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Kreditversicherer warntDeutsche Autoindustrie als aussterbende Art?

Lesezeit 3 Minuten
ARCHIV - 26.03.2018, Baden-Württemberg, Dettingen an der Erms: Ein Mitarbeiter eines Autozulieferers kontrolliert die Produktion der Zylinderkopfdichtungen.  (zu dpa: «Branchenexperten: Luft für deutsche Autozulieferer wird dünner») Foto: Sina Schuldt/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Produktion von Zylinderkopfdichtungen: Die Luft für deutsche Autozulieferer wird immer dünner.

Zehntausende Arbeitsplätze in Autoindustrie sind bedroht: Laut Kreditversicherer Atradius geraten immer mehr Zulieferer in Zahlungsschwierigkeiten. Warum steckt eine einstige Vorzeigebranche so tief in der Krise? Und gibt es einen Weg aus der Klemme?

Der Kreditversicherer Atradius formuliert mit Blick auf die deutsche Autoindustrie eine deutliche Warnung. „Die deutsche und europäische Automobilindustrie darf nicht zu einer aussterbenden Art werden“, sagt Jens Stobbe, der sich bei Atradius Deutschland mit Automobilbranche befasst ist. Die deutsche Vorzeigebranche befinde sich in einer schweren Krise. Sie habe Probleme mit der Transformation zur E-Mobilität, leide unter Überkapazitäten, sinkendem Absatz und der wachsenden Konkurrenz aus China. Ein Ergebnis: ein massiver Anstieg der Schadensmeldungen in der gesamten Branche.

Der Industriesektor müsse jetzt handeln – auch wenn es ruppig wird, so Stobbe. Erkannt habe die Branche die Notwendigkeit dazu. Stellenabbau und Werksschließungen sowie die Verlagerung der Produktion ins Ausland würden bei vielen Herstellern geplant oder bereits umgesetzt. „Von Werksschließungen sind dabei nicht nur die eigenen Mitarbeiter direkt betroffen, sondern auch die Zulieferer. Wir sehen die Gefahr, dass insgesamt mehrere Zehntausend Stellen wegfallen“, so Stobbe.

Deutliche Erhöhung der Schadenssummen

Gerade bei den Lieferanten komme es zu Schadensmeldungen bei Atradius, der Produkte anbietet, mit denen sich Unternehmen vor den Ausfallrisiken beim Verkauf von Waren und Dienstleistungen auf Kredit schützen können. Im September habe sich die Zahl der Schadensmeldungen, die bei Atradius nach Lieferungen an deutsche Automobilfirmen eingingen, um 25 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat erhöht. „Wir beobachten nicht nur einen drastischen Anstieg an Unternehmen, die in Zahlungsschwierigkeiten geraten, sondern auch eine noch deutlichere Erhöhung der Schadenssummen“, so Stobbe. Der Wert der Schäden liege 50 Prozent höher als noch vor einem Jahr.

Eine Erholung der Automobilindustrie in Deutschland und somit der Zahlungsfähigkeit der Unternehmen ist laut Atradius aktuell nicht in Sicht. Der Hauptgrund: Die Branche müsse viele parallel ablaufende Prozesse bewältigen. „Die Hersteller stehen vor einer finanziellen Doppelbelastung aufgrund der andauernden Produktion von Verbrennern und dem Druck nach E-Mobilität. Gleichzeitig sinkt, vor allem auf dem chinesischen Markt, der Stellenwert europäischer Autos und somit die Nachfrage“, so Stobbe. Die aktuellen Maßnahmen seien die ersten Schritte, um in Zukunft kurzfristig auf wirtschaftliche Veränderungen reagieren und Kapazitäten anpassen zu können.

Wenn Zulieferer sich nicht mehr halten können

Das habe jetzt schon Einfluss auf die Zulieferer der Autobauer. Hier gibt es verschiedene Stufen: Modulzulieferer oder OEM (Tier-1) und deren Vorlieferanten (Tier-2). Tier-2-Zulieferer beziehen Vorprodukte, aus denen sie Komponenten herstellen. Die liefern sie an die Modulherstelle (Tier-1), die dann etwa komplette Bremssysteme oder Infotainment-Konsolen an den Autobauer liefert, zu dem Zeitpunkt, an dem der die am Band benötigt. Tier-2-Zulieferer produzieren teilweise bis zu 70 Prozent ausschließlich für einen OEM und sind auf die Abnahme angewiesen. Je schlechter die wirtschaftliche Lage der OEMs ist, desto schwieriger wird es für deren Zulieferer. „Können die Hersteller nicht mehr zahlen, oder setzen die Produktionslinie ab, haben viele Tier-2-Zulieferer keine anderen Abnehmer und können sich finanziell nicht halten“, so Jens Stobbe.

Für eine Linderung der Krise bedarf es verschiedener Maßnahmen. „Strafzölle würden nur den Zugang zum verbliebenen asiatischen Markt versperren“, mahnt Jens Stobbe und ergänzt: „Wir müssen vor allem die Akzeptanz und den Optimismus für E-Mobilität in Deutschland fördern.“ Dazu müssten allerdings die entsprechenden Rahmenbedingungen geschaffen werden, wie etwa eine breite Ladeinfrastruktur, verlässliche und günstige Ladetarife sowie bezahlbare E-Fahrzeuge.