Um die Energiekrise zu bewältigen, wird LNG-Gas per Schiff etwa aus Katar importiert. Dabei gibt es auch große heimische Gasreserven. Förderunternehmen drängen und wollen bohren: Sie könnten den Gaspreis senken, sagen sie.
Kommt jetzt das Fracking?Welche heimischen Gasreserven es gibt – und wie man sie erschließen könnte
Ein Schiff wird kommen, die „Höegh Esperanza“, um genau zu sein. „Hoffnung“ heißt der Name übersetzt, und er könnte kaum passender sein: Im Bauch des Spezialschiffes soll vor Wilhelmshaven verflüssigtes Erdgas „regasifiziert“ und dann ins deutsche Pipeline-Netz eingespeist werden. Warum eigentlich? Deutschland sitzt selbst auf großen Gasreserven. Man müsste sie nur anzapfen.
Doch statt auf den deutschen Boden richten sich die bangen Blicke gen Küste. Gas aus fernen Ländern wie Katar soll die Lücken schließen, die seit dem Wegfall der Lieferungen aus Russland klaffen. Dass das teuer wird, hat sich mittlerweile rumgesprochen.
Heimische Produktion könnte verdoppelt werden
Aber auch, dass es eine deutsche Alternative gibt, dringt langsam wieder ins Bewusstsein. Förderunternehmen sind so aktiv wie lange nicht mehr, halten eine Verdopplung der heimischen Produktion für möglich.
Und das ganz ohne konventionelles Fracking, heißt es seitens Wintershall Dea. Das Unternehmen fördert Erdgas insbesondere im Raum Verden in Niedersachsen. Fracking – die bekannteste Methode zur Förderung – ist trotz des großen Potenzials nach wie vor öffentlich verpönt. Und das unkonventionelle Schiefergas-Fracking nach wie vor verboten.
Beim Fracking wird mit hohem Druck ein Wasser-Sand-Chemikalien-Gemisch in den Untergrund gepresst. So werden die gasführenden Gesteinsschichten „aufgeknackt“. Der politisch-gesellschaftliche Widerstand gegen die Technik ist groß. Aber nicht immer muss neu gefrackt werden, um ans Gas zu kommen.
Fracking stößt auf massive Gegenwehr
Müsste man eine Geschichte über das schwierige Verhältnis Deutschlands zu seinen Gasreserven schreiben, wäre die Bohrung Wisselshorst Z1 in Niedersachsen ein vorzügliches Beispiel. Sie liegt zwischen den Großstädten Hamburg, Bremen und Hannover. Der Vogelpark Walsrode ist nicht weit.
Ende der 90er bohrte sich die Preussag Tausende Meter in den Untergrund. Mithilfe eines Fracks sollte versucht werden, dem Sandstein Erdgas zu entlocken – erfolglos. Es wurde still ums Bohrloch. Bis Vermilion übernahm: Der kanadische Konzern will das bestehende Bohrloch für eine Querbohrung nutzen, um möglicherweise daneben liegende Erdgasquellen anzuzapfen.
Als die Pläne 2018 öffentlich bekannt wurden, passierte das, was an vielen anderen Orten passiert: Bürgerinitiativen formierten sich gegen das Fördervorhaben. Politiker solidarisierten sich mit den Gegnern. Von einem „Kampf gegen die geplante Erdgasbohrung“ schrieb der örtliche Bundestagsabgeordnete Lars Klingbeil 2020 in einer Presseaussendung. Heute ist er Bundesvorsitzender der Regierungspartei SPD, die Probebohrung immer noch nicht erfolgt und Russland im Krieg mit der Ukraine.
Deutschland braucht dringend Gas
Doch es kommt Bewegung in die Sache mit der Gasförderung. Das zuständige Landesamt für Bergbau, Energie und Geologie (LBEG) hat entschieden, dass eine sogenannte Umweltverträglichkeitsprüfung für das Projekt nicht erforderlich ist. „Damit wird eine Realisierung des Vorhabens in 2023 wahrscheinlich“, teilt ein Vermilion-Sprecher unserer Redaktion mit.
