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FachkräftemangelIHK rechnet mit immer größer werdenden Problemen

Lesezeit 7 Minuten
Raphael Kraus von der panpan Brotmanufaktur Kraus GmbH in Wiehl

Raphael Kraus nimmt sich Zeit, in speziellen Workshops die Begeisterung für Rohstoffe und das Bäckerhandwerk an Auszubildende weiterzugeben.

Fachkräftemangel: Bei 350.000 offenen Stellen in NRW müssen Unternehmen sich heute anstrengen, um als Arbeitgeber attraktiv zu sein

Allein in den wirtschaftsnahen Berufen fehlen in Nordrhein-Westfalen 350.000 bis 400.000 Fachkräfte: „Diese Zahl gilt aktuell und in den kommenden Jahren“, sagt Andre Habrock, Bildungsreferent beim Verein IHK NRW. Damit fehlt mehr Personal, als die meisten Städte im Land Einwohner haben – und die Babyboomer sind noch gar nicht in den Ruhestand gegangen. Tritt dieses Phase ein, wird es noch kritischer: „Ab 2030 rechnen wir damit, dass das Problem größer wird – bis hin zu einer möglichen Verdoppelung“, so Habrock.

Die personelle Lücke hat Folgen. Nicht nur für die Unternehmen, die durch Personalknappheit Aufträge nicht annehmen oder nicht im gewünschten Tempo fertigstellen können, sondern für die gesellschaftliche Zukunft: „Das Handwerk will und wird seinen Beitrag für das Gelingen des technologischen und digitalen Wandels leisten. Dies kann jedoch nur dann umfassend gelingen, wenn für diese Herausforderung zusätzliche und einschlägig qualifizierte handwerkliche Fachkräfte verfügbar sind“, warnt Stephanie Bargfrede, Geschäftsführerin der Handwerkskammer zu Köln. Alle Vorgaben zu Wärmedämmung und Wärmepumpe bringen schließlich nichts, wenn Menschen fehlen, die sie umsetzen können. Kreative Lösungsansätze sind gefragt.

Wir können in erster Linie etwas gegen den Fachkräftemangel tun, indem wir eigene Fachkräfte nachbilden.
Fabian Kraus, Brotmanufaktur Kraus GmbH

„Wir können in erster Linie etwas gegen den Fachkräftemangel tun, indem wir eigene Fachkräfte nachbilden“, sagt Fabian Kraus, der mit seinem Bruder Raphael und seinem Vater Hanno die panpan Brotmanufaktur Kraus GmbH leitet. Herausforderungen sieht er sowohl bei der Nachbesetzung von Stellen, als auch, wenn es gilt, neue Ausbildungskräfte zu finden. Um den Auszubildenden etwas Besonderes zu bieten, gibt es in dem Wiehler Betrieb Workshops im kleinen Kreis mit dem Chef, in denen die Nachwuchs-Bäcker einmal wöchentlich an besondere Themen herangeführt werden: von Törtchen über Sauerteig bis zur Schokolade. „Es geht auch darum, die Leidenschaft für Rohstoffe weiterzugeben – ohne Terminstress, ohne Touren, abseits der Schule“, sagt Kraus. Zusätzlich bekommen Auszubildende ein Ticket für den öffentlichen Nahverkehr und Boni zwischen 150 und 200 Euro, wenn sie bestimmte Bedingungen erfüllen, etwa ihr Berichtsheft gut führen und nicht unentschuldigt fehlen.

Familienfreundliche Arbeitszeiten auch in der Backstube

In der Backstube versuchen sich die Bäcker an familienfreundlichen Arbeitszeiten, soweit die Natur ihres Berufes das zulässt: „Nachtarbeitszeit muss es geben, damit es morgens frische Brötchen gibt“, so Kraus, aber durch innovative Teigführung lasse sie sich reduzieren. Bei panpan gibt es inzwischen auch eine Tagschicht, die um 6.30 Uhr beginnt.

Auch Wolfgang Cieplik, Inhaber von Unitechnik Systems in Wiehl, sagt: „Wir haben vor allen Dingen die Ausbildung massiv hochgefahren.“ Ein weitere weitere Maßnahme seien Werksverträge, mit denen das Unternehmen den Kontakt zu jenen aufrecht hält, die nach der Ausbildung erst einmal studieren möchten: „So versuchen wir, zeitig junge Leute aus der Region für das Unternehmen zu gewinnen, die bleiben wollen.“ Dennoch sei das Thema allgegenwärtig: „Informatiker und auch Elektroniker findet man schwer."

