Auf Wunsch von Gisèle Pelicot wurden Videos der Vergewaltigungen gezeigt. Der Fall hat international für Entsetzen gesorgt.
Vergewaltigungsprozess von Avignon„Hart und unerträglich“ – Tatvideos im Fall Pelicot erstmals vor Gericht gezeigt
Auf ausdrücklichen Wunsch der jahrelang von ihrem Mann zur Vergewaltigung angebotenen Gisèle Pelicot sind bei dem Prozess im südfranzösischen Avignon Fotos und Videos der Taten erstmals öffentlich gezeigt worden. In der Verhandlung am Freitag wurden vor Zuschauern und Medienvertretern neun Videos sowie eine Handvoll Fotos der Taten gezeigt, die Präsentation des schockierenden Beweismaterials dauerte fast eine Stunde.
Den Zuschauern im Gerichtssaal sowie in einem zusätzlichen Zuschauerraum stockte merklich der Atem, als ihnen vorgeführt wurde, wie Gisèle Pelicot auf dem heimischen Ehebett in Mazan von unterschiedlichen Männern missbraucht wurde. Die Aufnahmen zeigten die sieben von insgesamt 51 Angeklagten in dem Prozess, deren Fälle diese Woche verhandelt wurden.
Vergewaltigungsprozess in Avignon: „Harte, unerträgliche Bilder“
„Mehr als eine Stunde lang folgten die harten, unerträglichen Bilder aufeinander“, berichtete Justine Chevalier, die für den französischen TV-Sender „BFM TV“ im Gerichtssaal als Reporterin zugelassen ist. „Manche hielten die Hände vor den Mund, andere vor die Augen“, beschrieb die Journalistin die Reaktionen der Anwesenden im Gerichtssaal. Beim dritten Video habe kaum noch jemand hinsehen können – auch der Hauptbeschuldigte nicht. Eine „handvoll Leute“ habe den Saal während der Vorführung der Videos verlassen, hieß es weiter.
Gisèle Pelicots Ex-Mann Dominique Pelicot hat gestanden, seine Frau von 2011 bis 2020 immer wieder mit Schlafmitteln betäubt und vergewaltigt zu haben. In mindestens 92 Fällen waren auch fremde Männer beteiligt, die Dominique Pelicot in Internetforen kontaktiert hatte.
Gisèle Pelicot: „Die Scham muss die Seite wechseln“
Die heute 72 Jahre alte Pelicot hatte sich von Beginn an dafür eingesetzt, dass der Prozess nicht wie ursprünglich vorgesehen unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfindet. „Die Scham muss die Seite wechseln“, betonte sie. Aus diesem Grunde setzte sie auch durch, dass der Richter am Freitag die Entscheidung rückgängig machte, die Bildaufnahmen von den Taten in dem Prozess nicht öffentlich zu zeigen. Der Entscheidung war eine fast zweistündige Diskussion zwischen den Prozessparteien vorausgegangen.
Gisèle Pelicot schaute während der Präsentation der Videos und Fotos die meiste Zeit auf ihr Handy, ihr Ex-Mann auf der Anklagebank schirmte seine Augen ab oder schaute weg. Von den betroffenen Mitangeklagten schauten manche hin, andere wandten ihren Blick auf den Boden. Die Mitangeklagten wiesen anschließend den Vorwurf der Vergewaltigung erneut zurück.
„Sie haben alle Bescheid gewusst, niemand kann das Gegenteil behaupten“
Während einige Angeklagte argumentieren, sie hätten gedacht, es handele sich um ein Sex-Spiel des Ehepaars und die Frau stelle sich nur schlafend, bezeichnete sich einer der befragten Angeklagten selbst als „Opfer“ und betonte, aus Angst vor Dominique Pelicot gehandelt zu haben. Wieder ein anderer mutmaßte, dass ihm ebenfalls Drogen eingeflößt worden seien, da er sich an nichts mehr erinnern könne.
Dominique Pelicot hat hingegen mehrfach betont: „Sie haben alle Bescheid gewusst, niemand kann das Gegenteil behaupten.“ Bei seiner Aussage vor Gericht belastete der 72-Jährige die Mitangeklagten schwer: „Ich bin ein Vergewaltiger, so wie die anderen hier im Raum“, hatte Pelicot erklärt.
Mordverdacht gegen Dominique Pelicot
„Selbst das zu sehen reicht nicht?“, echauffierte sich die 25 Jahre alte Zuschauerin Elise Pinas über die Reaktionen der Angeklagten und verließ „in Wut“ den zusätzlichen Zuschauersaal. Dass die Videos gezeigt werden, beurteilte die junge Frau unterdessen als „sehr nützlich“. Den Angeklagten in dem Prozess drohen Haftstrafen von bis zu 20 Jahren. Die Urteilsverkündung wird für Mitte Dezember erwartet.
Der Hauptbeschuldigte ist unterdessen wegen weiterer Vergewaltigungsfälle und zwei Morden ins Visier der französischen Ermittler geraten. Bei den Opfern der teils Jahrzehnte zurückliegenden Fälle handelt es sich um Frauen, die für Immobilienagenturen arbeiteten, berichteten die Zeitungen „Le Parisien“ und „Midi Libre“. Bei Wohnungsbesichtigungen oder in den Agenturen griff der Täter seine Opfer an.
Ermittlungsverfahren gegen den 72-Jährigen laufen demnach wegen Vergewaltigung und Mord an einer 23-Jährigen 1991 in Paris sowie wegen der versuchten Vergewaltigung einer 18-Jährigen 1999 im Pariser Umland. In beiden Fällen soll der Täter Ether zur Betäubung der Opfer eingesetzt haben. Während der Rentner die letzte Tat, bei der er durch DNA-Spuren überführt wurde, eingeräumt haben soll, streitet er den Mord kategorisch ab. Am Tatort wurde damals noch keine DNA-Spur von ihm gesichert. (das/afp)