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Interview mit WirtschaftsweiseBraucht es höhere Abgaben für Reiche?

Lesezeit 5 Minuten
Viele Euro-Banknoten liegen ausgebreitet auf einem Tisch

Viele Euro-Banknoten liegen ausgebreitet auf einem Tisch. (Symbolbild)

„Wirtschaftsweise“ Schnitzer spricht im Interview über ihren Vorstoß einer Reichensteuer und den Sinn von Entlastungsmaßnahmen. Vor allem bei Energiepreisen sieht sie Bedarf für eine Umverteilung der Lasten.

Seit Oktober ist Monika Schnitzer die erste Frau an der Spitze der fünf „Wirtschaftsweisen“. Der unabhängige Sachverständigenrat, der die Bundesregierung berät, hat in dieser Woche mit Vorschlägen für vorübergehende Steuererhöhungen für Reiche überrascht – die 61-jährige Wirtschaftswissenschaftlerin erklärt den Vorstoß.

Frau Schnitzer, die Kritik an Ihrem Vorschlag, Reiche stärker zur Finanzierung der Krise heranzuziehen, fällt heftig aus. Sind Ihre Vorschläge eine „Anleitung zur fiskalischen Sterbehilfe“?

Schnitzer: Das Gegenteil ist der Fall. Die hohen Energiepreise belasten die Haushalte und die Unternehmen. Wir sind als Land ärmer geworden und können nicht beliebig Hilfen verteilen. Wir haben aber bisher kein Instrument, um gezielt und ausschließlich die ärmeren Haushalte zu unterstützen. Das ist technisch in Deutschland nicht möglich. Weil wir dieses Instrument nicht haben, werden nun alle entlastet, egal, ob sie arm oder reich sind. Das ist unbefriedigend, weil wir viel mehr Mittel für die Entlastungen brauchen. Jetzt müssen wir hohe Schulden aufnehmen, was die Inflation weiter anheizt.

SPD-Chefin Saskia Esken freut sich, weil der Sachverständigenrat SPD-Programmatik vorträgt, wenn er höhere Steuern für Reiche fordert …

Wir fordern ja kein großes Umverteilungsprogramm. Es geht darum, für eine begrenzte Zeit durch einen Energie-Soli oder einen höheren Spitzensteuersatz und die Verschiebung des Ausgleichs der kalten Progression einen Teil der geleisteten Entlastungen wieder zurückzuholen. Denen, die die Entlastungen nicht bräuchten, wird etwas weggenommen. Dann ist das gesamte Entlastungspaket zielgenau. Jetzt bekommen alle mit der Gießkanne Entlastungen, weil es nicht anders geht.

Noch mal konkret: Was wäre das Ziel der Steuererhöhung für Reiche?

Es spart staatliche Mittel, und die Inflation wird nicht so stark angeheizt. Das sind eigentlich Effekte, die auch von den Unternehmerverbänden immer gefordert werden. Solange wir kein besseres Instrument haben für zielgenaue Hilfen, wäre dies ein Weg, den wir vorschlagen. Alles, was wir jetzt an Schulden aufnehmen, müssen kommende Generationen zurückzahlen. Das ist nicht gerecht.

Der Staat verdient aber auch an der Inflation …

Auch der Staat hat höhere Ausgaben. Er muss irgendwann höhere Gehälter zahlen und auch mehr ausgeben, um Schulen und öffentliche Einrichtungen mit Energie zu versorgen. Wir bezahlen den Inflationsausgleich für die Steuerzahler im nächsten Jahr mit Schulden. Das halte ich für falsch.

Woran zeigt sich, dass das Land ärmer geworden ist?

Wir importieren jetzt Energie aus dem Ausland zu sehr viel höheren Preisen als vorher. Das heißt, wir haben weniger Geld zur Verfügung als vorher. Und das bedeutet, irgendjemand muss auf etwas verzichten. Das können nicht diejenigen sein, die auf nichts verzichten können, weil sie schon jetzt gerade so über die Runden kommen. Wir können auch nicht auf Dauer auf Pump die höheren Energiekosten finanzieren.

Aber würde eine Steuererhöhung, wie Unternehmerverbände jetzt warnen, die Betriebe nicht schwächen?

