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Interview mit Bauernpräsident„Das, was Brüssel vorhat, gefährdet unsere Existenzen“

Lesezeit 5 Minuten
ARCHIV - 18.01.2023, Berlin: Joachim Rukwied, Präsident des Deutschen Bauernverbandes, bei einer Rede auf der Grünen Woche

Joachim Rukwied, Präsident des Deutschen Bauernverbandes

Der Präsident des Deutschen Bauernverbandes, Joachim Rukwied, spricht im Interview über die Perspektiven der Landwirtschaft und die aktuellen Debatten.

Politik wird oft aus der urbanen Perspektive gemacht. Das frustriert Landwirte und Familien im ländlichen Raum. Nun droht auch noch die Kürzung wichtiger Strukturfördermittel, warnt Bauernpräsident Joachim Rukwied im Gespräch mit Thomas Ludwig.

Herr Rukwied, der Bauerntag in der kommenden Woche steht unter dem Motto „Perspektiven schaffen – Zukunft bauen“. Was muss man sich darunter vorstellen?

Die Landwirtinnen und Landwirte der Zukunft zeichnet aus, dass sie die Anliegen der Menschen wahr- und ernst nehmen; sie kommen schließlich selbst aus der Mitte der Gesellschaft. Sie bringen mehr Tierwohl in die Ställe, haben den Klimaschutz im Blick und erzeugen natürlich hochwertige Nahrungsmittel. Auf dem Bauerntag wollen wir entsprechende Perspektiven aufzeigen, in welche Richtung sich die Landwirtschaft bewegt. Dafür brauchen wir einen gesetzlichen Korridor, der uns auch unternehmerische Freiheiten gibt.

Womit wir mitten in aktuellen Debatten wären. In Brüssel haben Sie soeben dafür geworben, dass es die EU-Kommission mit den Plänen für ein Verbot von Pflanzenschutzmitteln in der Landwirtschaft nicht übertreibt. Mit Erfolg?

Die Kommission hat vorgeschlagen, den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln in sensiblen Gebieten grundsätzlich nicht mehr zu erlauben. Dadurch ginge uns im schlimmsten Fall ein Drittel der Nutzfläche in Deutschland verloren. Das ist nicht zielführend. Wir wollen und wir können den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln reduzieren, und wir haben dazu Vorschläge gemacht. Das, was Brüssel vorhat, gefährdet unsere Versorgungssicherheit und Existenzen.

In den Niederlanden haben Unmut und Protest der Bauern zur Gründung der rechtspopulistischen Partei BBB geführt. Sie ist aus den Provinzwahlen kürzlich als fulminanter Sieger hervorgegangen. Ist so ein Aufbegehren auch hierzulande denkbar?

Die Situation ist nicht wirklich vergleichbar. Die niederländische Regierung hatte massivste Eingriffe in die Agrarwirtschaft angekündigt. Das ist in Deutschland schon noch anders. Natürlich gibt es im ländlichen Raum eine große Unzufriedenheit, die zum Beispiel die Freien Wähler in Bayern recht erfolgreich aufgegriffen haben und sich damit etabliert haben.

Auch die AfD, derzeit auf einem Höhenflug, fischt im ländlichen Raum; die Partei kritisiert, Brüssel und Berlin belasteten Bauern in immer kürzeren Abständen mit immer neuen Vorgaben und Verboten. Was sagen Sie?

Unser Verband versteht sich als überparteilich und unabhängig, unsere Mitglieder sind überzeugte Europäer, wir suchen Lösungen mit den Verantwortlichen in Politik und Verwaltung, um Umwelt- und Naturschutz und den berechtigten Ansprüchen der Gesellschaft zu entsprechen und dabei die Zukunft unserer Betriebe zu sichern. Natürlich haben wir auch kritische Stimmen im Verband. Aber ich sehe keine Verselbstständigung oder Radikalisierung unserer Mitglieder. An erster Stelle steht bei uns immer das Argument. Klar ist aber auch: Alle etablierten Parteien müssen wieder näher an die Bedürfnisse der Menschen, der Wirtschaft und auch der Landwirtschaft heran. Sonst laufen wir Gefahr, dass wir nur noch eine Politik aus der urbanen Perspektive heraus machen. Damit würden die Bedürfnisse der Menschen im ländlichen Raum nicht mehr berücksichtigt. Das wäre fatal.

Nennen Sie doch mal ein Beispiel.

Ganz aktuell: die Haushaltsverhandlungen. Bei der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ will die Bundesregierung massiv kürzen – ausgerechnet bei einem wichtigen nationalen Förderinstrument zur Unterstützung der Land- und Forstwirtschaft, der Entwicklung ländlicher Räume und zur Verbesserung des Küsten- und Hochwasserschutzes. Es geht dabei um Kürzungen in Höhe von mehreren Hundert Millionen Euro. Wenn das so durchgeht, wäre das ein verheerendes Signal, das im ländlichen Raum für ordentlich Frust sorgen wird. Davor kann ich nur warnen.

In Irland gibt es Überlegungen, 200000 Rinder zu töten, um die Klimaschutzziele erreichen zu können. Ist so etwas in Deutschland vorstellbar?

Was die Reduktionsziele bei den Emissionen anbelangt, hält sich die deutsche Landwirtschaft an den eingeschlagenen Pfad, bis 2030 die Emissionen auf 56 Millionen Tonnen CO2-Äquivalent zu reduzieren. Es gibt klare Maßnahmen zur Reduktion und auch, wie wir durch Boden- und Ackerbewirtschaftung die Kohlenstoffspeicher aufbauen. Diese Maßnahmen setzen unsere Bauern verstärkt und kontinuierlich um, so dass ich optimistisch bin, dass wir das Ziel erreichen werden. Extreme Maßnahmen wie in Irland und den Niederlanden halte ich für keine gute Lösung, wenn man den gesellschaftlichen Frieden erhalten und die Menschen für die notwendige Klimapolitik gewinnen will.

Die Lebensmittelpreise sinken allmählich wieder, das freut die Verbraucher. Welche Folgen hat das für die Landwirte?

Es belastet natürlich die Betriebe, weil sie nach wie vor mit höheren Betriebskosten konfrontiert sind, beispielsweise bei den Ausgaben für Energie und Düngemittel.

Sind traditionelle Nahrungsmittel grundsätzlich zu billig, weil sie entweder subventioniert sind oder aber die Folgen von Pestiziden für das Artensterben und Klimaschäden gar nicht eingepreist sind?

Weder das eine noch das andere. Wir sind in einem internationalen Markt, die Preise bilden sich aufgrund der Angebots- und Nachfragesituation. Da ergibt sich eine Grundpreisbildung, von der man mal ein wenig nach unten und mal nach oben abweicht. Natürlich sind Lebensmittel mehr wert, die wir hier in Deutschland unter höheren Standards herstellen. Wenn hierzulande in den vergangenen Jahren gerade mal zehn Prozent der Einkommen im Schnitt für Lebensmittel ausgegeben werden, ist mir das als Landwirt, als Erzeuger natürlich zu niedrig. Ich appelliere also an die Verbraucherinnen und Verbraucher, regionale, unter höheren Standards als anderswo hergestellte Produkte zu kaufen, und an den Lebensmittelhandel, weniger zu importieren. Das ist die beste Unterstützung nicht nur für die landwirtschaftlichen Betriebe, sondern auch für den Erhalt einer vielfältigen Kulturlandschaft und der Biodiversität.