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Neue Anbaugebiete durch KlimawandelWarum jetzt Wein am Niederrhein wächst

Lesezeit 3 Minuten
20.09.2023, Schweiz, Fläsch: Blauburgunder-Trauben, fotografiert bei der Weinlese bei Heinz Kunz von Gatluzi Weinbau. Foto: Gian Ehrenzeller/KEYSTONE/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Eine gute Ernte erwarten die Pioniere der Niederrhein-Winzer. Foto: Gian Ehrenzeller/KEYSTONE/dpa

Eine Erfolgsstory, mit der nicht zu rechnen war. Weinbau boomt in NRW. Was die Winzer vom Niederrhein jetzt erwarten.

Die Sonne steht bereits tief über Geldern, die nahe Bundesstraße 58 bewältigt gerade den Feierabendverkehr, als Silke Gorißen auf einem ehemaligen Kartoffelacker fast so etwas wie Urlaubsstimmung verspürt: „Dass man hier am Niederrhein mal Weinbau betreiben würden, hätten wir nie gedacht“, schwärmt die Landwirtschaftsministerin von NRW.

Gorißen, die selbst aus der Gegend kommt und bis vergangenen Sommer Landrätin des Kreises Kleve war, bestaunt bei einem Ortstermin eine der wenigen faszinierenden Folgen des Klimawandels: Der Weinbau in Nordrhein-Westfalen boomt inzwischen. Gab es bis vor wenigen Jahren gerade einmal vier Winzer in den klassischen Anbaugebieten im Siebengebirge, haben inzwischen mehr als 30 professionelle Erzeuger in ganz NRW ihre Reben gepflanzt.

Weinbau: Niederrhein bietet „mittlerweile klimatisch gute Voraussetzungen“

„Während die traditionellen Weingebiete in Deutschland vermehrt Probleme mit der Trockenheit bekommen, bietet der Niederrhein mittlerweile klimatisch gute Voraussetzungen“, sagt Weinbauer Gianluca Antoniazzi. Der 33-Jährige hat im Frühjahr 2022 in Geldern die ersten 9000 Reben gepflanzt. Fünf verschiedene, pilzwiderstandsfähige Rebsorten: die Weißweine Muscaris, Johanniter und Riesel sowie die beiden Rotweinsorten Cabaret Noir und Satin Noir.

Von dem Erfolg wirkt Antoniazzi selbst überrascht. Eigentlich wollte er den ersten Reben drei Jahre Zeit geben. Doch der warme, zugleich feuchte Sommer hat zu einem rasanten Wachstum geführt. So kann der Winzer in diesem Jahr bereits 5,8 Tonnen Trauben lesen. Anfang 2024 soll der erste Weißwein probierbereit sein.

Silke Gorißen (CDU), nordrhein-westfälische Landwirtschaftsministerin

Silke Gorißen (CDU), nordrhein-westfälische Landwirtschaftsministerin, hätte nie gedacht, dass am Niederrhein mal Weinbau betrieben würde.

„Früher war das größte Problem des Weinbaus die fehlende Wärme“, erklärt Marcus Uhe von der Landwirtschaftskammer. Inzwischen sind ein guter Boden und ausreichender Niederschlag ein echter Standortfaktor. Wer die Reben am Niederrhein sehe, wundere sich häufig, sagt Uhe: „Da sind ja gar keine Weinberge.“ Doch der Neigungswechsel setzt den Wein inzwischen vielerorts viel zu viel Sonne aus. An der Ahr oder am Kaiserstuhl verbrennen die Trauben in der Hitze.

Antoniazzi ist zuversichtlich, dass sein Wein aus Geldern am Ende keinen Vergleich mit Qualitätstropfen aus anderen Regionen scheuen muss. Er ist vom Fach. Nach dem Studium von Weinbau und Oenologie in Neustadt an der Weinstraße hat er an der Ahr gearbeitet und in Venetien, der Heimat seiner Vorfahren. Antoniazzi wollte immer sein eigenes Weingut haben. Nicht irgendwo, sondern am Niederrhein, wo er geboren und aufgewachsen ist. Ohne Subventionen, mit vollem Risiko. Er glaubt an das Weinbau-Potenzial der Gegend.

Der Genehmigungsprozess bleibt für neue Winzer kompliziert

Zurzeit betreibt er eine Rebfläche über 2,4 Hektar, weitere sollen im kommenden Jahr hinzukommen. Möglich macht das seit 2016 eine Reform des EU-Rechts. Seither darf auch außerhalb der traditionell anerkannten Anbaugebiete angepflanzt werden. Damit kann die Rebfläche in Nordrhein-Westfalen jährlich um fünf Hektar wachsen. Ministerin Gorißen sieht das grundsätzlich positiv, auch wenn Ackerfläche knapp ist: „Mir ist wichtig, dass landwirtschaftliche Fläche für die Landwirtschaft erhalten bleibt, aber sie kann sich unter den Bedingungen des Klimawandels natürlich verändern.“

Der Genehmigungsprozess bleibt für neue Weinbauern allerdings kompliziert und scheint von der Sorge klassischer Weinbauregionen durchwirkt, der Ruf ihrer Qualitätserzeugnisse könnte durch die neue Konkurrenz Schaden nehmen. So dürfen Winzer wie Antoniazzi ihre Tropfen nur als „deutschen Wein“ vermarkten und keine Herkunftsbezeichnungen verwenden, obwohl er zu gern Geldern aufs Etikett drucken würde. Er weiß noch nicht, ob er wie mancher Kollege zu einem Fantasienamen wie „Gelderländer“ oder „Niersfelder“ greifen wird, um eine lokale Verankerung zu schaffen.

1500 Flaschen sind vorbestellt

Notwendig ist das zusätzliche Marketing offenbar nicht. Seine ersten 1500 Flaschen aus Geldern sind bereits vorbestellt, die Nachfrage aus der Region groß. Ministerin Gorißen kann beim Etikettenstreit wenig ausrichten, denn die EU-Vorgaben fallen nicht in ihren Zuständigkeitsbereich. Sie hofft trotzdem, dass noch mehr Winzer dem Beispiel Antoniazzis folgen werden. Dessen Weißwein ist zwar noch nicht gekeltert, aber immerhin kann er der Ministerin am Ende noch einen ersten Schluck Federweißer anbieten.