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BfArM-Chef„Noch 2020 könnte es ein zugelassenes Medikament gegen Corona geben“

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Karl Broich, Präsident des Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte.

  1. Karl Broich ist Arzt und Psychiater. Seit 2014 ist er Präsident des Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte.
  2. In der Frage um ein zugelassenes Medikament gegen Corona zeigt er sich zuversichtlich.
  3. Er ist sich sicher, dass sich Patienten keine Sorgen machen müssen, ihre Arzneimittel nicht zu bekommen.

Bonn – Eine Aufgabe des BfArM (Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte) ist, Engpässe bei Medikamenten zu verhindern. Ein Interview mit dem BfArM-Chef Karl Broich.

Müssen sich Patienten Sorgen machen, ihre Arzneimittel nicht zu bekommen?

Karl Broich: Nein. Wir haben unmittelbar reagiert, nachdem wir im Februar und März festgestellt hatten, dass die Umsätze in Apotheken teilweise um 60 Prozent in die Höhe schnellten. Dort, in Kliniken und bei Großhändlern wurde regelrecht gehamstert. Als Arzneimittel wie Hydroxychloroquin, das für bestimmte Rheumaerkrankungen zugelassen ist, als mögliches Mittel gegen COVID-19 bekannt wurde, kamen einige chronisch Kranke nicht mehr heran, die es für ihre Rheumaerkrankung nehmen. Letzte Woche haben wir angeordnet: Außerhalb von Krankenhäusern darf Hydroxychloroquin nur noch an Patienten mit einer spezifischen Rheumaerkrankung abgegeben werden.

Einmal war plötzlich auch Paracetamol knapp.

Broich: Da hatte sich die Weltgesundheitsorganisation WHO unglücklicherweise Meldungen angeschlossen, Ibuprofen könnte bei COVID-19-Erkrankten schädlich sein, als Schmerzmittel sei Paracetamol zu bevorzugen. Das ist wissenschaftlich nicht nachgewiesen und wurde von der WHO inzwischen auch wieder zurückgenommen. Trotzdem kam es zu Hamsterkäufen. Deshalb haben wir zusammen mit dem Bundesgesundheitsministerium entschieden, dass pro Patient nur noch eine Packung Paracetamol abgegeben werden darf.

Wie viele Anträge auf klinische Prüfungen bei Arzneimitteln, die gegen COVID-19 helfen könnten, haben Sie seit Beginn der Krise?

Broich: Wir haben sehr viele Anträge bekommen und inzwischen auch acht klinische Prüfungen genehmigt, die solide Arzneimittel mit geeignetem Prüfplan bei COVID-19-Patienten überprüfen.

Wie lange dauert es bis zur Zulassung der klinischen Prüfung?

Broich: Wenn die Unterlagen – Voraussetzung für die Genehmigung einer solchen Prüfung – komplett erstellt waren, haben wir oft in ein bis zwei Tagen eine solche klinische Prüfung genehmigt. Das ist ein komplexer Prozess, der sonst Wochen und Monate dauern kann. Dafür haben wir im BfArM umpriorisiert und uns in sogenannten rollenden Verfahren ständig mit den Pharmaunternehmen, Kliniken und Ethikkommissionen beraten: Was wissen wir über das Corona-Virus, über die COVID-19Erkrankung, wo könnte das Arzneimittel sinnvoll eingesetzt werden?

Welches Mittel gilt am erfolgversprechendsten gegen COVID-19?

Broich: Mehrere klinische Prüfungen laufen zum Wirkstoff Remdesivir, das ist ein virushemmendes Mittel, das von den präklinischen Daten als am erfolgversprechendsten gilt und auch von der WHO empfohlen worden ist. An diesen Prüfungen sind acht klinische Zentren in Deutschland beteiligt. Diese Studien haben wir ebenfalls innerhalb eines Tages genehmigt.

Auf der Website des BfArM kann man lesen, dass Remdesivir auch schon außerhalb klinischer Studien angewendet werden darf.

