Psychologin über „Waldbaden“Wie Wipperfürths Wälder für Entspannung sorgen können
Wipperfürth – Den Wind im Gesicht spüren, das Zwitschern der Vögel hören, den nassen Waldboden riechen und das Grün der Blätter sehen. „Finde deinen eigenen Rhythmus“, sagt Sabine Fuchs, als sie zeigt, wie man mitten im Wald auf seine Atmung hört. Dann erklingt eine Zimbel, die signalisiert: Augen wieder öffnen.
„Waldbaden“ heißt das Angebot von Sabine Fuchs, bei dem sie zeigt, wie man den Wald bewusster wahrnehmen kann. Die 55-jährige Diplom-Psychologin aus Radevormwald hat die Couch gegen den Wipperfürther Wald getauscht und bietet Kurse für Stressabbau an.
Im Hauptberuf arbeitet Fuchs in der Personalabteilung einer Bank im betrieblichen Gesundheitsmanagement. Dort beschäftigen sie Themen wie die Work-Life-Balance und Stressbewältigung. Stress lässt sich im Wald abbauen, und da sich die 55-Jährige ohnehin ehrenamtlich für den Naturschutz engagiert, kam beim Waldbaden eins zum anderen.
Manche Teilnehmer nehmen das Waldbaden zu leicht
Ziel des Waldbadens sei es, dem Stress des Alltags zu entfliehen, die Konzentration und Aufmerksamkeit zu fördern und einfach eine entspannte Zeit im Grünen zu verbringen. Es gehe darum, in die Atmosphäre des Waldes einzutauchen, ihn mit allen Sinnen zu erleben, erklärt Fuchs. Dabei helfen Wahrnehmungsübungen, Meditationen und Atemübungen. „In die Natur zu gehen, ist eine der intensivsten Möglichkeiten, die inneren Akkus aufzuladen“, so Fuchs.
Ursprünglich stamm Waldbaden aus Japan. Das „Shinrin-Yoku“ wird dort schon seit hunderten von Jahren praktiziert. Dort ist es anerkannte Therapie. „Auch in Deutschland ist anerkannt, dass der Wald eine heilende Wirkung besitzt, die aber natürlich auch ihre Grenzen hat“, so die Psychologin.
Sabine Fuchs bietet Kurse für Menschen an, die das Waldbaden ausprobieren wollen. Leicht nehmen sollte man diesen Kurs nicht. „Denn gerade eine Meditation im Wald kann für viele sehr emotional sein“, berichtet die Psychologin. So lasse das Waldbaden bei Senioren häufig Erinnerungen wieder aufleben. Das Beanspruchen der Sinne könne Menschen mit Demenz helfen.
In erster Linie wirke der Wald aber beruhigend – durch die Farben, die Gerüche und die Geräusche. Deshalb werde Waldbaden zum Beispiel in der Behandlung von Burnout oder Depression bei Erwachsenen, und bei Kindern mit Aufmerksamkeits- und Konzentrationsschwächen eingesetzt.
Innehalten und Entdecken
Die Kurs bei Sabine Fuchs beginnen immer mit einer Vorstellungsrunde und Atemübungen an einer ruhige Stelle im Wald. Dort können sich die Teilnehmer setzen oder auch einfach stehen bleiben. Sabine Fuchs lädt dazu ein, die Augen zu schließen und sich ganz auf die Atmung zu fokussieren. Nun gibt sie mit ruhiger Stimme Hinweise, wie man tief einatmen kann. Dann geht es zu Fuß weiter. Erst im eigenen Tempo, dann langsamer – achtsamer. „Gerade bei Managern merkt man häufig, dass sie ein sehr zügiges Tempo haben und kaum auf den Wegesrand achten“, berichtet Fuchs.
Die Teilnehmer sollen lernen, sich bewusst umzuschauen und auch mal Halt zu machen, wenn der Blick irgendwo hängen bleibt. „Oft sind die Leute überrascht, wie viel man auf ein paar Metern entdecken kann“. Um das zu verdeutlichen, zieht Fuchs einen weißen Papprahmen hervor. Wie bei einer Kamera halten die Teilnehmer nach Motiven Ausschau, an die sie den Rahmen anlegen. Mit einer Lupe schließlich lassen sich kleinste Details großer Bäume entdecken. Das ermöglicht eine ganze andere Wahrnehmung.
