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Ex-Chef der Wirtschaftsweisen„Läden und Schulen unter Auflagen öffnen“

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Christoph Schmidt war bis vor kurzem Chef der Wirtschaftsweisen.

  1. Der frühere Chef der Wirtschaftsweisen, Christoph Schmidt, fordert Perspektiven für die Wirtschaft.
  2. Er hält Verstaatlichungen nur als Notmaßnahme denkbar und eine Vermögensabgabe für schädlich.
  3. Schmidt ist sich sicher, dass die Erfahrungen, die momentan gemacht werden, die Corona-Krise überdauern werden.

Essen – Christoph Schmidt ist als Präsident des RWI-Leibniz-Institutes für Wirtschaftsforschung einer der besten Kenner der deutschen Wirtschaft. Bis vor kurzem war er Chef der Wirtschaftsweisen. Er ist Berater im „Expertenrat Corona“ von Ministerpräsident Armin Laschet.

Um die Ausbreitung des Virus zu stoppen, stehen Fabriken still und Läden sind geschlossen. Wie lange kann die deutsche Wirtschaft einen solchen Zustand aushalten?

Sicher ist, dass eine solche Situation nicht unbegrenzt durchgehalten werden kann, ohne immense wirtschaftliche Schäden zu verursachen, die dann letztlich auch wieder die Menschen treffen. Daher ist es wichtig, dass die Politik umgehend einen vorläufigen Fahrplan für den Ausstieg aus den Einschränkungen vorlegt, der nach den jeweiligen Risiken der Öffnung differenziert, und so den Unternehmen Perspektiven aufzeigt.

Gleichzeitig muss aber auch allen klar sein, dass das Fahren auf Sicht noch nicht vorbei sein kann. Die Politik hat auch dann Vertrauen verdient, wenn sie unter dem Eindruck der Entwicklungen die eine oder andere Öffnung wieder zurücknehmen muss.

Eine Rezession ist unvermeidbar. Wie schwer wird diese ausfallen - schlimmer als 2009 nach der Finanzkrise?

Die gegenwärtige Situation ist ohne Vorbild. Daher ist es schwierig, die Tiefe der Rezession abzuschätzen. Die Gemeinschaftsdiagnose hat einen Rückgang um 4,2 Prozent prognostiziert, das wäre etwas weniger als während der Finanzkrise. Dabei geht sie ab er davon aus, dass wir recht rasch zur Normalität zurückkehren können. Ob dies der Fall sein wird, kann gegenwärtig niemand sagen, es gibt sicherlich erhebliche Abwärtsrisiken. Sicher dürfte allerdings sein, dass mit der Länge des Lockdowns die negativen Wirkungen auf die Wirtschaft überproportional zunehmen.

Wie viele Kurzarbeiter wird die Krise fordern und sind die Regeln ausreichend?

Eine Zahl zu nennen wäre Spekulation. Was wir wissen: Sehr viele Unternehmen haben bereits Anträge gestellt. Diesmal stellen aber andere Unternehmen den Antrag als in früheren Rezessionen. Es sind deutlich mehr Dienstleistungsunternehmen und deutlich mehr kleinere Unternehmen. Wie diese agieren, ob beispielsweise ein Teil der Anträge nur vorsichtshalber gestellt wurde, wissen wir derzeit nicht.

Der Lockdown kostet Jobs und vernichtet Firmen. Gibt es einen Punkt, an dem man sagen mus s: Der volkswirtschaftliche Preis wird zu hoch für die Rettung von Leben?

Es geht nicht darum, Menschenleben gegen wirtschaftliche Interessen aufzurechnen. Wir müssen aber erkennen, dass der Lockdown nicht ohne Folgeschäden für viele Facetten des Lebens bleiben kann, angefangen bei der Gesundheitsversorgung bis hin zum sozialen Zusammenhalt und unserer kulturellen Identität. Daher ist das Aufzeigen einer nach Risiken differenzierten Strategie für die schrittweise Rückkehr in die Normalität so wichtig.

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Dies wird aber eine neue Normalität sein, in der wir in vielerlei Hinsicht wachsamer sein werden, um als Gesellschaft widerstandsfähig gegen solche Herausforderungen wie Pandemien zu sein. Wir werden dieses Ziel auch nicht von einem Tag auf den anderen in allen Bereichen erreichen können. Ladengeschäfte und Schulen könnten beispielsweise unter Beachtung von Sicherheitsauflagen möglicherweise schon bald öffnen. Massenveranstaltungen werden hingegen wahrscheinlich noch länger verboten bleiben.

