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Kuriose NormalitätWie Verbraucherschützer sich gegen Negativzinsen wehren

Lesezeit 6 Minuten
Geldscheine Symbol

Symbolbild

  1. Die Zinspolitik der Zentralbanken bringt Kreditinstitute unter Druck – und sie versuchen immer häufiger, die Folgen auf ihre Kunden abzuwälzen.
  2. Das wollen Verbraucherschützer nicht akzeptieren.

Köln – In der Ökonomie gilt das Gabler-Wirtschaftslexikon als Standardwerk schlechthin. „Zinsen“, heißt es da, seien der „Preis für die Überlassung von Kapital beziehungsweise Geld“. Eingrenzend auf das Bankwesen definiert Gabler den „Habenzins“ als den Preis, den „die Bank für die Einlagen an die Kunden zu vergüten hat“.

Dass sich die Realität längst von der reinen Lehre abgekoppelt hat, weiß mittlerweile fast jeder Bankkunde. Und immer mehr Sparer spüren es auch. Landauf, landab ist eine wachsende Zahl an Geldinstituten dazu übergegangen, den Kunden nicht mehr ihre Geldanlage zu „vergüten“, sondern sie mit Negativzinsen auf ihr Erspartes zu belasten.

Lange hatten derartige Minuszinsen weder in der Theorie noch in der Praxis eine Bedeutung. Die Schweiz erhob zwar in den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts einen Negativzins auf Franken-Guthaben von Ausländern, um die eigene Währung vor einer zu starken Aufwertung zu schützen. Doch das blieb ein vorübergehendes Phänomen. Nun setzen sich Negativzinsen im Bankgeschäft fest. Was erlaubt ist und was nicht, darüber gehen die Meinungen jedoch auseinander.

Die Ursache: Kostenfaktor Notenbank

Nach der Finanzkrise 2008 senkten die weltweit größten Notenbanken, so auch die Europäische Zentralbank (EZB), die Leitzinsen rigoros, um die Kreditvergabe und die Konjunktur in der globalen Rezession anzuschieben. Das Für und Wider dieser bis heute andauernden, ultralockeren Geldpoli-tik, die die EZB durch massive Anleihekäufe untermauert, wird zwar unter Experten kontrovers diskutiert, die Notenbank jedenfalls zögert einen Kurswechsel hinaus. Seit 2014 können Banken kurzfristig nicht benötigte Gelder jenseits von Freibeträgen nur zu Negativzinsen bei der EZB parken, seit September 2019 liegt dieser Einlagenzins bei minus 0,5 Prozent. Der Leitzins, zu dem Institute ihr Kreditgeschäft bei der EZB refinanzieren, verharrt seit März 2016 bei null Prozent.

Der Weg: Immer mehr Adressaten

Den Geldhäusern entstehen also bereits seit einiger Zeit Kosten, wenn sie Mittel auf EZB-Konten halten. Doch erst in letzter Zeit entwickelten sie Minuszinsen zur Norm auch ihres eigenen Kundengeschäfts. Als die Deutsche Skatbank, Schmölln, im Oktober 2014 als erstes deutsches Geldinstitut einen Negativzins für wohlhabende Anleger einführte, wurde dies noch als Kuriosität belächelt. Mittlerweile erheben laut dem Verbraucherportal Biallo bundesweit 410 Banken und Sparkassen von Privatkunden.

Grafik Negativzinse

Negativzinsen in Form von „Verwahrentgelten“ auf Tagesgeld- und/oder Girokonten. Meist liegen diese Zinsen bei minus 0,5 Prozent, teils noch niedriger.

Belasteten die Banken zunächst öffentliche und Firmenkunden, sind heute Negativzinsen auch für Privatkunden Alltag. Waren in der ersten Zeit bei den Privatkunden nur Neukunden betroffen, so bitten die Geldhäuser nun auch langjährige Kunden zur Kasse. Und nahmen die Institute anfänglich nur die wohlhabende Kundschaft ins Visier, senkten sie später Freibeträge. Laut Biallo gewähren heute 60 Banken einen Freibetrag von maximal 10 000 Euro. Hinzu kommt: Mit der Commerzbank und der Targobank kündigten im April erstmals Geldhäuser Negativzinsen auch für Sparkonten an.

Die Rechtslage: Neue Klagen drohen

Die Frage, ob und wann Banken Negativzinsen verlangen dürfen, ist strittig und nicht höchstrichterlich geklärt. Eine erste Marke setzte 2018 das Landgericht Tübingen, welches entschied, dass Minuszinsen in Neuverträgen möglich sind, in Altverträgen jedoch nur mit Zustimmung der Kunden. Geklagt hatte die Verbraucherzentrale Baden-Württemberg gegen die Volksbank Reutlingen. Das Gericht stellte fest, dass die bisherige Praxis die Bestandskunden „unangemessen benachteiligt“, womit ein Verstoß gegen § 307 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) vorliege. Nach dem Urteil speisten die Geldinstitute breitflächig Klauseln in ihre Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) ein, die Negativzinsen für Neukunden möglich machen.

Das Urteil war aber wohl nur ein Auftakt im Streit um den Minuszins, denn Verbraucherschützer planen neue Klagen. „Wir prüfen gerade, welche Verfahren in Frage kommen“, sagt Kerstin Becker-Eiselen von der Verbraucherzentrale Hamburg. Hebel ist für sie der § 488 BGB, der „Darlehensnehmer“ verpflichtet, „einen geschuldeten Zins zu zahlen“. Der dahinter stehende Gedanke: Geldinstitute nutzen Einlagen ihrer Kunden für ihr weiteres Geschäft, damit sind Einlagenverträge juristisch gesehen Darlehensverträge, also folgt eine Zinsschuld der Banken. „Einen Negativzins gibt es in diesem Zusammenhang nicht“, sagt Becker-Eiselen. Wird diese Auffassung rechtswirksam bestätigt, dürften hiervon auch Neuverträge betroffen sein.

