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Interview

Sozialethiker über China-Geschäfte
Wenn Konzerne zu Xis Helfershelfern werden

Lesezeit 5 Minuten
VW-Produktion in China: Das Unternehmen steht wegen eines seiner dortigen Werke unter erheblichem öffentlichen Druck.

VW-Produktion in China: Das Unternehmen steht wegen eines seiner dortigen Werke unter erheblichem öffentlichen Druck.

Risiko China: Wie stark gefährdet die Abhängigkeit vom Reich des Präsidenten Xi Jinping westliche Unternehmen? Und was können sie jetzt tun? Fragen an den Kölner Sozialethiker Elmar Nass.

Wenn Manager eines Unternehmens zu Ihnen kommen, das stark in China investiert oder massiv auf Zulieferungen von dort angewiesen ist, und denen das Ganze allmählich vielleicht ein bisschen unheimlich wird – was empfehlen Sie?

Als Sozialethiker gebe ich lieber Denkanstöße als konkrete Empfehlungen. Ich bin kein Unternehmensberater und will mir keine Expertise anmaßen, die mir nicht zusteht. Ich gebe langfristige Gefahren für das Unternehmen zu bedenken. So sollten die von den G 7-Staaten formulierten Ideen des „De-Risking“ und deren Gründe ernst genommen werden. Das heißt: Abhängigkeiten müssen reduziert, Lieferketten gesichert werden. Technologieentwicklung sollte nicht weiter nach China verlagert werden, sondern umgekehrt stärker wieder hierzulande vorgenommen werden. Man sollte international nach alternativen Handelspartnern Ausschau halten und solche Beziehungen ausbauen. Es geht also nicht um einen plötzlichen Cut der Beziehungen, sondern um eine jetzt ansetzende nachhaltige Transformation zu mehr Diversität.

Viele Entscheider haben auf einen marktwirtschaftlichen Wandel in China vertraut. Aber was meint die chinesische Führung mit Marktwirtschaft?

Die Hoffnung auf einen „Wandel durch Handel“ ist gescheitert. Der Traum, dass gute Wirtschaftsbeziehungen und die Begegnungen mit der westlichen Kultur China zu einer freiheitlichen Marktwirtschaft verwandeln, ist zerplatzt. Das Gegenteil ist der Fall. Das Regime sendet überzeugte Kader in den Westen, die hier nützliches Wissen zu Wirtschaft und Gesellschaft abschöpfen. Dies wird zunächst von freiheitlichen Begründungen gesäubert und dann in den Rahmen der sozialistischen Staatswirtschaft integriert. Das gilt etwa für Privatunternehmen, die durch politische Kader kontrolliert werden, für Ansätze von Privateigentum, für Ideen von Effizienz und Motivation zu optimaler Leistung. Diese sogenannte „sozialistische Marktwirtschaft“ adoptiert also unter strenger Parteikontrolle westliche Elemente, die China zu größtmöglichem wirtschaftlichem Erfolg führen sollen, ohne die damit ursprünglich verbundenen Freiheits-Ideen zu importieren.

VW im moralischen Dilemma

Die Volkswagen AG steht wegen einer Fabrik in der Uiguren-Region Xinjiang unter Druck. Linie des Unternehmens ist es: Wir halten in unserem Werk die Menschenrechte ein. Funktioniert so eine Abgrenzung von den Verhältnissen vor dem Werkstor?

Ein Konzern wie VW ist durch Produktion und Absatzmärkte stark an China gebunden. Öffentliche Protestnoten von VW etwa gegen Menschenrechtsverletzungen hätten zwangsläufig und unmittelbar scharfe wirtschaftliche Sanktionen durch die chinesische Regierung zur Folge, mit empfindlichen Konsequenzen für Produktion und Absatz. Diese Abhängigkeit ist ein moralisches Dilemma. Ziel muss es sein, sich daraus zu befreien, um wieder offen und ehrlich auf Missstände hinweisen zu können. Das Versprechen, Menschenrechte im eigenen Unternehmen dort einzuhalten, bietet diese Befreiung nicht. Denn der politische Maulkorb ist damit nicht vom Tisch. Konzerne wie VW haben auch soziale Verantwortung, ihre Mitarbeiter nicht allein als Instrumente der Produktion, sondern als Menschen mit ihren Bedürfnissen nach Freiheit und Entfaltung anzusehen und zu fördern. Deshalb muss es für einen Weltkonzern dazu gehören, sich auch gesellschaftlich für diese Entfaltung vor den Werkstoren einzusetzen. Strategisches Ziel muss es sein, das Dilemma von Grund auf zu lösen.

Nun spricht ja auch der chinesische Präsident Xi von Menschenrechten. Kann man sich da eine Annäherung vorstellen?