Vor Ort formiert sich erneut Protest. Aber die äußeren Umstände sind dieses Mal andere. Deutschland braucht dringend Gas. Der Konzernsprecher formuliert es so: „Nach wie vor wird in der Öffentlichkeit der große Vorteil, den die heimische Produktion vor Importen hat [...] nicht erkannt.“
Es sei noch kein Stimmungsumschwung hin zu einer positiveren Sichtweise auf die heimische Förderung zu erkennen. „Immerhin ist festzustellen, dass in Niedersachsen bestimmte Genehmigungsprozesse zügiger bearbeitet werden.“
Heimische Förderung deckt nur fünf Prozent des Bedarfs
Vermilion hat derzeit mehrere Öl- und Gasförderprojekte im Köcher, die einen Beitrag zur deutschen Versorgungssicherheit leisten sollen, wie es der Sprecher etwas pathetisch formuliert: „So starten in Kürze Bohrarbeiten in den Ölfeldern Vorhop und Vorhop-Knesebeck bei Schönewörde. Ebenso konkretisieren sich zurzeit weitere kurz- bis mittelfristige Gasprojekte.“
Die Kanadier sind nicht die einzigen, die die Förderquote nach oben treiben wollen. Derzeit kann die heimische Gasförderung rund fünf Prozent des deutschen Bedarfs decken.
Auch bei Wintershall Dea arbeitet man daran, die Ausbeute zu erhöhen. Ein Sprecher teilt mit, man wolle die Förderung binnen zwei bis drei Jahren um zehn Prozent steigern. Er schränkt aber ein, was die Zielmarke angeht: „Dafür brauchen wir letztlich aber auch die politische Rückendeckung und den politischen Willen. Denn über die genehmigungspflichtigen Projekte entscheiden Behörden.“
Auch ohne Fracking gibt es weitere Möglichkeiten
Es geht dabei nicht zwangsläufig um neue Fracks. Nach Angaben des Bundesverbandes Erdgas, Erdöl und Geoenergie (BVEG) wurde seit gut zehn Jahren schon nicht mehr in Deutschland gefrackt. Konventionell wohlgemerkt. Das unkonventionelle und besonders umstrittene Schiefergas-Fracking hat es in Deutschland ohnehin noch nie gegeben.
Aber auch ohne Fracking, etwa durch Querbohrungen oder das bessere Ausbeuten bestehender Felder, ließe sich die Förderquote deutlich erhöhen. Wie bei fast allen Energiethemen geht es auch dabei wieder um Norddeutschland. Gerade unter Niedersachsen schlummern die größten heimischen Reserven in erreichbarer Tiefe.
Der Wintershall-Sprecher wagt eine Prognose: „Sollten andere Erdgasproduzenten in Deutschland dem Beispiel folgen und die Politik die Kraftanstrengungen unterstützen, könnte es durchaus möglich sein, den Anteil der heimischen Produktion am deutschen Erdgasverbrauch auf einen wieder zweistelligen Anteil zu verdoppeln.“
Ohne neue Fracks wohlgemerkt. Das gilt auch für eines der aktuell größten Projekte im Förderbereich: Neptune Energy bringt derzeit ganz im Westen von Niedersachsen in der Grafschaft Bentheim eine Bohrung in die Tiefe, um ein neues Erdgasfeld zu erschließen. 3600 Meter sei man schon tief gekommen, teilt das Unternehmen mit.
Ein paar Wochen noch, dann wird der Zielkorridor erreicht. Bereits jetzt fördert Neptune im nahen Adorf aus zwei Bohrlöchern Gas aus diesem Feld. Eine vierte Bohrung ist bereits genehmigt und soll 2023 beginnen. Insgesamt rechnet Neptune damit, den Jahresbedarf von 200000 Haushalten aus der Lagerstätte in der Grafschaft mit Gas versorgen zu können.
Geht da nicht noch mehr? Ja, heißt es vom Dachverband BVEG. Wenn Deutschland seine Scheu vor unkonventionellem Fracking in Schiefergestein verliere. Eine Sprecherin teilt mit: „Sollte Schiefergas in Deutschland gefördert werden, wäre ein Hochlauf auf zehn Milliarden Kubikmeter Förderung pro Jahr binnen drei bis fünf Jahren realistisch möglich.“
Mit entsprechendem politischen Rückhalt „käme der Anteil heimischer Produktion dann wieder in den Bereich von 20 Prozent“. Und das, so die Schlussfolgerung des Verbandes, hätte für alle spürbare positive Auswirkungen auf den Gaspreis.
Noch schließt die Politik diese Art des Frackings aber prinzipiell und ohne Diskussion darüber aus. Fracking werde es mit ihm nicht geben, bekundete zuletzt etwa der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil (SPD). Stattdessen wird gewartet. Auf die „Höegh Esperanza“ und das Gas aus fernen Ländern.