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Bei Spareinlagen argumentieren die Verbraucherzentralen zudem, dass ein Negativzins dem beworbenen Vertragszweck der Vermögensbildung widerspreche.

Beim Bundesverband der deutschen Banken sieht man all das anders. „Die Vereinbarung von Negativzinsen mit Kunden in Bezug auf Einlagen im Neugeschäft ist nach den geltenden, rechtlichen Rahmenbedingungen regelmäßig zulässig“, sagt eine Sprecherin. Die Commerzbank erklärt: „Die sichere Verwahrung von Einlagen stellt eine Dienstleistung der Bank dar, für die ein Entgelt anfallen kann.“ Derweil will Hans-Peter Burghof, Professor für Bankwirtschaft an der Universität Hohenheim, mit Blick auf den § 488 BGB „nicht ausschließen, dass die Auffassung der Verbraucherzentralen eine rechtliche Grundlage hat“.

Die Bestandskunden: „Unter Druck“

In letzter Zeit kontaktieren Bankberater immer häufiger sparende Bestandskunden – mal telefonisch, mal schriftlich, immer aber mit dem Ziel, Negativzinsen oder Alternativen zu ihrer Vermeidung zu vereinbaren. Dazu gehört der Transfer von Vermögensteilen etwa in Fonds oder Rentenversicherungen. Becker-Eiselen stört sich am offensiven Auftritt mancher Berater: „Verbraucher berichten uns, sich unter Druck gesetzt zu fühlen.“ Unwilligen Kunden werde schnell eine Vertragskündigung angedroht. Tatsächlich stehe dies, sagt sie, den Geldinstituten „in der Regel frei“.

Die Rolle der Notenbanken

Der Hohenheimer Professor für Bankwirtschaft, Hans-Peter Burghof, zeigt mit Blick auf Minuszinsen Verständnis für die Lage der Geldinstitute: „Wenn die EZB ihrerseits einen Negativzins setzt, dann gilt der zunächst mal. In diesem Umfeld kann die Kreditwirtschaft nicht dauerhaft ihrer Wirtschaftlichkeit beraubt werden“, sagt er.

In Frankreich oder in Italien würden Geldhäuser zwar durch staatliche Subventionen in die Lage versetzt, Negativzinsen für Kunden zu vermeiden, derartige Subventionen hält Burghof aber für ordnungspolitisch fragwürdig.

„Sie machen allenfalls gesellschaftspolitisch Sinn, weil eine Regierung nicht die Sparer gegen sich aufbringen will.“ Kern des Übels ist nach seiner Einschätzung, dass die EZB sich von ihrem genuinen Auftrag, der Wahrung der Preisstabilität, entfernt habe, und ihre Politik zunehmend an einer „diffusen Zielfunktion“ - von Konjunkturstützung bis Staatsfinanzierung - ausrichte. Burghofs Schluss: Wenn Negativzinsen nicht gewollt seien, müsse Recht eben derart geschaffen werden, dass auch einer Notenbank verwehrt werde, solche zu setzen. (hs)

In jedem Fall mahnt Becker-Eiselen Kunden zur Vorsicht. Wer sein Geld zu einer anderen Bank übertragen wolle, solle auf die Einlagensicherung achten. Von der Hausbank angebotene alternative Anlageprodukte seien mitunter „nicht bedarfsgerecht, zu teuer oder zu risikoreich“. Eine Commerzbank-Sprecherin sagt dazu: „Am Ende geht es darum, Lösungen zu finden, die für beide Seiten sinnvoll sind.“ Auch bei der Sparkasse Köln Bonn heißt es: „Wir beraten hierzu individuell und können gemeinsam gute Lösungen finden.“

Was widerwilligen Sparern im Zweifel droht, zeigt die Stadtsparkasse Düsseldorf. Das Kreditinstitut sperrte im April sechs Kundenkonten und leitete das Antragsverfahren für die Übergabe des dort liegenden Geldes, rund drei Millionen Euro, an das Amtsgericht ein. Die Kontoinhaber hatten sich auf die Aufforderung, einem Verwahrentgelt zuzustimmen, nicht gemeldet. Derartige Schritte hält etwa die Kreissparkasse Köln laut eines Sprechers bei sich für „nur sehr schwer vorstellbar“.

Auch wenn es also nicht immer zum Äußersten kommt, erwartet Becker-Eiselen doch, dass der Druck auf die Bestandskunden anhält. „Es ist zu befürchten“, sagt sie, „dass sich diese Praxis weiter fortsetzt.“

Ein neuer Weg dabei: die Deckelung von Kontoguthaben. Die Sparkasse Köln Bonn etwa führte jüngst einen zulässigen Maximalbetrag auf Normalsparkonten von 100 000 Euro ein. In Gesprächen mit Kunden, die darüber liegen, möchte man „eine Vereinbarung über die Einhaltung der Höchstgrenze treffen“, sagt ein Sprecher. „Kein Thema“ sei es jedoch, Sparkonten zu kündigen. „Wir sind zuversichtlich, dass wir mit unseren Kundinnen und Kunden eine Einigung finden werden.“