Total von der RolleEine kleine Kulturgeschichte des Toilettenpapiers
- Selten war Klopapier so ein großes Thema wie in zu Corona-Zeiten.
- Das war aber nicht immer so.
- Wir nehmen Sie mit auf eine Reise durch die Kulturgeschichte des Klopapiers.
Kaiser Hongwu hatte es gut. Dabei wurde dem Mann, der als jüngstes von sechs Kindern angeblich in eine ziemlich arme Familie geboren wurde und mit bürgerlichem Namen eigentlich Zhu Yuanzhang hieß, das Glück nicht eben in die Wiege gelegt. Sein Vater war derart mittellos, dass er die Steuern nicht zahlen konnte. Da drohte nicht einfach ein Säumniszuschlag! Hals über Kopf floh das Familienoberhaupt mit seiner Familie vor den Häschern des regierenden Kaisers aus Nanking. Das allerdings war gar keine gute Idee, denn Familie Zhu wanderte mitten hinein in eine Pestepidemie. Ein paar Mal wurde gehustet, dann war der kleine Zhu Yuanzhang Vollwaise.
Nun würden wir diese traurige Geschichte nicht erzählen, hätte sie an diesem Punkt nicht eine unerwartete Wendung genommen. Aus purem Überlebensinstinkt nämlich – so wird berichtet – schlüpfte der Knabe in die Kutte eines buddhistischen Mönchs. Im Kloster lernte er lesen und schreiben, schloss sich der losen Rebellen-Truppe der Roten Turbane an, heiratete die Adoptivtochter des Rebellenchefs und bewirtete den Guru der Sekte vom Weißen Lotus, den die Roten Turbane als Wiedergeburt Buddhas verehrten. Dabei kam der Sektenguru aus Umständen, die wir nicht näher ergründen möchten, ums Leben.
15 000 Blatt Klopapier in einem Jahr
Nachdem auch der Herrscher der Mongolen im Norden angesichts dieser Nachricht bei Nacht und Nebel mit vollen Hosen das Weite gesucht hatte, stieg Zhu Yuangzhang alias Hongwu in Nanking auf den Kaiserthron. Er gründete eine Dynastie, die man noch heute für ihre hübschen Vasen bewundert, ließ 45 000 Gegner köpfen und verbrauchte zusammen mit seiner Familie allein im Jahr 1393 ganze 15 000 Blatt Klopapier einer besonders weichen, parfümierten Sorte. Und das im Maxiformat von zwei mal drei Fuß. In diesen Wochen der Corona-besorgten Hamsterkäufer müssen wir nicht hervorheben, wie viel Glück der erste Ming-Kaiser von China am Ende hatte.
Wer schon morgens um elf im Drogeriemarkt in leere Regale blickt, weil der Erwerb von Toilettenpapier in diesen Tagen der Krise allein den Frühaufstehern vorbehalten ist, der wäre vielleicht auch gerne Kaiser von China. Allerdings schlug den Bewohnern im Reich der Mitte nicht immer derartiges Wohlwollen entgegen. So hat der britische Sinologe Joseph Needham mit einem Quellenfund aus dem 9. Jahrhundert darauf verwiesen, dass hierzulande Klopapier lange Jahrhunderte nicht nur unbekannt, sondern verpönt war.
Zeitungspapier ist keine Alternative
„Sie (die Chinesen) sind nicht sehr sorgfältig mit Sauberkeit, und sie waschen sich nicht mit Wasser, wenn sie ihr Geschäft erledigt haben, sondern wischen sich nur mit Papier ab“, zitiert Needham in seinem Opus Magnum „Science and Civilization in China“ den Bericht eines Reisenden aus dem Jahr 851. In Europa kam man wohl erst in der frühen Neuzeit auf die Idee, gebrauchtes Papier in Fetzen zu reißen.
Nun könnte manch ein geistig eher einfach gestrickter Zeitgenosse ob der fernöstlichen Überlegenheit in diesen Dingen granteln, dann solle der Handel doch das Zeug behalten. Man könne ja auch altes Schriftgut zerschneiden, lochen und wie die Altvorderen an einem Bindfaden aufgereiht zum Gebrauch darreichen. Davon allerdings ist abzuraten, wenn nicht ein teurer Rohrreinigungsservice Abwechslung in die schulfreie Zeit oder ins Homeoffice bringen soll. Zeitungspapier verklumpt im Wasser nämlich zuverlässig zu einem undurchdringlichen Pfropfen.
