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Interview

Gothaer und Barmenia
Grünes Licht für Fusion – was der Versicherer nun plant

Lesezeit 7 Minuten

Gothaer-Vorstandschef Oliver Schoeller sieht bessere Perspektiven für die beiden Versicherer durch die Fusion.

Die Finanzaufsicht Bafin hat grünes Licht gegeben für den Zusammenschluss von Gothaer und Barmenia. Über die Plane des Versicherers sprach Ralf Arenz mit Gothaer-Chef Oliver Schoeller.

Wann ist die Idee zur Fusion von Gothaer und Barmenia entstanden?

Das war ein fließender Prozess. Die Versicherungsindustrie hat verstanden, dass sie an einzelnen Stellen besser kooperieren. Mit der Barmenia arbeiten wir an vielfältigen Themen schon länger zusammen, teilweise haben wir gemeinsame Gesellschaften. Wir haben Anfang 2023 in vertiefenden Gesprächen zu den gemeinsamen Potenzialen gesehen, dass uns ein Zusammenschluss noch mehr Möglichkeiten eröffnet. Ungefähr neun Monate haben wir sondiert und sind dann Ende September mit unserem Plan, die beiden Häuser zusammenzubringen in die Öffentlichkeit gegangen. Das heißt, wir haben für den gesamten Prozess seit Bekanntgabe weniger als ein Jahr gebraucht- In einer regulierten Branche ist das eine sehr, sehr enge Taktung.

Was sprach für die Barmenia?

Bei Zusammenschlüssen kann es um vornehmlich Größe gehen und damit um Synergien. Beim Zusammenschluss zwischen Gothaer und Barmenia haben wir eine andere Logik. Durch das Zusammenbringen von komplementären Stärken der beiden Häuser werden wir für unsere Kunden ein noch besseres Unternehmen formen. Da, wo wir besondere Stärken haben, treffen wir auf Entwicklungspotenziale bei der Barmenia und umgekehrt. Wir sind ein sehr großer Sachversicherer, die Barmenia ein sehr großer Krankenversicherer. Wir zeigen eine hohe Wachstumsdynamik in der Gewerbe- und Industrieversicherung, die Barmenia im Privatkundensegment. Wir haben beide sehr große Vertriebsorganisationen, die konsolidiert eine der größten Vertriebsorganisationen in der deutschen Assekuranz bilden. Unternehmen, die so gut zusammenpassen wie unsere beiden Häuser, sind sehr schwer zu finden.

Die Gothaer und die Barmenia sind Versicherungsvereine. Hat das eine Rolle gespielt?

In jedem Fall. Der Gegenseitigkeitsgedanke bildet unser beider Fundament. Grundlage ist, dass unsere Kundinnen und Kunden unsere Eigentümer sind. Das ist ungeheuer hilfreich für ein Geschäftsmodell, das sehr stark auf Langfristigkeit ausgerichtet ist und damit das Aktionärsinteresse nicht auf Quartalsberichte und Dividenden gerichtet ist. Es ist ein großes Privileg, ausschließlich im Interesse der Kunden zu arbeiten. Deswegen bleibt auch in Zukunft der Gegenseitigkeitsgedanke unser Fundament.

Die Gothaer ist das größere der beiden Unternehmen. Dennoch sprechen Sie von einer Fusion auf Augenhöhe.

Keiner der beiden Partner musste fusionieren. Die Kraft der Idee hat uns zusammengeführt. Die war immer größer als die vielen Herausforderungen in einem solchen Prozess. Wir haben vereinbart, Entscheidungen zu den strategischen Perspektiven des Gesamtunternehmens gemeinsam zu treffen und haben dabei gleiche Stimmrechte. An der Spitze des Versicherers stehen zwei Vereine: Die Gothaer Versicherungsbank VVaG und die Barmenia Versicherungen a. G.. Darunter ist eine Finanzholding, an der die beiden Vereine beteiligt sind und die das Versicherungsgeschäft unter sich bündelt. Die Gothaer Versicherungsbank hält an der Finanzholding 64 Prozent, die Barmenia Versicherungen 36 Prozent. Dafür, dass die Gothaer auf Stimmrechte verzichtet, erhält sie eine Mehrdividende. Dividenden sind im Versicherungsverein aber nicht das Maß der Dinge. Wir thesaurieren Gewinne im Unternehmen, um darüber die Investitionskraft und die Resilienz des Unternehmens nachhaltig zu stärken.

