Abschließbare Radboxen, Cafés, Coworking-Space und jede Menge Service: Der Verkehrsverbund Rhein-Sieg wirbt für den Aufbau von Mobilstationen an Bahnhöfen der Region.
Mobilstationen in der RegionRaum für echte Visionen im Nahverkehr – neues Konzept
Öffentlicher Personennahverkehr (ÖPNV) wird oft als ärgerliche Notwendigkeit in Kauf genommen, der Pendler sich trotz vieler Unregelmäßigkeiten aussetzen, weil das Autofahren noch nerviger wäre. Dass der ÖPNV aber auch Raum für echte Visionen bietet, zeigt das Konzept zu Mobilstationen, dass go.Rheinland (vormals Nahverkehr Rheinland GmbH) entwickelt hat.
Wo heute ein verlassener Vorortbahnhof mit Angsträumen und unzureichenden weiteren Anbindungen ist, könnte es auch so aussehen: An einem Servicepunkt informieren nicht nur Tafeln, sondern echte Menschen über das Angebot zur Weiterfahrt. Die Fahrradstellplätze sind wettergeschützt überdacht. Wer mag, kann eine abschließbare Box für sein Fahrrad mieten. In einem Café vor Ort gibt es nicht nur ein WC und einen kleinen Snack, sondern auch einen Coworking-Space fürs mobile Arbeiten. Obwohl Autos auf dem Rückmarsch sind, stehen noch einige Parkplätze, Taxen, Ladestationen für E-Autos und eine kleine Carsharing-Flotte zur Verfügung. Sitzgelegenheiten sind überdacht, alles ist barrierefrei, gut beleuchtet und so attraktiv gestaltet, dass sich der Platz zum Treffpunkt entwickelt.
Ein Wunschtraum? „Man merkt: Wo Mobilität Chefsache geworden ist, passiert auch etwas“, sagt Theo Jansen, Leiter des Mobilitätsmanagements bei der Verkehrsbund Rhein-Sieg GmbH. Von 460 möglichen Standorten im Einzugsgebiet, die der Verbund 2019 mit Hilfe von Gutachtern identifiziert hatte, sind an 80 bereits Mobilstationen entstanden. Individualität unter einem gemeinsamen Dach gehört dabei mit zum Konzept, denn nicht überall werden alle Elemente umgesetzt. „Wir fordern ein, dass genutzt wird, was das Beste für die jeweilige Situation ist“, so Dr. Norbert Reinkober, Geschäftsführer der go.Rheinland GmbH.
Förderung bis zu 90 Prozent der Maßnahmen möglich
In Seminaren erarbeiten Mitarbeiter von go.Rheinland mit Politikern und Stadtverwaltungen auf kommunaler Ebene, was vor Ort sinnvoll und möglich ist. Wichtig dabei: Die Seminare sind nicht öffentlich. Politiker können Fragen stellen oder Meinungen äußern, ohne sich darum zu sorgen, dass Unkenntnis oder Statements später zitiert werden. Das helfe bei der Herausforderung, alle mit ins Boot zu holen. „Es ist ein kultureller Bruch, das schafft man nicht in einer Legislatur und nicht mit nur einer Fraktion“, betont Jansen, der auch klar macht: „Wir haben keine Zeit mehr. Es gibt vom Bundesverfassungsgericht ein Urteil zum Klimaschutz, weitere werden wahrscheinlich folgen.“
Der Zeitgeist sprach jahrzehntelang eine andere Sprache, im Fokus stand die autogerechte Stadt, erinnert Reinkober und berichtet: Schon in den 1980er Jahren hätten Jansen und er mit Professor Joachim Fiedler vom Wuppertaler Lehrstuhl für Öffentliche Verkehrs- und Transportsysteme an Ideen zu Sammeltaxis, Discobussen und anderen Anschlussmöglichkeiten gearbeitet, um Kunden auch dort weiterzubringen, wo Bus und Bahn keine Option waren. Umgesetzt wurde kaum etwas davon, ein Großteil der Pkw-Fahrten gelte noch heute Strecken von unter fünf Kilometern. Vor einigen Jahren begann politisch und gesellschaftlich ein Wandel. 2015 habe es ein erstes Handbuch zu Mobilstationen gegeben, so Holger Fritsch, Bereichsleiter ÖPNV-Investitionsförderung und regionale Mobilitätsentwicklung bei der go.Rheinland GmbH: „Unsere Idee war, einen Plan für die Region zu entwickeln, um Klimaschutz voranzutreiben. Mobilstationen sind ein Baustein davon.“ Mit dem Konzept und den Seminaren erhalten Kommunen konkrete Hilfestellungen, Verwaltungsmitarbeiter und -mitarbeiterinnen werden im Mobilitätsmanagement ausgebildet.