Trendige Berufskleidung und ein moderner Fuhrpark

Auch Florian Hemmersbach, der mit seinem Bruder die Dachdeckerei DeinDach in Köln führt, sagt: „Wir sind vom Fachkräftemangel stark betroffen.“ Die Herausforderung beginne schon damit, junge Leute überhaupt für eine Ausbildung zu interessieren: „Früher haben junge Leute eine Ausbildung dort gemacht, wo es ihnen die Eltern empfohlen haben. Heute gibt es eine Informationsflut. Als Betrieb muss man sich nicht nur innerhalb der Branche beweisen, sondern grundsätzlich für die Jugend zeigen, dass man ein attraktiver Arbeitgeber ist. Wer in Social Media etwas macht, ist attraktiver als die, die das nicht tun.“ Dabei komme es auch auf das äußere Erscheinungsbild eines Unternehmens an: „Wenn man das Team auf der Baustelle sieht, sollte man im Idealfall denken: ‚Das ist eine coole Truppe. Wenn ich Teil davon wäre, wäre das ganz schön cool.‘ Deswegen gibt es bei uns moderne Berufskleidung für die Mitarbeiter und einen richtig modernen Fuhrpark.“

Wo immer es möglich ist, werden Abläufe digitalisiert; Aufgaben sind vom Tablet aus zu verfolgen – ganz so, wie es den Gewohnheiten derer entspricht, die schon mit dem Smartphone aufgewachsen sind. Kostenloses Team-Frühstück, ein Sommerfest, jährlich zwei Handwerkstage mit anderen Betrieben tragen außerdem zum Betriebsklima bei. Ein Azubi-Tausch ermöglicht es, auch einmal andere Betriebe und Regionen kennenzulernen. Was die Brüder außerdem eingeführt haben, ist die 4,5-Tage-Woche: Jeden zweiten Freitag haben die Angestellten frei. Das Ziel ist, Mitarbeiter nicht nur zu finden, sondern sie so zu begeistern, dass sie bleiben wollen.

Sabbaticals und gute Kommunikation

„Finden und Binden gehören zusammen“, betont auch Harald Goost, Geschäftsführer der Bierbaum-Proenen GmbH & Co. KG (BP). Neben Ausbildungszahlen, die über den eigenen Bedarf hinausgehen, achtet der Hersteller von Berufsbekleidung so sehr darauf, die richtige Person für eine langfristige Zusammenarbeit zu finden, dass er eine Stelle lieber unbesetzt lässt, statt sie falsch zu besetzen. Vakanzen von fünf bis neun Monaten seien dadurch nicht unüblich, zumal geeignete Bewerber heute zum Teil sechsmonatige Kündigungsfristen hätten. Im mehrstufigen Auswahlprozess legt Goost nicht nur Wert darauf, dass Bewerber nach jedem Schritt schnell eine Rückmeldung erhalten, sondern auch darauf, dass diese schon während des Bewerbungsverfahrens eine Führung durch das Unternehmen bekommen und mehrere Kollegen in einem intensiven Gespräch kennenlernen. Das sei nur fair: „Beide Seiten treffen ja eine Entscheidung.“

Damit man an dieser auch später gerne festhält, wird in unterschiedlicher Konstellation immer wieder ausgelotet, welchen Bedarf die Mitarbeiter gerade haben. Es gibt jährliche Entwicklungsgespräche, anonymisierte Mitarbeiterbefragungen und Bewertungen von Vorgesetzten, außerdem Workshops; etwa mit Blick auf Familienfreundlichkeit, aber auch bezogen auf unterschiedliche Altersgruppen.

Vor 15 Jahren wollten Eltern die Möglichkeit haben, ihre Kinder zur Arbeit mitzubringen, wenn die Betreuung ausfiel, deswegen haben wir damals zum Beispiel Kindermöbel gekauft. Heute wollen sie die maximale Freiheit haben und fragen, wie oft man von zu Hause aus arbeiten darf oder wie flexibel die Arbeit im Notfall ist.
Harald Goost, Bierbaum-Proenen GmbH & Co. KG

Ein Punkt, sagt Goost, habe sich über die Jahre massiv verändert: „Vor 15 Jahren wollten Eltern die Möglichkeit haben, ihre Kinder zur Arbeit mitzubringen, wenn die Betreuung ausfiel, deswegen haben wir damals zum Beispiel Kindermöbel gekauft. Heute wollen sie die maximale Freiheit haben und fragen, wie oft man von zu Hause aus arbeiten darf oder wie flexibel die Arbeit im Notfall ist.“ Wo das Unternehmen Wünschen nicht nachkommen kann, gibt es ein offenes Gespräch: „Manchmal sind Mitarbeiter schon zufrieden, wenn man ihnen Überlegungen einfach erklärt.“ Zum Beispiel eine Balance zwischen Homeoffice und Arbeit im Unternehmen: „Präsenz ist auch wichtig. Die besten Ideen entstehen in Präsenz.“