Leider nein. Die Begriffe sind die gleichen, die Inhalte sind vollkommen verschieden. Wenn Xi von Menschenrechten, Demokratie, Rechtsstaat, Freiheit oder Frieden spricht, so meint er damit Bausteine seiner Ideologie. Ziel dieser Politik ist die sogenannte Sinisierung der Kultur und Werteordnung. Das heißt, solche Werte sollen im Sinne des chinesischen Marxismus umgebogen werden. Menschenrechte sind nicht individuell zu verstehen oder gar durchzusetzen. Ganz im Gegenteil. Es handelt sich um kollektive Aufgaben, die der Staat übernimmt, wie etwa die Schaffung von Wohlstand. Und weil die Partei den Staat repräsentiert, setzt sie diese Rechte auch gegenüber den Individuen durch, nicht umgekehrt. Ein Beispiel dafür ist das sogenannte Sozialkreditsystem, die perfekte Überwachung. Frieden meint die Hegemonie Chinas, Rechtsstaat meint Parteikontrolle der Gerichte usw. Es gibt sogar inzwischen Übersetzungshilfen, um die Sprache der Kommunistischen Partei zu decodieren, um sich nicht von schönen Worten in die Irre führen zu lassen.

Unternehmenskultur wird zersetzt

Besteht die Gefahr, dass China-Investitionen Unternehmen korrumpieren, ihre Compliance-Regeln ausschalten?

Diese Gefahr besteht, wenn kurzfristiger Profit die Führungsetagen blendet. Die chinesischen Partner agieren im Auftrag und unter Kontrolle der kommunistischen Partei. Deren Ziel ist es, westliches Know-How abzuschöpfen und anschließend diese Konkurrenz aus dem Markt zu verdrängen. Sie verhandeln dabei mit Informationsvorsprung und Drohpotential. All das widerspricht den Gesetzen des fairen Wettbewerbs. Wer jetzt noch im China-Geschäft Gewinne machen will, der muss solche Verzerrungen hinnehmen. Der muss sich jeder Kritik an der Staats- und Parteiführung enthalten. Der wird so mit zum Helfershelfer dieser Politik. Und noch mehr: Der zunehmende Einfluss chinesischer Konzerne bei uns verändert hierzulande die Compliance, das Verständnis von Mensch, Verantwortung, Kommunikation, Motivation und Kontrolle. Sinisierte Führungsstile zersetzen so schleichend die Unternehmenskulturen und erst recht die gesellschaftliche Verantwortung der Unternehmen. Genau diesen bisher kaum beachteten Kulturwandel wollen wir jetzt in einem neuen Verbundprojekt mit Partnern erforschen.

Und wie kommen Unternehmen aus dieser Zwickmühle raus? Das nach Einwohnern zweitgrößte Land der Welt ist ja sicher zu groß, um es zu ignorieren. Bei Rohstoffen wie Seltenen Erden hat China eine dominierende Stellung. Mit Investitionen in China stehen auch deutsche Arbeitsplätze im Feuer …

Um das ganz klar zu sagen: Unser Ziel muss es sein, zu dieser großartigen Kulturnation China und seinen Menschen ein freundschaftliches Verhältnis zu kultivieren, und das gilt natürlich auch für Handel, Wissenschaft und andere Gebiete. Mit der aktuellen Regierung ist eine solche Partnerschaft nicht möglich. Deshalb müssen wir jetzt Abhängigkeiten Schritt für Schritt zurückfahren, ohne dabei aus dem China-Geschäft auszusteigen. Rohstoffe sollten wir woanders kaufen, solange wir damit erpresst werden können. Das alles kann kurzfristig Geld und Arbeitsplätze kosten. Aber Xi will ohnehin die westlichen Unternehmen vom Markt drängen. Und je mehr wir dann in diesen Handel verwickelt sind, umso mehr Arbeitsplätze werden dann vernichtet. Eine nachhaltige Strategie erfordert deshalb jetzt einen schleichenden Rückzug und vor allem die Rückführung von Schlüsselindustrie, Forschung und Entwicklung nach Deutschland oder in andere verlässliche Länder. Notfalls durch staatliche Anreize und Hilfen.

Prof. Elmar Nass

Prof. Elmar Nass

Zur Person: Prof. Elmar Nass lehrt Sozialethik an der Kölner Hochschule für Katholische Theologie und hat unter anderem die CDU bei der Erarbeitung ihres Grundsatzprogramms beraten. Aktuell erschienen ist sein Buch: „Der globale Puppenspieler – Die Vision von Xi Jinping und eine Antwort der Freiheit“, Kohlhammer Verlag, 225 S., 26 Euro.