Auch bei den Unternehmen sind die Hilfen ja nicht zielgenau. Jedes Unternehmen wird von der Gaspreisbremse profitieren, ob es ein Unternehmen mit sehr hohen oder mit sehr kleinen Gewinnen ist. Wir schlagen die Steuererhöhung nur für ein Jahr vor. Wenn die Entscheidung eines Unternehmens für Investitionen und für den Standort Deutschland von einer so befristeten Maßnahme abhängig wäre, würde ich mich doch sehr wundern.

Finanzminister Christian Lindner hat bereits abgewinkt. Steuererhöhungen wird es nicht geben. Es sieht so aus, als würde Ihren Ratschlägen niemand folgen …

Wir sind froh, wenn wir eine Diskussion in Gang setzen. Wenn wir erreichen, dass sich die Politik um zielgenauere Instrumente bemüht, wäre doch schon viel gewonnen. Alle fordern zielgenaue Maßnahmen, aber bisher hat noch keiner einen Vorschlag gemacht, wie das funktionieren könnte. Unser Vorschlag liegt jetzt vor. Andere können einen besseren machen.

Sie rechnen damit, dass die Wirtschaft 2023 um 0,2 Prozent schrumpft. Welche Folgen hat das?

Eine dramatische Entwicklung ist nicht zu erwarten. Wir rechnen weiter mit einem sehr robusten Arbeitsmarkt. Auch wenn es in manchen Betrieben zu Entlassungen kommen sollte, werden an anderer Stelle Arbeitskräfte gesucht. Wir haben aktuell eher einen Mangel an Arbeitskräften.

Droht eine Deindustrialisierung?

Nein, das erwarten wir nicht in der Breite. Es kommt auf die jeweilige Branche an und ob die Unternehmen energieintensiv sind, ob sie hohe Gewinnmargen haben, wieviel Konkurrenz sie z.B. aus USA haben. Für die Betriebe, die hohe Energiekosten haben, keine Marge übrig haben und heftige Konkurrenz, wird es schwierig. Das betrifft vor allem die Metallindustrie, Glas und Keramik und bestimmte Teile der chemischen Grundstoffindustrie.

Für wie anpassungsfähig halten Sie die deutsche Wirtschaft?

Wir sehen seit den 70er-Jahren einen Rückgang der Energieintensität unserer Wirtschaft. Die weniger energieintensiven Branchen in der Industrie haben an Bedeutung gewonnen. Vor allem aber sind die Unternehmen insgesamt energieeffizienter geworden. Das zeigt: Die Unternehmen können sich anpassen. Es liegt auch an ihnen, wie gut sie das jetzt schaffen – durch bessere Technologien, durch Anpassung der Produkte. So kann man mit höheren Energiekosten umgehen. Das stimmt uns zuversichtlich.

Welche Perspektive hat ein Autohersteller wie VW in Niedersachsen?

Der Branche geht es nach wie vor gut, aber es wird wichtig, nicht nur auf den Absatzmarkt China zu setzen. Für die Beschäftigten kommt es darauf an, dass die vielen Fachkräfte, die jetzt in der Herstellung von Verbrenner-Autos arbeiten, rechtzeitig umgeschult werden, damit sie in anderen Bereichen unterkommen. Wir haben einen Fachkräftemangel, insofern müsste die Umstellung vom Verbrenner zum E-Auto mit Blick auf den Erhalt der Arbeitsplätze gelingen.

Auch bei der Kernkraft birgt Ihr Gutachten Zündstoff für die Ampel-Koalition. Sie raten zu prüfen, ob es noch längere Laufzeiten braucht …

Es ist gut, wenn wir gerade jetzt ein größeres Angebot an Energie haben. Eine Laufzeitverlängerung unideologisch zu prüfen wäre gut und richtig. Solange wir in dieser Krise sind, erscheint es uns sinnvoll, auch die Kernkraft weiter zu nutzen.

Wird Energie dauerhaft subventioniert werden müssen, damit sie bezahlbar bleibt?

Die Gaspreisbremse muss eine befristete Maßnahme sein. Bis 2024 werden in ausreichender Menge LNG-Terminals da sein, sodass wir das Gas aus Russland ersetzen können. Aber die Preise werden nicht auf Vorkrisenniveau zurückkehren, weil LNG-Gas teurer in Herstellung und Transport ist als Gas aus der Pipeline. An diese Kosten müssen sich die Unternehmen mittelfristig anpassen. Wir können kein Geschäftsmodell haben, das dauerhaft auf die Subvention von Energie setzt.