Broich: Weil wir schon so viele COVID-19- Patienten haben, haben wir am 3. April ein sogenanntes Härtefallprogramm genehmigt. Damit können schwerer betroffene Patienten mit der COVID-Erkrankung außerhalb einer klinischen Prüfung im Krankenhaus mit Remdesivir behandelt werden, obwohl es noch keine offizielle Zulassung hat. Das alles passiert, ohne dass wir Sicherheitsstandards außen vor lassen. Wir achten genau darauf, dass wir auch mit diesen schnellen Entscheidungen eine möglichst große Chance auf Wirksamkeit haben, aber dass wir die Patienten zugleich bestmöglich schützen, damit sie keine Nebenwirkungen davontragen.

Sie erwähnten bereits Hydroxychloroquin, das mit Chloroquin verwandt ist und bisher gegen Malaria eingesetzt wurde. Wie bewertet das BfArM bisher diese beiden Arzneimittel?

Broich: Beide sind in China im Rahmen der Epidemie dort sehr viel eingesetzt worden. Wir haben dazu auch erste klinische Studienergebnisse aus China bekommen, die sind aber methodisch sehr angreifbar gewesen. Bis jetzt gibt es kein Arzneimittel, was hinreichend die Wirksamkeit und Unbedenklichkeit bei der COVID-19-Erkrankung bewiesen hat. Chloroquin verspricht aber von einigen Daten her, dass es, vor allem wenn es früh eingesetzt wird, helfen könnte.

Welche gesundheitlichen Risiken gibt es bei Chloroquin und Hydroxychloroquin?

Broich: Beide Arzneimittel können zum Beispiel den Herzrhythmus negativ beeinflussen. In Frankreich kam es kürzlich zu Todesfällen, weil Patienten unkontrolliert in Eigenanwendung Chloroquin genommen hatten, bei denen es zu schwerwiegenden Interaktionen mit anderen Arzneimitteln kam. Deshalb ist es uns so wichtig, dass wir alle unsere Kommunikationskanäle nutzen, auf unserer Webseite, in den Medien, um klar zu machen: Trotz aller Not, die wegen der COVID-19-Erkrankung da ist, geht es darum, die Versorgung sicher zu gestalten. Man darf jetzt nicht die Nerven verlieren und alles Mögliche ausprobieren, sondern wir müssen geordnet herangehen, damit wir möglichst schnell gut fundierte wissenschaftliche Daten für eine Zulassung bekommen und gleichzeitig ermöglichen, dass Patienten an Behandlungsansätze herankommen. Das haben wir in den vergangenen zwei Wochen hochprioritär betrieben und sind da auch im europäischen Vergleich sehr gut vorangekommen.

Wie viele Patienten braucht man für eine klinische Studie?

Broich: Das sind mehrere hundert Patienten, die man in einem Behandlungsarm braucht. Das wird in verschiedenen Studienprotokollen aber unterschiedlich verpflichtend.

Wie schnell rechnen Sie mit Ergebnissen bei den klinischen Prüfungen?

Broich: Neben dem Anbieter von Remdesivir selbst läuft in Kürze eine von der WHO koordinierte Studie an, woran deutsche Zentren beteiligt sind. Spätestens Anfang nächster Woche werden wir die Genehmigung für die Durchführung dieser Studie geben können. Da werden Remdesivir und Hydroxychloroquin im üblichen Behandlungsstandard in Behandlungsarmen miteinander verglichen. Innerhalb weniger Wochen werden wir erste wirklich gut belegbare Daten aus Deutschland haben.

Wann könnte es ein zugelassenes Medikament gegen COVID-19 geben?

Broich: Ich gehe davon aus, dass wir bis zum Spätsommer die ersten belastbaren Ergebnisse aus den derzeit laufenden Studien bekommen. Wenn die Daten es hergeben, bin ich sehr zuversichtlich, dass wir noch in diesem Jahr eine Zulassung erteilen können. Klar ist aber auch: Bisher haben wir für kein Arzneimittel ausreichende Wirksamkeitsbelege. Wir wissen beispielsweise aus den chinesischen Erfahrungen, dass es für Remdesivir erste positive Hinweise gibt. Aber es gibt auch Fragezeichen. Deshalb bringen wir unsere fachliche Expertise auch als federführende Behörde bei der Bewertung von Remdesivir auf europäischer Ebene im Sinne der Patienten ein.

Gibt es andere Wirkstoffe, die für klinische Prüfungen eingereicht werden?

