Erholen in Ländern, aus denen Menschen fliehen – nur weil die Klimabilanz stimmt? Was überspitzt klingt, ist durchaus nah an der Realität. Die Tourismusbranche schaut oft nicht so genau hin.
Ethischer KonfliktWenn im Urlaubsland die Menschenrechte verletzt werden
Wenn die Sommermonate näher kommen, werden weltweit die Reisepläne vieler Menschen konkreter. Die einen zieht es aus Nordeuropa in Richtung Mittelmeer, gern in die Türkei oder nach Nordafrika, wo die Sonne immer scheint und die Preise einigermaßen günstig sind. Die anderen wollen genau in die andere Richtung: weg aus ihren Heimatländern, in denen Demokratie im Zweifelsfall wenig gilt und der Wohlstand überschaubar ist. Hin nach Nordeuropa, wo ein vermeintlich besseres Leben wartet.
Legt man die Statistiken zu den Herkunftsländern der Flüchtlinge in Deutschland und zu den liebsten außereuropäischen Urlaubszielen der Deutschen übereinander, zeigen sich frappierende Überschneidungen. Die Türkei und Nordafrika sind jeweils ganz vorne mit dabei. Aber nicht nur das Thema Flucht sorgt mittlerweile für ethische Konflikte, wenn man als Nord- oder Westeuropäer eine Urlaubsreise in ferne Länder plant.
Urlaub soll möglichst nachhaltig sein
Saudi-Arabien beispielsweise baut seine Tourismusindustrie aus. Zahlreiche Kreuzfahrt-Konzerne haben den Wüstenstaat, der mit seinen Kritikern kurzen Prozess macht, ins Programm aufgenommen. In diesen Programmen wiederum werben Zielländer und Reiseveranstalter mit Vielem, nicht nur mit den Preisen und der Ausstattung der Hotelzimmer: Auch der Klimaschutz spielt inzwischen dem Anschein nach eine gewichtige Rolle. Nachhaltig soll der Urlaub möglichst sein. Die Elefanten, die in Thailand den Touristen zum Streicheln vorgeführt werden, möglichst glücklich.
Der Faktor Mensch spielt in der Bewerbung in Prospekten dagegen eine nachgeordnete oder gar keine Rolle. Zählen Menschenrechte im Tourismus nichts? „Wer in den Urlaub fährt, begibt sich in eine Blase der Sorgenfreiheit und Erholung. Das ist Teil des Versprechens der Anbieter. Alltagssorgen sollen für eine gewisse Zeit keine Rolle spielen“, antwortet Markus Buderath auf die Frage. Er arbeitet bei „Tourism Watch“, ein Ableger der Entwicklungsorganisation „Brot für die Welt“, der sich – vereinfacht gesagt – für fairen Tourismus einsetzt, der nicht nur die Natur, sondern auch Menschen schützt.
Menschenrechte werden ausgeblendet
„Alltagssorgen“, wie eben etwa die Frage nach Menschenrechten, würden vom Großteil der Reisenden ausgeblendet. „Wir merken, dass das auch für die Managementebene vieler Tourismuskonzerne gilt“, so Buderath. Auf Umweltschutz legen diese Manager wiederum aber gesteigerten Wert, wenn man den aktuellen Werbeversprechen glauben darf. Kein Widerspruch für Buderath: Nachhaltigkeit in Umweltfragen seien „niedrig hängende Früchte“, sagt er. Wer als Anbieter Reisen nachhaltiger mache, indem er den Ressourcenverbrauch senke, könne das nicht nur bewerben. Er spare im Zweifelsfall auch Geld.