Manche fordern, den Lockdown rasch zu beenden und stattdessen nur die Risikogruppen zu isolieren. Wäre das sinnvoll?

Über 60 Prozent der bisher in Deutschland am Coronavirus Verstorbenen war älter als 80 Jahre. Das verdeutlicht, dass Seniorinnen und Senioren eine Risikogruppe sind, die man schützen muss. Ich sehe das allerdings nicht als Alternative zu anderen Maßnahmen, sondern als notwendigen Bestandteil einer den Risiken angepassten Strategie der Öffnung.

Bund und Länder haben diverse Rettungsschirme gespannt, um Firmen zu helfen. Reichen die Maßnahmen nach Art und Umfang aus?

Auch diese Frage kann man ehrlich gesagt noch nicht beantworten, so lange man nicht weiß, in welchen Schritten wir zur Normalität zurückkehren werden. Wichtig ist, dass der Staat schnell reagiert hat, und dass – nach allem was man hört – die Hilfen unbürokratisch ausgezahlt werden. Das macht doch Hoffnung.

Wenn Kredite nicht mehr reichen: Sollte der Staat Unternehmen wie Lufthansa oder TUI notfalls vorübergehend verstaatlichen? So wie er es in der Finanzkrise mit der Commerzbank getan hat.

Das wäre für mich nur als eine absolute Notmaßnahme vorstellbar. Wenn es hart auf hart kommt, kann man einen solchen Schritt möglicherweise nicht vermeiden. Allerdings sollte der Staat sich dann nach der Krise auch so rasch wie möglich wieder von seinen Anteilen trennen.

Die staatlichen Programme umfassen Hunderte Milliarden. Wer wird das am Ende bezahlen?

In Deutschland kann der Staat zum Glück eine solche Last schultern, weil er in der Vergangenheit solide gewirtschaftet hat. Es besteht daher auch keine Veranlassu ng, die Schulden beschleunigt zu tilgen. Wir können uns Zeit lassen, nach einem Anspringen der Wirtschaft aus den Schulden herauszuwachsen.

Wie organisiert man eine faire Lastenverteilung? Brauchen wir eine einmalige Vermögensabgabe oder einen Corona-Soli?

Eine Vermögensabgabe halte ich für äußerst problematisch. Denn das Vermögen wartet doch nicht auf Konten darauf, besteuert zu werden. Es steckt beispielsweise in Unternehmen und Immobilien. Bei Einzelkaufleuten kann man zwischen Privat- und Geschäftsvermögen nicht einmal unterscheiden. Wir wollen aber doch, dass die Wirtschaft wieder in Gang kommt, dass sie wieder investiert. Eine Vermögensangabe wäre da kontraproduktiv.

Das besonders von der Epidemie betroffene Italien fordert die gemeinschaftliche Haftung für Schulden. Was halten Sie von solchen Corona-Bonds?

Es herrscht Einigkeit darüber, dass die EU-Länder solidarisch handeln müssen. Streit gibt es über den Weg. Die EZB hat ein Aufkaufprogramm für Anleihen aus dem Euroraum mit einem Volumen von 750 Millarden Euro aufgelegt. Damit hat sie einen starken Anstieg der Risikoprämien auf Staatsanleihen einzelner Euroraum-Länder verhindert. Sie hat aber nur Zeit gekauft, und die Finanzpolitik muss nun handeln, wenn sie die Unabhängigkeit der EZB nicht gefährden will.

Dabei ist es wohl besser, sich auf bewährte Mechanismen wie den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) zu verlassen, dessen Ausgestaltung man an die augenblickliche Situation anpassen kann. Corona-Bonds halte ich aus zwei Gründen für problematisch. Erstens rein praktisch: Man müsste erst eine Rechtsgrundlage dafür schaffen, was Zeit benötigt. Zweitens grundsätzlich: Sie wären ein Einstieg in die gemeinschaftliche Haftung für Schulden einzelner Länder.

Die Corona-Krise stellt vieles auf den Prüfstand. Was wird in der Welt nach Corona anders sein? Wird die Globalisierung zurückgedreht?

Dass die Globalisierung zurückgedreht wird, denke ich nicht. Sie dürfte aber eine andere Gestalt annehmen. Unternehmen dürften beispielsweise ihre Beschaffungswege stärker differenzieren, also gewissermaßen das Länderrisiko streuen. Ansonsten machen wir momentan viele Erfahrungen, die die Corona-Krise überdauern werden. Wir werden wahrscheinlich beispielsweise auch künftig häufiger im Homeoffice arbeiten oder Dienstreisen durch Telefonkonferenzen ersetzen.