Interview zum Umbau der Tierhaltung„Die Bauern befinden sich in einer Falle“
Wann beginnt der Umbau der Tierhaltung? Der Unmut bei Bauern und Naturschützern wächst, weil die Bundesregierung die Pläne der sogenannten Borchert-Kommission nicht umsetzt. Werner Schwarz, Vizepräsident beim Deutschen Bauernverband, und Kai Niebert, Präsident des Deutschen Naturschutzrings (DNR), erklären, woran es ihrer Ansicht nach hakt.
Am Ende der letzten Legislaturperiode schien der ewige Streit um die Landwirtschaft beigelegt. In Form der sogenannten Zukunftskommission war ein Kompromiss gefunden. Mit der Borchert-Kommission war auch ein Fahrplan zur besseren Tierhaltung gefunden. Landwirte, Umwelt- und Tierschützer und die Wissenschaft hatten sich zusammengerauft. Was ist daraus geworden?
Niebert: Wir haben alles und werden weiter alles dafür tun, dass es gut wird! Sie sprechen von Kompromissen, ich würde es eher einen breiten Konsens nennen, der zur Landwirtschaft der Zukunft gefunden wurde. Wir haben der Politik Vorschläge gemacht. Jetzt ist die Erwartung da, dass das auch umgesetzt wird. Dass das nicht alles auf einmal geht, ist schon klar. Aber der Weg muss in die richtige Richtung weisen. Zumindest aus Sicht der Umwelt- und Tierschutzverbände kann ich sagen, dass das noch nicht der Fall ist.
Zur Person
Werner Schwarz (Bild oben) ist seit 2012 Vizepräsident des Deutschen Bauernverbandes (DBV), der die Interessen der Landwirte auf Bundesebene vertritt. Über 90 Prozent der etwa 300000 Bauern sind dort Mitglied.
Prof. Dr. Kai Niebert (Bild unten) ist seit 2015 Präsident des Deutschen Naturschutzrings (DNR), der als bundesweiter Dachverband für etwa 100 Natur-, Tier- und Umweltschutzorganisationen fungiert. Zusammen erreichen diese laut Verbandsangaben mehr als elf Millionen Menschen. (EB)
Inwiefern?
Niebert: Wir hören zwar viel Richtiges aus dem Agrarministerium. Aber das Ganze ist auch weit mehr als 100 Tage nach dem Start der neuen Bundesregierung nicht mit den notwendigen politischen Maßnahmen oder dem notwendigen Geld hinterlegt.
Schwarz: Ja, Konsens trifft es besser. Alle Interessenvertreter stehen dahinter. Da wundert es mich, dass in der Bundesregierung so wenig Antrieb zu erkennen ist. Das Zeitfenster, innerhalb dessen die Politik noch handeln kann, schließt sich. Es hätten längst erste Schritte eingeleitet sein können.
Welche denn?
Schwarz: Beim Umbau der Tierhaltung passiert weiter nichts. Die Gelbe Karte geht aber nicht nur an das Landwirtschafts-, sondern auch das Finanzministerium in Berlin. Die eine Milliarde, die in der laufenden Legislatur für den Umbau der Tierhaltung in den Bundeshaushalt eingestellt worden ist, ist definitiv nicht ausreichend. Aber auch bei der Anpassung von Bauvorschriften geht es nicht voran.
Herr Niebert, teilen Sie die Kritik von Herrn Schwarz? Viele Verbände unter Ihrem Dach scheinen doch eher mit Tierhaltung zu fremdeln.
Niebert: Die Tierhaltung ist der Dreh- und Angelpunkt bei der Transformation der gesamten Landwirtschaft. Und sie spielt auch eine große Rolle bei den Aufgaben, die jetzt durch den Ukraine-Krieg auf uns zukommen: Sehr viel Getreide muss bislang als Futtermittel verwendet werden, um die Tiere in Deutschland sattzubekommen – die Trog-Teller-Debatte. Das geht so nicht weiter. Wir haben uns allesamt dazu bekannt, dass die Tierbestände in Deutschland, einhergehend mit dem Verzehr, reduziert werden müssen, folglich der Anteil des Getreides abnimmt, der ins Tierfutter geht. Auch auf eine Senkung des Fleischkonsums haben wir uns verständigt. Cem Özdemir zeigt den Willen, das alles anzugehen. Aber Bundesfinanzminister Christian Lindner muss liefern.