Bei Menschenrechten herrscht indes scheinbar branchenweit eine gewisse Betriebsblindheit. Experte Buderath formuliert es so: „Die Anbieter lassen Pools von Hotels zertifizieren, um sicherzustellen, dass Kunden in den Pools nicht gefährdet werden. Aber der Perspektivwechsel gelingt nicht: Wie geht es eigentlich den Menschen, die in diesem Hotel arbeiten?“
Der Touristikkonzern Tui, einer der größten weltweit, sieht das zumindest auf sein Angebot bezogen etwas anders. Ein Sprecher teilt mit, der Tourismus stabilisiere die Zivilgesellschaft in den jeweiligen Urlaubsländern: Touristiker arbeiteten mit Unternehmen vor Ort zusammen, hätten eigene, im Zweifelsfall höhere, soziale Standards – und nicht zuletzt der Austausch zwischen der Bevölkerung und den Urlaubern trage dazu bei, das Bewusstsein für die Situation des jeweils anderen zu schärfen. „Von diesen stabilisierenden Wirkungen des Tourismus profitieren die Menschen vor Ort direkt“, so die These von Tui.
Gilt das etwa auch in der Türkei? Der Konzern hat für diesen Sommer sein Angebot deutlich ausgebaut, rechnet nach eigenen Angaben damit, 2,2 Millionen Gäste aus ganz Europa in die Türkei zu bringen. 1500 Hotels und Ressorts betreibt Tui in dem Land, aus dem zugleich viele Menschen derzeit einfach nur wegwollen – wegen der wirtschaftlichen, aber auch der politischen Lage unter Präsident Recep Tayyip Erdogan.
NGO-Vetreter Buderath findet indes auch lobende Worte für die Reisebranche. Er verweist auf Fortschritte im Tourismusbereich; Anbieter beispielsweise, die Kulturangebote mit Kinderdarstellern aus dem Programm geworfen haben. „Wenn es attraktive Alternativangebote ohne Kinder gibt, merkt der Kunde es nicht, aber Kinderrechte sind besser gewahrt.“ Einen Branchenstandard für den Umgang mit Menschen, ähnlich wie für den mit Pools, gebe es aber noch nicht.
Vorsicht bei Auswahl des Reiseveranstalters
Auch das sogenannte Lieferkettensorgfaltspflichtgesetz hat Bewegung gebracht – wenn auch in ganz kleinem Maßstab: Laut Buderath fallen drei von mehr als 2000 Tourismus-Anbietern unter die neue Gesetzgebung und müssen nun genauer beim Thema Menschenrechte hinschauen. Tui ist einer dieser drei Konzerne. Buderath sagt: „Wir bewegen uns also im Promillebereich. Solange sich das nicht ändert, bleibt leider die Verantwortung bei den Reisenden hängen. Sie sollten Reiseveranstalter wählen, die freiwillig auf Menschenrechte achten und ein gutes Nachhaltigkeitsmanagement haben.“
Wetter ist das Hauptkriterium
An den Küsten Südeuropas trifft Jahresurlaub auf Überlebenskampf: Die Bootsmigranten, die über das Mittelmeer nach Europa kommen, landen nicht selten an den Stränden griechischer oder italienischer Badeorte an. Haben solche Meldungen Einfluss auf die Wahl des Urlaubsortes? „Nein“, sagt Jürgen Schmude, emeritierter Professor für Tourismuswirtschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität München, eindeutig. „Solange die persönliche Sicherheit nicht in Gefahr ist, steht das Urlaubserlebnis im Vordergrund. Alles andere wird dann ausgeblendet.“
Bei der Wahl des Urlaubsortes sei das Wetter das Hauptkriterium. „Ethische Erwägungen spielen eine untergeordnete Rolle.“ Wenn Schreckensmeldungen über angespülte Leichen oder überfüllte Flüchtlingslager die Nachrichten dominierten, fahre man eben an einen anderen Ort, der warm ist. „Die sogenannten Warmwasser-Ziele sind schnell austauschbar“, sagt Schmude. Selbst die betroffenen Urlaubsorte erlitten in der Regel nur ein kurzes Tief: „Wir beobachten, dass nach zwei bis drei Jahren die Besucherzahlen wieder das Vorkrisenniveau erreicht haben.“ (mbus)