Stand der aktuellen ForschungCorona-Impfstoff mit Stromstößen oder als Nasenspray?
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Weltweit wird in mindestens 77 Projekten an einem Impfstoff gegen das neue Coronavirus gearbeitet.
Einige Entwickler kommen dabei auf ungewöhnliche Ideen
Wie ist der Stand bei der Entwicklung von Impfstoffen? Ein Überblick
Ohne Corona-Impfstoff keine Rückkehr zur Normalität: Das hat Lars Schaade, der Vizepräsident der Robert-Koch-Instituts (RKI), am Dienstag bekräftigt. Selbst wenn man Kontaktsperren irgendwann aufheben sollte, müsse man bereit sein, sie jederzeit wieder einzuführen. Aber wie ist der Stand bei der Entwicklung von Impfstoffen?
Wer forscht an Corona-Impfstoffen?
Der Verband forschender Arzneimittelhersteller (VfA) zählt weltweit 77 Projekte für Impfstoffe gegen das neue Coronavirus. In 13 Fällen habe eine Erprobung am Menschen entweder schon begonnen oder sei angekündigt. Konkret haben die US-Unternehmen Moderna und Inovia, der chinesische Mitbewerber Cansino und ein Forschungsinstitut aus dem chinesischen Shenzen (mit zwei Präparaten) solche Versuche gestartet. Die Universität Oxford, die mit Merck aus Darmstadt kooperiert, will bald nachziehen. Das deutsche Unternehmen Curevac – Mehrheitseigner ist SAP-Gründer und Fußballmäzen Dietmar Hopp – hofft auf einen Versuchsstart im Juni. Noch nicht berücksicht hat der VfA die Ankündigung der US-Firma Altimmune, im August mit Versuchen an Menschen zu beginnen – das wäre Kandidat Nummer 14.
Wie soll der Impfschutz erreicht werden?
Ob es um das neue Corona-Virus Sars-CoV-2 geht oder um altbekannte Erreger, das Prinzip ist immer gleich: Dem Körper wird eine Infektion mit dem echten Erreger vorgegaukelt. Er bildet Antikörper aus, die die Bakterien oder Viren bekämpfen. Die Antikörper verschwinden zwar allmählich wieder aus dem Blut – was aber bleibt, sind Gedächtniszellen, eine spezielle Form der weißen Blutkörperchen (siehe Grafik). Kommt es nun zu einer echten Infektion, kann der Körper dank der Gedächtniszellen viel schneller reagieren und neue Antikörper bilden.
Klassische Lebendimpfstoffe enthalten Erreger, beispielsweise Masern- oder Rötelviren, in abgeschwächter Form. So etwas ist bei den jetzt zu testenden Corona-Impfstoffen nicht geplant. Viele Hersteller versuchen dagegen, die charakteristische äußere Eiweißstruktur (die „Spikes“) der Coronaviren gentechnisch nachzubilden. Sie spritzen also nur Virenfragmente. An denen darf der Körper des Patienten seine Immunantwort trainieren.
Noch weiter gehen Firmen, die dem Patienten nicht die „Spikes“ selbst, sondern nur deren Bauplan verabreichen wollen. Sie verpacken entsprechende DNA in harmlose „Vektorviren“ und schleusen sie so in den Körper, um eine Infektion zu simulieren. Das versucht zum Beispiel die Universität Oxford. Ohne diesen Umweg planen die Hopp-Firma Curevac in Tübingen, der US-Konkurrent Janssen und ein Konsortium um den Viagra-Hersteller Pfizer: Sie setzen auf Erbgutschnipsel, sogenannte Boten-RNA, die durch Nanopartikel im Körper verteilt werden. Ein neuartiges, bei noch keinem bisher zugelassenen Impfstoff angewandtes Verfahren.
Ausgefallen ist auch die Technik der US-Firma Inovio: Eine DNA-Impfung, die nicht per Injektionsnadel verabreicht, sondern durch kleine Stromstöße in die Haut gejagt wird. Bei einem Impfversuch gegen den Erreger der Krankheit Mers, auch ein Coronavirus, hat das funktioniert. Angenehmer klingen die Pläne der US-Unternehmen Altimmune und Vaxart, deren Produkte (Bauart Vektorvirus) es als Nasenspray beziehungsweise Tablette geben soll.
