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Mehr Druck auf ArbeitgeberIGM-NRW-Chef Giesler fordert deutliche Lohnerhöhungen

Lesezeit 5 Minuten

Knut Giesler, NRW-Chef der IG Metall, spricht zu Beschäftigten der Stahlbranche.

  1. Alle leiden unter den Rekordpreisen für Gas und Strom – die Menschen wie die Betriebe.
  2. Die Leute brauchen mehr Geld, viele Betriebe haben weniger.
  3. Was das für die wichtigste Tarifrunde des Jahres in der Metall- und Elektroindustrie bedeutet, erklärt Knut Giesler, NRW-Chef der IG Metall, im Gespräch mit Stefan Schulte.

Herr Giesler, haben Sie zu Hause schon die Heizung angestellt?

Im Badezimmer ja, in allen anderen Räumen noch nicht. Da müssen Decken und Pullover her.

Womit heizen Sie denn?

Mit Gas. Ich habe auch schon die erste Erhöhung bekommen, das war mal eben eine Verdoppelung, aufs Jahr gerechnet macht das 2000 Euro aus. Für Leute mit kleinen bis mittleren Einkommen ist das schon enorm und kaum zu stemmen.

Deswegen gehen die Menschen mit Sorge in diesen Herbst und Winter. Bringt uns allein schon diese Angst in eine Rezession, weil die Menschen auf jeden Euro achten und weniger kaufen?

Das ist die größte Rezessionsgefahr. Das Bruttoinlandsprodukt wurde noch bis Juli vom Konsum gestützt, jetzt geht die Konsumneigung deutlich zurück. Wenn nun auch noch sehr hohe Gas- oder Stromrechnungen kommen, achten die Leute natürlich auf ihr Portemonnaie. Deshalb steht in der Tarifverhandlung für uns ganz oben, dass bei den Menschen mehr Geld ankommen muss. Die Tarifpartner tragen mehr denn je auch eine sozialpolitische Verantwortung.

Vorbereitungen auf Arbeitskampf

Am Freitag findet die zweite Tarifrunde für die 700000 Beschäftigten der Metall- und Elektroindustrie in NRW statt. Giesler fordert, dass die Arbeitgeber ein erstes Angebot vorlegen: „Das Zeitspiel ist vorbei, sie müssen jetzt eine Zahl nennen.“ Sonst werde es schwierig, vor Ende der Friedenspflicht am 31. Oktober eine Lösung zu finden. Und: „Wir bereiten uns bereits jetzt bestmöglich auf mögliche Arbeitskampfmaßnahmen ab November vor.“

Hinzu kommt aber auch der Rückgang der Produktion in Teilen der Industrie. Wir hören jede Woche von Betrieben, die ihre Produktion drosseln oder ganz einstellen, weil sie ihre Energiekosten nicht mehr tragen können. Besorgt Sie das nicht?

Doch, da muss die Politik helfen, und sie ist auf dem Weg, einen Energie-Rettungsschirm aufzuspannen. Mir macht größere Sorgen, wie sich die Energiepreise mittelfristig entwickeln. Energieintensive Unternehmen wie Schmieden, Gießereien und Kaltwalzbetriebe brauchen eine Absicherung bezahlbarer Energiepreise. Nachbarländer haben Industriepreise für Energie, darüber muss auch in Deutschland nachgedacht werden, wenn wir international konkurrenzfähig bleiben wollen.

Befürchten Sie den Verlust vieler Arbeitsplätze – oder können wir das wie schon in der Corona-Pandemie mit Kurzarbeit auffangen?

Wir können mit Kurzarbeit vieles auffangen. Aber das geht nur über einen kurzen Zeitraum und auch nur mit einer Aufstockung des Kurzarbeitergeldes durch die Arbeitgeber. Denn diesmal kommen die Leute mit zwei Dritteln ihres Entgelts angesichts der Rekordinflation nicht lange zurecht.