Broich: Es gibt etwa klinische Prüfungen von Camostat, ein Wirkstoff gegen Entzündungen der Bauchspeicheldrüse. Das ist ein schon älteres Arzneimittel, das in asiatischen Ländern verwendet wird und auch eine viruzide Wirkung in präklinischen Zellkulturen nachgewiesen hat. Nur die Dosierungen, die man aus den Ergebnissen aus den Zellkulturen hochrechnet, wären bei Patienten mit Standardgewicht so stark, dass es da zu gravierenden Nebenwirkungen kommen könnte. Eine andere Substanz ist Favipiravir, die man auch bei dem ersten Sars-Corona-Virus diskutiert hat. Uns wird aber leider auch viel Unsinn vorgelegt. Da ist unsere Expertise gefragt, die Spreu vom Weizen zu trennen.

Für die Zulassung von Medizinprodukten ist das BfArM gewöhnlich nicht zuständig, jetzt berät es aber Hersteller von medizinischen Atemschutzmasken und erteilt Sonderzulassungen. Wie schnell geht das?

Broich: Normalerweise brauchen diese Schutzmasken ein CE-Kennzeichnen, um in Europa zugelassen zu sein. Wegen der Engpässe für die sogenannten FFP2- und FFP3-Schutzmasken haben wir die internationalen Kriterien in den USA oder China miteinander verglichen und akzeptieren die auch hier in Deutschland, das erfolgt im Rahmen einer Sonderzulassung. Wir haben eine interne Projektgruppe speziell zu diesem Thema eingerichtet. Wir können dann diese Sonderzulassung bei Vorliegen der entsprechenden Unterlagen in ein bis zwei Tagen aussprechen.

Haben Sie einen Überblick, wie viele Firmen jetzt ihre Produktion auf Atemschutzmasken umgestellt haben?

Broich: Anfangs waren es wenige professionelle Hersteller, dann hat es sehr viele kleinere Initiativen gegeben. Jetzt steigen, vermittelt durch die Bundesregierung, sehr große Firmen, auch Vlieshersteller, in die Maskenproduktion ein, so dass wir sehr schnell pro Woche zu Millionenzahlen kommen werden aufgrund der Sonderzulassungen, die wir dann erteilen. Wir hoffen, in wenigen Wochen den absoluten Mangel abstellen zu können.

Wie schaffen die Mitarbeiter des BfArM die derzeitige Arbeitslast?

Broich: Wir haben die Prioritäten umgeshiftet auf alles, was mit COVID-19 zu tun hat. Natürlich müssen alle unsere Routineaufgaben auch weiterlaufen. Wir müssen weiterhin schnell reagieren, wenn bei der Routineverordnung eines neuen Arzneimittels neue Risiken auftreten. Arbeitstage mit zehn, zwölf, 14 Stunden sind nicht ungewöhnlich.

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Stellt das BfArM sogar neue Mitarbeiter ein?

Broich: Personal für die neuen Aufgaben in der Corona-Krise stellen wir nicht ein, weil wir dafür sehr erfahrene Kollegen brauchen, die nicht einfach schnell eingearbeitet werden können. Aber wir stimmen uns mit den Kollegen im Robert-Koch-Institut ab und spielen uns die Bälle gegenseitig zu, damit wir immer wissen, was an zusätzlichen Fragen auf uns zukommen könnte. Ich teile Herrn Wieler vom RKI wöchentlich unsere Ergebnisse mit, manchmal tauschen wir uns auch täglich aus.

Wie schützen Sie die rund 1100 Mitarbeiter des BfArM vor einer Coronavirus-Ansteckung?

Broich: Vor der Corona-Krise hatten wir 25 Prozent der Beschäftigten im mobilen Arbeiten. Technisch haben wir es eingerichtet, dass alle bis auf wenige Ausnahmen im Homeoffice wenigstens vorübergehend arbeiten können. Im Moment ist immer circa ein Drittel der Beschäftigten im Haus vor Ort, um jederzeit adäquat reagieren zu können. Das sortieren wir auch immer etwas um, damit nicht eine ganze Projektgruppe gleichzeitig ausfällt, wenn bei uns jemand im Expertenteam in Quarantäne muss.