Es ist eine der ganz großen Fragestellungen: Wie kann man die psychische Gesundheit am Arbeitsplatz erhalten, wie sehen Vorgesetzte rechtzeitig, wenn es Handlungsbedarf gibt?
Harald Goost, Bierbaum Proenen GmbH & Co. KG

Über Langzeitkonten bietet BP auch die Möglichkeit, so viele Stunden anzusammeln, dass Sabbaticals von zwei bis drei Monaten möglich sind. Und immer wieder geht es um den Austausch miteinander. „Die jüngere Generation möchte mehr in Entscheidungen einbezogen, gesehen werden und fordert eine sehr hohe Feedbackkultur“, sagt der Mittelständler. Wenn man das berücksichtige, komme von der anderen Seite aber auch die Offenheit, Kritik anzunehmen: „Wenn ich jemandem sage, dass eine Panne passiert ist, sage ich ihm damit ja zugleich, dass ich an sein Entwicklungspotential glaube.“ Mit Workshops geben die Teams einander Einblick in ihre unterschiedlichen Disziplinen. So führt zum Beispiel „Wir nähen eine Tasche“ an das industrielle Handwerk heran: „Das lieben die Leute – ich auch“, schmunzelt Harald Goost.

Und wird dann noch einmal ernst, als er sagt, dass es heute auch wichtig sei, psychologischen Themen Raum zu geben. Ergänzend zur Schulung von Führungskräften kooperiert das Unternehmen mit einem externen Dienstleister, der im Bedarfsfall Ansprechpartner vermittelt, denn: „Vor zehn Jahren wurde Burnout zum Thema, und durch Corona hat sich die psychologische Belastung verstärkt. Da muss man hingucken. Es ist eine der ganz großen Fragestellungen: Wie kann man die psychische Gesundheit am Arbeitsplatz erhalten, wie sehen Vorgesetzte rechtzeitig, wenn es Handlungsbedarf gibt?“


Das fordern Handwerk und Industrie von der Politik

„Hinsichtlich des Fachkräftemangels müssen seitens der Politik dringend Maßnahmen angestoßen werden“, sagt Stephanie Bargfrede, Geschäftsführerin der Handwerkskammer zu Köln. Ein wesentlicher Aspekt sei die berufliche Bildung.

Bildungsstätten sollen modernisiert werden, sagt Bargfrede. Auch Dr. Uwe Vetterlein, Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer Köln (IHK), meint: „Wertschätzung für Bildung wird auch an der Qualität der Bildungsstätten festgemacht. Baufällige Schulen, auch Berufskollegs, müssen deshalb zu attraktiven Lernorten entwickelt werden.“

Ausbildungswege bekannter zu machen, statt den Blick von Abiturienten nur auf Studien zu lenken, ist ein weiteres Anliegen.

Eine geordnete Zuwanderung in den Arbeitsmarkt fordern die Kammern außerdem: „Gut ist, dass sich die Politik mit dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz endlich dazu bekennt. Allerdings sind mit dem Gesetz noch vielfältige bürokratische Regelungen für die Fachkräftezuwanderung hinzugekommen. Wir fordern dagegen, das Ausländerrecht massiv zu vereinfachen und die Zuwanderung für mittelständische Unternehmen – und auch die Behörden – überhaupt handlebar zu machen“, so Vetterlein.

Geflüchtete, die im Land leben, müsse man gezielt in Arbeit bringen. „Dazu müssen bürokratische Barrieren fallen und diese Menschen schnell und einfach die erforderlichen Erlaubnisse erhalten. Die Politik ist dafür verantwortlich, dass Ausländerbehörden, Jobcenter oder sonstige zuständigen Behörden wieder erreichbar sind und ihre Aufgaben zügig erledigen können.“ Die Handwerkskammer fordert ebenfalls eine mittelstandsgerechte Zuwanderungspolitik.

Kinderbetreuung muss verlässlich geregelt werden, damit sich keine Abwärtsspirale am Arbeitsmarkt ergibt, beschreibt Vetterlein: „Kurzfristig ist es wichtig, dass die Kommunen und freien Träger die Kinderbetreuung in den Kitas und den Grundschulen wieder hinbekommen. Denn das Betreuungsangebot geht – wegen Fachkräftemangel (!) – gerade dramatisch zurück. Viele Menschen können nur noch eingeschränkt ihrer Arbeit nachkommen.“