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Niebert: Steuern haben eine lenkende Wirkung. Deswegen sagen wir: Die Mehrwertsteuer auf tierische Produkte rauf auf 19 Prozent, also weg vom bislang reduzierten Satz. Und gleichzeitig die Mehrwertsteuer auf pflanzliche Lebensmittel auf null senken – als Reaktion auf die sozialen Verwerfungen, die wegen der steigenden Inflation drohen. Dafür brauchen wir den Finanzminister, der diese Grundlagen für die Transformation schafft.
Herr Schwarz, geht der Bauernverband da mit? Immerhin würde das tierische Produkte spürbar verteuern.
Schwarz: Die Bauern befinden sich derzeit in einer Falle. Sie brauchen dringend eine Lösung dafür, wie es weitergehen soll. Kommt diese nicht, dann steigen die Bauern aus der Tierhaltung aus. Vergangene Woche ist der Schweinefleischpreis um 15 Cent gesunken. Das lässt Bauern verzweifeln. Da ist die Mehrwertsteuer-Erhöhung das kleinere Übel. Ich schränke ein: zumindest, wenn von der Politik die klare Vorgabe da ist, wohin sich die Tierhaltung entwickeln soll. Und sichergestellt ist, dass die höheren Steuereinnahmen auch wirklich in den Umbau der Ställe beziehungsweise die bessere Tierhaltung fließen. Es kann nicht sein, dass das Geld dann woanders landet. Ist das geklärt, gehen wir mit.
Aber wir sehen doch bei der Frage, wie die bessere Tierhaltung auf der Verpackung in Form einer staatlichen Kennzeichnung angegeben werden kann, die Fetzen fliegen: Die Bio-Verbände wollen eine eigene Kennzeichnung, die Tierschützer und andere sind dagegen.
Niebert: Wir brauchen in Deutschland eine Ökologisierung der Landwirtschaft insgesamt. Das bedeutet für die Marke „Bio“, dass auch diese sich weiterentwickeln muss, um ihre Stellung im Markt als Premiumangebot zu halten. Transformationsphasen bringen es mit sich, dass es für alle Beteiligten unbequem wird, da rumpelt es auch mal. Für mich ist klar: Auch nicht-ökologische Tierhaltung muss die Chance haben, in die Premium-Stufe eines staatlichen Haltungskennzeichens zu kommen. Einfach, weil es dort sehr gute Lösungen gibt.
Schwarz: Genau, es rumpelt, man darf dabei nur nicht vom Weg abkommen. Die Gefahr sehe ich.
Hat die Politik, hat die Gesellschaft nicht gerade auch andere Probleme als die Frage, wie das Schwein gelebt hat?
Niebert: Wir erleben eine Phase, in der viele Fortschritte in Sachen Umwelt- aber eben auch Tierschutz kritisch hinterfragt werden. Aber rückwärtsgewandte Lösungen helfen doch niemandem. Wenn es um die weltweite Getreideversorgung geht, müssen wir auch in Deutschland die Debatte um Teller oder Tank führen. Getreide gehört auf den Teller. Gleichzeitig ist doch aber auch klar, dass Deutschland eben nicht die Welt mit Weizen versorgen kann.
Schwarz: Aber eines erwarten wir schon von den Agrarministern der G7-Länder: Dass sie das Welternährungsprogramm unterstützen. Hunger muss bekämpft werden. Richtig ist aber, dass das nicht dadurch gelingen wird, dass wir in Deutschland nun sämtliche ökologischen Vorrangflächen umpflügen und Weizen anbauen.