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Debatte um NutztiereDie Tierhaltung soll besser werden – nur wie?

Lesezeit 4 Minuten
Cem Özdemir Schweine 240422

Cem Özdemir besuchte einen Schweinehaltungsbetrieb in Niedersachsen.

Ein aktuelles Papier mit Empfehlungen, verfasst vom sogenannten Kompetenznetzwerk Nutzertierhaltung, warnt sogar davor, dass die Verbesserung der Lebensbedingungen von Nutztieren hierzulande scheitern könnte, wenn der Grüne nicht einlenkt. Hier die Knackpunkte der Debatte im Überblick.

Debatte um Steuersenkungen bei Lebensmitteln

Die heftigen Preissprünge an den Supermarktkassen fachen die Debatte über Steuererleichterungen bei Nahrungsmitteln grundsätzlich an. So hat das Umweltbundesamt eine Abschaffung der Mehrwertsteuer für pflanzliche Lebensmittel gefordert. „Eine stärker pflanzenbasierte Ernährung entlastet die Umwelt und ist obendrein gesund“, sagte Präsident Dirk Messner. Daher sei es sinnvoll, pflanzliche Lebensmittel von der Mehrwertsteuer zu befreien. „Eine gesunde Ernährung sollte sich jede und jeder leisten können.“

Bundesagrarminister Cem Özdemir (Grüne) unterstützt die Forderungen. In der Ampel-Koalition stoßen sie aber verbreitet auf Skepsis. Verwiesen wird auf zwei schon auf den Weg gebrachte Milliardenpakete mit Entlastungen.

Die Umweltschützer von Greenpeace sprachen sich sogar dafür aus, nicht nur Obst und Gemüse zu befreien, sondern auch Vergünstigungen für Fleisch und Milch zu streichen. Dadurch könnten Menschen entlastet und die Erderwärmung bekämpft werden, hieß es. (dpa)

Das Papier

Unsere Redaktion konnte das Papier einsehen, verfasst wurde es vom Kompetenznetzwerk Nutzertierhaltung unter Leitung des früheren Bundeslandwirtschaftsministers Jochen Borchert. Das Beratergremium war unter Özdemirs Vorgängerin Julia Klöckner (CDU) einberufen worden und hat 2020 einen Fahrplan zur Verbesserung der Tierhaltung bis 2040 vorgelegt. Offenbar sind die Fachleute in Sorge, dass dieser Fahrplan scheitert und haben deswegen jetzt ihre Ideen von damals um aktuelle Empfehlungen ergänzt.

2020 begrüßten alle Parteien die Ergebnisse der Kommission, auch die Grünen. Nun ist die Partei in Regierungsverantwortung. Cem Özdemir muss als Agrarminister für ein besseres Leben von Schwein und Co. sorgen und zugleich klären, wie die Bauern trotzdem noch genug mit ihrer Tierhaltung verdienen können. So steht es auch im Koalitionsvertrag der Ampel-Parteien.

Die Kennzeichnung

Viele hatten erwartet, dass das Agrarministerium auch unter grüner Leitung die Ergebnisse der Borchert-Kommission umsetzt und an das wenige Erreichte der CDU-Vorgängerin anknüpft. Doch von Tierschützern bis hin zu Tierhaltern regt sich Protest. Die aktualisierten Empfehlungen des Beratergremiums fängt diesen jetzt auf – und wenden sich gezielt an das Gremium Özdemir. Die Fachleute kritisieren unter anderem die Pläne der Bundesregierung dazu, wie künftig Fleisch im Supermarkt gekennzeichnet werden soll. Das Ministerium überlegt, die vierstufige Eierkennzeichnung auf Fleischverpackungen zu übertragen. Begonnen werden soll schon im kommenden Jahr beim Schweinefleisch.

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Bio-Ware würde demnach mit der Ziffer 0 deklariert, geschlossene Stallsysteme mit einer 3. Das Problem aus Tierhaltersicht: Die meisten Ställe würden derzeit in die schlechteste Stufe 3 fallen. Dabei gibt es bei den geschlossenen Ställen ohne Kontakt zur Außenwelt durchaus Unterschiede, was den Haltungsstandard angeht..

Die Finanzierung

Das Gremium bemängelt zudem, dass Özdemir zu wenig Geld für den Umbau der Ställe und die anschließende Finanzierung der besseren Tierhaltung eingeplant hat. Bislang sind eine Milliarde Euro für bessere Ställe verteilt auf vier Jahre vorgesehen. Als Anschubfinanzierung sei das zu begrüßen, heißt es in dem Schreiben. Die Summe bliebe aber weit hinter allen Schätzungen zurück – auch hinter der der Regierungsberater, die von etwa vier Milliarden Euro pro Jahr ausgegangen waren. „Ein Umbau kann so nicht gelingen. Das Kompetenznetzwerk empfiehlt, das Mittelvolumen aufzustocken.“ Das Gros der Gelder, so die Berater, müsse zudem vorrangig in Form jährlicher Tierwohlzahlungen gewährt werden. Denn das teuerste an der Verbesserung der Tierhaltung seien die laufenden Kosten.

Die Mehrwertsteuer

Erstmals beziehen die Berater in ihrem Papier auch deutlich Stellung zu einer möglichen Einnahmequelle für den Staat: Der reduzierte Mehrwertsteuersatz auf tierische Lebensmittel solle gestrichen und auf die regulären 19 Prozent erhöht werden. So könne die Finanzierungsfrage noch in dieser Legislaturperiode geklärt werden. Das Netzwerk warnt die Regierung, „dass die Chance für einen flächendeckenden Umbau der deutschen Nutztierhaltung verpasst wird.“

Der Streit

Die Streichung des Mehrwertsteuer-Rabatts hatte die FDP zuletzt abgelehnt. Die Liberalen waren mit dem Versprechen in den vergangenen Wahlkampf gezogen, keine Steuern erhöhen zu wollen. Hinter den Kulissen findet derzeit unter den Ampel-Koalitionären ein Ringen um eine Lösung statt.

Agrarminister Cem Özdemir sagte kürzlich, er sei dennoch guter Dinge, dass eine Lösung gefunden werde. Wohl in Richtung FDP mahnte der grüne Minister: „Wer hier bremst, muss das dann den Menschen am Ende auch erklären. Das dürfte schwer zu vermitteln sein.“

Allerdings: Auch innerhalb der Borchert-Kommission sind die aktualisierten Empfehlungen nach Informationen unserer Redaktion umstritten. Vor allem von den Vertretern der Bio-Landwirtschaft soll intern Protest geäußert worden sein. Bio-Produkte sind in der Regel deutlich teurer als konventionell produzierte Wäre. In der Vergangenheit hatte sich der Öko-Dachverband dafür ausgesprochen, einen Mehrwertsteuer-Rabatt für Bio-Produkte einzuführen.