Mitten in dieser Krise führen Sie in NRW die Tarifverhandlungen für die wichtigste Industriebranche – Metall und Elektro. Die Beschäftigten wollen mehr Geld, um ihre Rechnungen zahlen zu können. Viele Betriebe sehen sich aber mit den hohen Energiekosten ebenfalls überfordert. Klingt nach einem unauflösbaren Dilemma.

Das gilt ja nicht überall. Unsere letzte Betriebsräte-Befragung hat ergeben, dass es vier von fünf Betrieben noch gut bis sehr gut geht. Das Jahr 2021 war für unsere Branche ein sehr gutes ...

… aber Tarifabschlüsse werden für die Zukunft getroffen ...

… was wir auch tun werden. Aber es gilt festzuhalten, dass genug Substanz da ist, diese Krise zu meistern. Zudem können viele Unternehmen ihre Energiepreise mindestens zum Teil an ihre Kunden weitergeben. Das ist der große Unterschied zu ihren Beschäftigten: Deren Rechnung übernimmt niemand für sie. Sie brauchen Sicherheit im Portemonnaie, sonst laufen wir in eine soziale Spaltung hinein. Das dürfen wir nicht zulassen.

Tarifpolitik kann Kriegseinfluss nicht auffangen

Sie fordern acht Prozent, ungefähr da liegt derzeit die Inflationsrate. Da das Ergebnis meist irgendwo in der Mitte liegt, nehmen Sie also Reallohnverluste bewusst in Kauf.

Wenn Sie es so ausdrücken wollen – ja. Wir waren immer ehrlich und haben gesagt, dass die Tarifpolitik kriegsbedingte Sondereinflüsse nicht auffangen kann. Das findet übrigens auch die volle Akzeptanz der Kolleginnen und Kollegen. Deshalb braucht es einen Spagat: Eine ordentliche Entgelterhöhung und gleichzeitig Hilfe vom Staat, der die Energiepreise senken muss.

Die Arbeitgeber kritisieren ihre Forderung trotzdem als überzogen, weil in Umfragen jeder dritte Betrieb angibt, bereits um seine Existenz zu kämpfen.

Wir führen eine weitere Betriebsräte-Umfrage durch, um aktuelle Werte zu erhalten. Aber mal im Ernst: Dass nächste Woche die große Krise kommt, höre ich jetzt seit März, aber da ist sie noch immer nicht und wird es auch am 30. September nicht sein, wenn wir zur zweiten Tarifrunde zusammenkommen.

Der Winter ist ja auch noch nicht da ...

…. und der wird für einige sicher schwierig. Aber insgesamt hat sich die deutsche Wirtschaft sehr robust gezeigt. Sie ist durch zwei Jahre Pandemie, den Zusammenbruch globaler Lieferketten und bis jetzt durch die mit dem Ukraine-Krieg verschärfte Energiekrise gekommen, ohne dass es die große Insolvenzwelle gegeben hat. Deshalb bleibe ich Optimist: Wenn uns der Zweiklang aus Energiepolitik und Tarifpolitik gelingt, werden wir auch das schaffen.

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In den Pandemiejahren haben Sie Beschäftigungssicherung vor Lohnerhöhung gestellt, warum nicht auch jetzt – die Krise ist ja nicht kleiner.

Ganz einfach, weil wir in der Pandemie Tarifabschlüsse in Zeiten mit teilweise negativer Inflation gemacht haben. Jetzt sinken die Preise nicht, sondern steigen im Rekordtempo. Wenn wir den Leuten jetzt nicht die Angst vor der nächsten Rechnung nehmen, riskieren wir, dass die braunen Rattenfänger im Herbst die Oberhand gewinnen. In Gelsenkirchen wählen ja nicht mehr Leute die AfD als anderswo, weil das alles Nazis sind, sondern weil viele sich als Zurückgelassene unserer Gesellschaft fühlen.