Was will das gemeinsame Unternehmen erreichen?

Zusammengeschlossen haben wir rund acht Milliarden Euro an Prämien und ungefähr 50 Milliarden Euro an gemeinsamen Kapitalanlagen. Wir haben ungefähr 12.000 Menschen, die für die BarmeniaGothaer arbeiten, darunter 4.500 Vertriebspartnerinnen und Vertriebspartner. Wir werden damit einer der großen Spieler in der deutschen Assekuranz und gehören künftig zu den zehn größten Versicherern in Deutschland. Das gibt uns neue Möglichkeiten. Direkt zum Start bringen wir die beiden Lebensversicherer zusammen. Der nächste große strukturelle Schritt ist dann die Zusammenführung der beiden Krankenversicherer. Zielsetzung ist eine möglichst schnelle Zusammenführung der Produktpaletten Wir werden als gemeinsames Unternehmen im Markt agieren, nämlich als BarmeniaGothaer Wir wollen so schnell wie möglich ein Unternehmen formen. Dies gilt auch für die Kultur des Unternehmens.

Wann wollen Sie das erreicht haben?

Unternehmen, die die Integration nach einem Zusammenschluss nicht konsequent vollzogen haben, waren selten erfolgreich. Daher werden wir sowohl nach innen und nach außen an dem gemeinsam neuen Unternehmen arbeiten. Letztlich geht es um Menschen. Wir möchten nicht, dass in fünf Jahren noch von Barmenia oder Gothaer gesprochen wird, sondern wir werden sehr konsequent aus dem Zusammenschluss der beiden Häuser eine gemeinsame Kultur erzeugen und die Historien mit dem Respekt, den sie verdienen, einbringen.

Wann gehen in Köln die ersten Barmenia-Mitarbeiter durch die Tür oder umgekehrt die Gothaer-Mitarbeitenden in Wuppertal?

Wir werden am 8. Oktober den von uns so genannten Day1 feiern, das ist der offizielle erste Tag als gemeinsames Unternehmen. Dann arbeiten wir in einer bereits festgelegten gemeinsamen neuen Organisationsstruktur. Auch die zukünftige Führungsmannschaft steht bereits. Wir haben bislang über Köln und Wuppertal geredet. Welche Rolle spielt ihr zweiter großer Standort Göttingen?

Wie in nahezu allen Unternehmen spüren auch wir den Fachkräftemangel. Das heißt, wir sind froh um jeden Menschen, den wir an Bord haben. Das gilt für Göttingen wie für alle andere Standorte. Es gibt überhaupt keine Intention, an diesem Standort zu rütteln. Im Gegenteil, wir haben dort sehr kompetente Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Wir haben gerade erst den Mietvertrag um weitere zehn Jahre verlängert. Ihre Mitarbeitenden haben eine Beschäftigungsgarantie für drei Jahre. Ist das nötig?

Rein rational nicht. Wir haben als Unternehmen eine gemeinsame Idee, was wir marktseitig erreichen wollen. Und wir wissen, dass wir das nur mit den Menschen machen können, die wir an Bord haben. In einem solchen Fusionsprozess entstehen aber naturgemäß Unsicherheiten. Damit die Menschen ihre Energie auf das richten können, was wir gemeinsam am Markt erreichen können, hilft es, ihnen Sicherheit zu bieten. Wir haben ja nicht nur die Beschäftigung garantiert, sondern auch die Standorte Köln und Wuppertal. Bei den regelmäßigen Befragungen der Mitarbeitenden zur Fusion haben zuletzt über 80 Prozent angegeben, sie würden die strategische Ratio für den Zusammenschluss sehen und ihn mittragen. Der Wert ist im Vergleich zu einer ersten Umfrage sogar noch gestiegen. Viele Menschen sagen auch, dass sie im Zusammenschluss eine positive Perspektive für sich persönlich sehen.