Die Mutterrolle wiegt 1,5 Tonnen
So bleibt nur der innige Wunsch nach einer Mutterrolle. Die steht neben vielen anderen in einer Lagerhalle der Firma Hakle in Düsseldorf-Reisholz. Ein Schatz von 37 Kilometern Klopapier mit Überbreite, aufgewickelt zu einem Koloss von 1,5 Tonnen Gewicht. Eine vierköpfige Familie, die nach Schätzungen der Branche Jahr um Jahr im Schnitt immerhin 72 Kilogramm in die Schüssel wirft, käme damit locker zwei Jahrzehnte aus.
Schon seit 1928 hat Firmengründer Hans Klenk als einer der ersten in Deutschland Toilettenpapier hergestellt, zuerst in Ludwigsburg, später in Mainz, seine Nachfolger schließlich im Rheinland. Doch selten ging es hier so turbulent zu wie in diesen Wochen. Rund um die Uhr und an sieben Tagen die Woche wuchten hier derzeit Arbeiter Zellstoffballen aus Sattelzügen und bröseln den Rohstoff eilig in den überdimensionalen Mixer. Mit einem Tempo von 100 Stunden-kilometern presst die Fertigungsmaschine den gebleichten und damit saugfähiger gemachten Zellstoffbrei auf eine Trägerstruktur ähnlich wie Bienenwaben. Dann wird geföhnt, gepresst und gerollt. Tissue nennt sich das Ergebnis und wurde erstmals 1857 von Joseph Gayetty in den USA produ ziert – damals noch als Luxusprodukt mit einzelnen Blättern in einer hübschen Box, getunkt in Aloe Vera.
In der DDR Mangelware
Als sich um die Wende zum 20. Jahrhundert die Welt immer schneller drehte, kam das Papier in perforierten Portionen zum raschen Abreißen auf die Rolle, wie wir sie kennen. Aber es dauerte nochmals 60 Jahre, bis besagter Hans Klenk das schmirgelnde Krepppapier in Westdeutschland durch geschmeidiges Weichpapier in mehreren Lagen ersetzte. Da waren wir Wessis fein raus. In der DDR war das Papier für „danach“ nach Ansicht aller Generationen eine ziemlich harte Sache und zudem neben Ketchup, Rotwein, Bienenhonig und Südfrüchten regelmäßig Mangelware. Nicht nur in der DDR wurde das seltene Gut liebevoll mit einer gehäkelten Haube angezogen und auf der Hutablage im Trabant oder im Ford Taunus 17M mitgeführt, für alle Fälle.
Aber auch in den westlichen Industrieländern gibt es Vorläufererscheinungen der aktuellen Mangelwir tschaft. 1973 mündete die Ölkrise in Japan schnurstracks in eine nationsweite Klopapier-Panik. In den USA soll im selben Jahr eine Satiresendung im Fernsehen massive Hortungskäufe bei Konsumenten ausgelöst haben. Niemand soll also behaupten, das Hamstern sei allein eine deutsche Untugend, nur weil mit Ausbruch der Corona-Krise der Absatz laut statistischem Bundesamt um 211 Prozent in die Höhe schoss. Bei Hakle in Düsseldorf haben sie daraufhin sogar vorab gefertigte Sondereditionen auf den Markt geworfen, um die Nachfrage zu stillen. Manche Hersteller schürten sogar die latente Panik. „Der Verzicht auf die Altpapiersammlung in vielen Kommunen während der Viruskrise kann den Rohstoffnachschub gefährden“, warnte etwa der Vorsitzende des Altpapierausschusses des Verbandes Deutscher Papierfabriken (VPD), Henri Vermeulen.
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In Friedens- und Pandemie-freien Zeiten sind wir Deutschen dagegen kaum rollenfixiert. Vor einigen Jahren attestierte uns der US -Konsumforscher Michael Saren in einem Marketing-Ratgeber resigniert, wir brächten für das schnell verbrauchte Klopapier als Konsumprodukt kaum Interesse auf – ob mit aufgedruckten Blümchen oder ohne. Ganz anders verhalten sich Sarens Landsleute. Die diskutieren mit Hingabe über Konsumartikel. 1986 antworteten 15 000 Leser der Chicago Tribune auf die Frage einer Kolumnistin, in welche Richtung man die Klorolle richtigerweise aufhängt – soll das Papier nach hinten oder nach vorne abrollen?
Ein Vierteljahrhundert später konnte ein Hersteller mit derselben Frage auf seinen Packungen 500 000 Verbraucher zur Abstimmung animieren – allein mit der Aussicht, zwei B-Prominente künftig auf die Mehrheitsmeinung zu verpflichten. Die Nach-vorne-Abroller lagen übrigens klar vorn. Der Kaiser von China hätte sich an der Abstimmung sicher beteiligt.