Förderprogramm von go.Rheinland deckt Großteil der Kosten
Es gibt ein Förderprogramm von go.Rheinland, mit dem bis zu 90 Prozent der Maßnahmen finanziert werden können, außerdem berät der Verbund zu weiteren Fördermöglichkeiten, um den Aufwand für die Kommunen zu reduzieren. „Sie müssen allerdings selbst planen und Flächen verfügbar machen“, so Fritsch. Ist das passiert, können sie sich für die Umsetzung ihrer Mobilstation in einen Rahmenvertrag einklinken. Auch das schont kommunale Ressourcen und führt zu schnelleren Lösungen.
„Auf diese Weise muss sich nicht jeder Gedanken darüber machen, ob Fahrradboxen verschließbar sein sollen oder nicht, ob die Schließanlage mit Karte oder mit Code funktionieren soll – und die Umsetzung geht viel schneller“, fasst Fritsch zusammen.
Oft sei es gut für die Dynamik, wenn Politiker einer Kommune erführen, dass in der Nachbarkommune bereits Maßnahmen ergriffen worden seien, so Jansen, und Reinkober ergänzt: „Abschreiben ist in diesem Fall aber absolut erlaubt.“ Je schneller gute Ideen weitergetragen werden, desto besser für Mobilität und Klima. In Brühl beispielsweise seien die Dienstwagen der Verwaltung abgeschafft worden, stattdessen nutze die Verwaltung dort jetzt Carsharing. Auf diese Weise konnte ein Carsharing-Anbieter vom Standort Brühl überzeugt werden, für den sich der Betrieb nur mit Privatkunden nicht gelohnt hätte. Nun profitieren alle Seiten und es gibt eine Alternative für Brühler, die bereit sind, auf ihren Privatwagen zu verzichten.
Als wichtige Partner sehen die Verantwortlichen von go.Rheinland neben Politik und Verwaltung auch den Einzelhandel. Traditionell sei man dort in Sorge, dass der Abbau von Parkplätzen mit dem Verlust von Kunden einhergehe, doch inzwischen setze sich langsam ein neuer Gedanke durch: Mit weniger Parkplätzen kann der öffentliche Raum als Aufenthaltsort attraktiver werden – und das wiederum ist für die Händler sehr von Vorteil, die sich gerade durch eine gute lokale Atmosphäre vom Onlinehandel abgrenzen können. Um ein Zeichen für lebendiges Miteinander an öffentlichen Plätzen zu setzen, verleiht go.Rheinland Stadtmöbel, die bereits für lage Zeit ausgebucht sind.
Zu hoffen bleibt, dass der kommunale Trend zur Experimentierfreude in Sachen Mobilitätswende sich verfestigt. Denn in einem Punkt findet Jansen unmissverständliche Worte: „Es geht nicht um ein “nice to have„. Alle Wissenschaftler sagen: Dieses Jahrzehnt ist entscheidend.“
100 Mobilstationen schon umgesetzt
Aktuell sind im Gebiet des Zweckverbands go.Rheinland rund 100 Mobilstationen in über fünf Kreisen und zwei kreisfreien Städten umgesetzt. Gelungene Beispiele sind z.B. die beiden Mobilstationen in Troisdorf Bf und Spich Bf (Rhein-Sieg-Kreis) oder die Mobilstationen in Overath Bf, Rösrath Bf sowie Wermelskirchen Busbahnhof und Burscheid Raiffeisenplatz im Rheinisch-Bergischen-Kreis, die zudem über verschließbare Fahrradboxen verfügen, die an das Buchungs- und Zugangssystem radbox.nrw von go.Rheinland und dem Zweckverband Westfalen Lippe angeschlossen sind. Darüber hinaus liegen dem Zweckverband go.Rheinland Anmeldungen für über 250 weitere Mobilstationen vor.