Auch die anderen Sinne werden herausgefordert: Mit geschlossenen Augen wird die Borke einer Buche berührt, ein paar Meter wird barfuß über Moos, Grasbüschel, Bucheckern oder nasses Laub gelaufen. Achtsamkeit heißt das in der Meditation. „Wenn man achtsam die unterschiedlichen Untergründe wahrnimmt, heißt das auch, wertfrei zu bleiben“, sagt Fuchs.
Achtsamkeit mit Naturschutz verbinden
Das gelte auch bei Hörübungen, bei denen man die Umgebung allein durch Geräusche wahrnimmt. Auch hier kommt die Achtsamkeit ins Spiel: Beim einem Kurs an einem Sonntag röhrte in der Ferne ein Motorrad. Statt sich über den Lärm zu ärgern solle „das Geräusch einfach nur wahrnehmen und akzeptieren. Es gehört in unser Umfeld“, erklärt Fuchs.
Einigen Kursteilnehmern fällt es leicht, den Wald achtsam zu erleben, anderen eher schwer. Das gilt auch für Kinder. „Wer in der Schule der größte Macker ist, ist es im Wald nicht unbedingt. Denn hier werden andere Fähigkeiten gefordert“, erzählt Sabine Fuchs von ihren Erfahrungen. Waldbaden sei kein Sport oder Survival-Training, sondern das Eintauchen in die Natur.
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Die Waldstücke wählt Fuchs vorher aus und fragt den Besitzer um Erlaubnis. Gerade seit Corona sei das Interesse am Waldbaden gestiegen und die Psychologin bekommt viele Anfragen. „Die Leute merken nun, wie wichtig es ist, so eine grüne Oase vor der eigenen Haustür zu haben“, so Fuchs.
Reha-Kliniken und Krankenkassen haben das Waldbaden entdeckt
Das Waldbaden ist auch schon in Japan aufgekommen und heißt dort „Shinrin-Yoku“. Erste Studien kamen schon in den 1980er Jahren von dort. Sie sollen belegten, dass durch das Waldbaden das parasympathische Nervensystem aktiviert wird und der Körper dadurch zur Ruhe kommt. Verantwortlich seien die Phytonzide: organische Verbindungen, die Pflanzen ausströmen, um Bakterien, Pilze oder Insekten abzuwehren. Eingeatmet, sollen sie beim Menschen unter anderem den Blutdruck und die Aktivitäten des präfrontalen Kortex senken, das Stresshormon Cortisol verringern und das Immunsystem stärken.
Einige Kliniken in Deutschland, darunter auch zwei psychosomatische Dr.-Becker-Kliniken, bieten die Therapie seit einiger Zeit für psychosomatische Patienten an. Als eine der ersten Kliniken in Deutschland hat die Rhein-Sieg-Klinik das Waldbaden vor rund einem Jahr für neurologische Patienten eingeführt. Die Erfahrungen in Nümbrecht werden dokumentiert und sollen auch zur wissenschaftlichen Forschung beitragen, Studien sind laut Klinik bereits geplant.
Ein wachsendes Interesse an einer Ausbildung zum Resilienz-Trainer bestätigt auch die Deutsche Akademie für Waldbaden und Gesundheit im rheinland-pfälzischen St. Martin. „Wir haben über 2000 Kursleiter ausgebildet. Wir sehen keinen Rückgang, es wird sich etablieren“, sagt Geschäftsführerin Jasmin Schlimm-Thierjung über die Arbeit der vergangenen fünf Jahre. Die Nachfrage steige stetig. Jeder, der die Grundausbildung habe, könne in Bildungseinrichtungen, Schulen oder Altenheimen Kurse anbieten. Mittlerweile könne man sich die Ausbildung zertifizieren lassen. Für Kurs-Teilnehmer gehe es darum, das Gedankenkarussell abzuschalten, so Schlimm-Thierjung. Auch Krankenkassen würden das mittlerweile oft bezuschussen. (dpa/ms)