Anteil lag bei 2,4 Prozent.
Zahlungskräftige Wettbewerber bringen sich in Stellung. Der Lieferkonzern Takeaway dominiert mit seiner Marke Lieferando in Deutschland seit Jahren den Markt für Restaurant-Lieferungen. Vor einigen Tagen hat Lieferando ein eigenes Warenlager für Lebensmittel in Berlin-eingerichtet. Von dort aus werden testweise mehr als 1000 Produkte von lokalen Marken an die Kundschaft geliefert. Auch große Einzelhandelsketten wie Rewe oder Edeka sind mit eigenen Diensten schon länger dabei. Rewe etwa ist neben einem eigenen Angebot auch beim Start-up Flink investiert.
Für die Verbraucher wiederum könnte die Entwicklung bald eine Umstellung bedeuten. Lieferungen werden länger dauern und auch teurer werden, sagt Hudetz. „Sie müssen sich von den Zehn-Minuten-Lieferversprechen für alle und for free verabschieden. Es wird auf einen Premium-Service hinauslaufen.“ (dpa)