Wie werden die Impfstoffe getestet?
Früher dauerte die Entwicklung eines Impfstoffs oft mehr als ein Jahrzehnt, jetzt beginnen schon ein halbes Jahr nach Auftreten der ersten Corona-Fälle Tests am Menschen. Als erste startete die Firma Moderna, die allerdings auf Tierversuche im Vorfeld verzichtet. Curevac testet dagegen an Tieren.
Bei der klinischen Prüfung gibt es drei Phasen: Zunächst wird mit zehn bis etwa 50 Personen getestet, wie gut der Impfstoff verträglich ist. In dieser Phase ist das Moderna-Präparat. In Phase II wird dann mit einigen hundert gesunden Probanden untersucht, ob der Stoff eine ausreichende Immunantwort erzeugt. Dann folgt Phase III mit einer vierstelligen Zahl von Probanden, die einem hohen Infektionsrisiko ausgesetzt sind. Schützt der Impfstoff sie wirklich? Und wenn ja, wie lange?
Frühestens nach einem Jahr ist eine behördliche Zulassung möglich – wenn die Tests nicht schweitern. Zuständig ist in der EU die Europäische Arzneiagentur in Amsterdam.
Trotz Corona-Pandemie kann auf diese gewissenhafte Prüfung nicht verzichtet werden. Ein warnendes Beispiel ist der Schweinegrippen-Impfstoff Pandemrix. Der wurde 2009 in einem abgekürzten Verfahren zugelassen. Ein Jahr später zeigte sich ein massiver Anstieg der Fälle von Narkolepsie, einer unheilbaren Schlafkrankheit, bei mit Pandemrix geimpften Kindern. 2016 begann Schweden mit der Entschädigung der Opfer. 2018 warf das angesehene British Medical Journal den Hersteller GSK vor, er habe auf die Meldungen der Nebenwirkungen nicht angemessen reagiert. Das britische Unternehmen bestreitet das.
Mit dem französischen Partner Sanofi ist GSK auch in Sachen Corona aktiv. Tests mit einem gentechnisch hergestellten Impfstoff sollen in der zweiten Jahreshälfte beginnen.
Diese vier Medikamente gibt es derzeit
Zahlreiche Pharmaunternehmen arbeiten an Wirkstoffen gegen das neue Coronavirus. Chancen für einen kurzfristigen Einsatz gibt es aber nur bei Medikamenten, die bereits fertig entwickelt sind. Die Weltgesundheitsorganisation lässt vier Möglichkeiten prüfen:
1 Remdesivir
hemmt die Vermehrung verschiedener Viren in menschlichen und tierischen Zellen. Entwickelt wurde es zur Bekämpfung der Ebola-Seuche. Remdesivir-Infusionen erwiesen sich zwar als grundsätzlich wirksam, waren aber Therapien mit Antikörpern unterlegen. Bei Tests in Zellkulturen wirkte das Mittel auch gegen das neue Coronavirus.
2 Chloroquin (Handelsname Resochin)
wurde vor 80 Jahren bei Bayer entwickelt. Ursprünglich wurde es gegen Malaria eingesetzt, heute dient es oft als Entzündungshemmer bei Rheumapatienten. Eine antivirale Wirkung wird vermutet, ist aber nicht bewiesen.Auch Bayer selbst plant jetzt mit einem kanadischen Partner ein Forschungsprogramm dazu.
3 Ritonavir und Lopinavir
werden kombiniert gegen Aidsviren (HIV) gegeben. Vereinzelt wurden auch Patienten der Sars-Epidemie 2002/03 so behandelt – nach einer allerdings umstrittenen Studie erfolgreich. Da das neue Corona-Virus mit dem Sars-Erreger verwandt ist, soll eine Anwendung gegen Covid-19 untersucht werden.
4 Beta-Interferone
sind Eiweißstoffe, die unter anderem das Immunsystem beeinflussen. Sie werden gegen Multiple Sklerose eingesetzt, haben aber auch eine antivirale Wirkung. Beta-Intaferone sollen aber nicht allein gegen Covid-19 gegeben werden, sondern in Kombination mit Ritonavir und Lopinavir. (rn)