2018 und 2019 stürzten zwei Maschinen des Typs 737 Max ab. Konzernchef Dave Calhoun gibt zu, dass Fehler von Boeing dafür verantwortlich waren.
„Sie sind das Problem“US-Senat zerlegt Boeing-Chef nach Skandalen in denkwürdiger Anhörung
Boeing-Chef Dave Calhoun hat sich bei einer Anhörung im US-Senat den kritischen Fragen der Senatsmitglieder gestellt und dabei verheerende Fehler seiner Firma eingeräumt. Am Dienstag (18. Juni) musste Calhoun zum ersten Mal überhaupt vor Gesetzgebern aussagen. Er wurde heftig ins Kreuzverhör genommen und musste sich eine bissige Frage nach der anderen sowohl von republikanischen als auch von demokratischen Senatoren gefallen lassen.
Bei den Hinterbliebenen von Opfern der beiden Abstürze von Flugzeugen des Typs 737 Max in den Jahren 2018 und 2019 entschuldigte sich Manager. Bei den Unglücken waren 346 Menschen ums Leben gekommen.
Boeing-Chef entschuldigt sich für 737-Max-Abstürze
„Ich entschuldige mich für das Leid, das wir zugefügt haben“, sagte Calhoun am Dienstag an mehrere im Saal anwesende Hinterbliebene gewandt. Boeing lege im Gedenken an die Opfer einen verstärkten Fokus auf Sicherheit.
Die Unglücke mit Maschinen des Typs 737 Max 8 der indonesischen Lion Air und der Ethiopian Airlines wurden von Problemen mit einer Assistenzsoftware ausgelöst. Das System mit dem Namen MCAS sollte die Piloten bei der Steuerung des Flugzeugs in einigen Situationen unterstützen. In den beiden Fällen wurden diese jedoch von einem deutlichen und fehlerhaften Eingreifen der Software überrascht.
Boeing hatte seinerzeit eingeräumt, dass der Konzern die US-Luftfahrtaufsicht FAA nicht korrekt über das Ausmaß des benötigten Piloten-Trainings für den Betrieb der Software informiert hatte. Calhoun bekräftigte am Dienstag: „MCAS und Boeing sind verantwortlich für diese Abstürze.“ Nach dem zweiten Unglück blieben 737-Max-Flugzeuge fast zwei Jahre am Boden, bis Änderungen an dem System vorgenommen wurden.
Boeing steht seit Jahren wegen mehrerer Skandale enorm unter Druck
Die Anhörung im Senats-Unterausschuss für Ermittlungen war einberufen worden, weil Boeing aktuell wieder unter akutem Druck steht, die Qualitätskontrollen zu verbessern. Auslöser war ein Beinahe-Unglück einer so gut wie neuen Maschine des Typs Boeing 737-9 Max Anfang Januar.
Bei dem Flug der Fluggesellschaft Alaska Airlines mit mehr als 170 Menschen an Bord brach damals kurz nach dem Start ein Rumpfteil heraus. Die Unfallermittlungsbehörde NTSB geht davon aus, dass an dem herausgebrochenen Teil Befestigungsbolzen fehlten. Boeing konnte den Ermittlern keine Dokumentation zu Arbeiten an dem Fragment liefern.
Boeing-CEO in Anhörung: Dave Calhoun beruft sich immer wieder auf Erinnerungslücken
„Alaska war ein Produktionsfehler“, sagte Calhoun am Dienstag dazu. Das sei aber auch der einzige ihm bekannte Fall unter den jüngsten Pannen in der US-Luftfahrt, der auf die Fertigung und nicht die spätere Wartung zurückgehe, betonte er. In den vergangenen Monaten waren Boeing-Maschinen verschiedener Fluggesellschaften in den Schlagzeilen. Eine verlor etwa ein Rad beim Start, eine andere landete mit einer abgerissenen Klappe am Rumpf.
Calhoun geriet laut Meinung verschiedener US-Medien in der Anhörung gehörig unter die Räder. Oft war er nicht in der Lage, die Fragen von Senator Richard Blumenthal während seiner Aussage im Senat zu beantworten – oder wollte dies nicht. Als er nach dem Vergleich gefragt wurde, den Boeing nach zwei tödlichen Abstürzen seiner 737 Max-Flugzeuge vor mehr als fünf Jahren gezahlt hatte, einschließlich einer Strafe in Höhe von 243 Millionen Dollar, geriet Calhoun ins Stocken und sagte, er kenne den genauen Dollarbetrag nicht. „Sie müssen die genaue Zahl kennen. Sie sind der CEO des Unternehmens“, sagte Blumenthal.
Keine „genaue Zahl“ fiel dem Manager ebenso wenig ein, als er gefragt wurde, wie viel von Boeings gesamter Vergleichssumme von der Versicherung gedeckt sei. Als er auch nicht angeben wollte, ob Boeing Steuerabzüge auf den Vergleichsbetrag vorgenommen habe, um die Auswirkungen auf das Unternehmen zu verringern, wurde Blumenthal deutlich. „Sie haben keine Antwort darauf, als CEO des Unternehmens? Das kann ich nur schwer glauben“, so der Senator. Immerhin, sein stolzes Gehalt von 32,8 Millionen Dollar pro Jahr fiel Calhoun auf Nachfrage ein – was angesichts der massiven Kritik an seiner Führung für Kopfschütteln beim ein oder anderen Anwesenden führte.
Hawley kritisiert Boeing-CEO scharf: „Sie sind das Problem“
Heftige Kritik musste sich der Boeing-CEO auch vom republikanischen Senator Josh Hawley anhören. Calhoun versuche, die eigenen Fehler zu vertuschen und die Probleme des Unternehmens auf die Mitarbeiter zu schieben. „Sie sind das Problem“, so Hawley. „Es ist die Führungsetage. Es ist das Management. Es ist das, was Sie mit diesem Unternehmen gemacht haben. Darin liegt das Problem.“
In dem Unterausschuss hatte vor Kurzem unter anderem auch ein Boeing-Whistleblower ausgesagt, der dem Konzern Produktionsfehler bei dem Modell 787 Dreamliner vorwirft. Boeing weist die Vorwürfe zurück. Calhoun äußerte sich nicht zu einzelnen Kritikpunkten, sagte aber, dass nicht alle Warnungen sich als zutreffend erwiesen hätten.
Berichte, wonach ein Whistleblower früher bei Boeing verfolgt worden sei, nannte der Manager „herzzerreißend“. Dies sei aber lange vor seiner Zeit gewesen.
Als Calhoun aufstand, um den Anhörungsraum zu verlassen, hielten viele Anwesende noch einmal Bilder von Angehörigen hoch, die bei einem Absturz einer 737 Max ums Leben gekommen waren. „Wie konnten Sie nur?“, schrie laut „CNN“ Clariss Moore, die Mutter von Danielle Moore, die 2019 bei einem Absturz in Äthiopien ums Leben kam, als Calhoun den Raum verließ.
Kritiker bemängeln seit Jahren, dass CEO Dave Calhoun für all die Fehler und Sicherheitsprobleme, die Boeing unter seiner Leitung einräumen musste, nie zur Rechenschaft gezogen wurde. Viele forderten eine strafrechtliche Verfolgung, dazu ist es bislang allerdings nicht gekommen. Calhoun steht seit Anfang 2020 an der Boeing-Spitze und verlässt den Posten zum Jahresende. Ein Nachfolger wurde bisher nicht vorgestellt. (mit dpa)