Synergien wollen sie aber auch erzielen.

Synergien sind naturgemäß Teil eines solchen Zusammenschlusses. Wir sehen die insbesondere bei der Bewältigung der regulatorischen Anforderungen. Ein Beispiel sind die Vorgaben für die Nachhaltigkeitsberichterstattung, die erheblich zunehmen. Es gibt auch Synergien im Bereich der IT. Diese Synergien sind aber nicht mit einem Personalabbau verbunden, Vielmehr sollen uns die Synergien helfen, effizienter in den Märkten zu agieren und somit zu wachsen.

Wie wichtig ist Größe im Versicherungsmarkt?

Ich glaube, dass Größe zunehmend Relevanz hat. Das resultiert etwa aus der Dynamik der Risiken, die Versicherungen abdecken müssen. Wir hatten eine Pandemie, wir sehen eine signifikante Verschärfung der geopolitischen Lage, es gibt eine Zunahme von extremen Wetterereignissen durch den Klimawandel. D Dazu kommen die massiv ansteigenden Cyberrisiken. Das alles braucht auf der einen Seite eine höhere Risikotragfähigkeit für Versicherer und auf der anderen Seite ein zunehmendes Investitionsvolumen.

Gibt es eine ideale Größe?

Es gibt Größenvorteile, aber auch Nachteile. Unternehmen dürfen nicht so viel Komplexität aufbauen, dass sie im Ergebnis langsam oder bürokratisch werden. Auch Kundennähe kann verloren gehen. Aus meiner Sicht spricht in Deutschland eine Größenordnung zwischen acht und 12 Milliarden Euro Prämieneinnahmen dafür, dass man Kundennähe und nötige Investitionen zusammenbringt. Prämieneinnahmen sind auch Ausdruck von der Anzahl der Menschen, die uns vertrauen. Und davon werden wir noch mehr gewinnen.

Wie wird sich der Standort Köln entwickeln?

Ich glaube an Köln als Standort. Die Stadt ist attraktiv. In der Branche haben wir eine gewisse Schwerpunktverlagerung in die IT. Das heißt auch eine Schwerpunktverlagerung zu jungen Menschen. Und für die ist Köln eine sehr, sehr attraktive Stadt. Insofern sind wir überzeugt, dass der Standort Köln für die BarmeniaGothaer von erheblichem Wert ist und dass wir mit der Stadt gemeinsam an der Attraktivität des Standortes weiterarbeiten müssen.

Was tun Sie? Was muss die Stadt tun?

Wir werden ein noch attraktiverer Arbeitgeber durch den Zusammenschluss, weil wir größer werden.

Wir können den Menschen mehr Perspektiven bieten. Und die Stadt muss hart daran arbeiten, dass die Menschen hier Wohnraum und attraktive Studienbedingungen finden. Wer in Köln studiert, bleibt auch gerne in Köln.

Köln wird ja Sitz der gemeinsamen Holding der BarmeniaGothaer. Wo sitzt der Vorstand?

Der Vorstand kann sitzen, wo er will. Wir sind nicht ortsgebunden. Wir werden in Köln und Wuppertal gleichgewichtet arbeiten. Die Standorte haben ja sehr unterschiedliche Profile. Es gibt Menschen, die lieber in der Natur sind und sich vielleicht für ein bisschen günstigere Lebenshaltungskosten entscheiden. Die leben dann eher in Wuppertal. Die anderen, die lieber eine pulsierende Stadt haben wollen, mit all den Vor- und Nachteilen sind dann eher in Köln. Und wir als Vorstände sind gefordert, dort zu sein, wo die Menschen sind.