Sars-CoV-2Wie gefährlich die Mutationen der Coronaviren sind
- Das Erbgut von Viren wandelt sich ständig. Die meisten dieser Mutationen sind bedeutungslos.
- Doch manche machen einen Erreger tatsächlich gefährlicher.
- Wie ist das bei Sars-CoV-2?
Düsseldorf – Viren machen Fehler. Wenn es um ihre eigene Entwicklung geht, sind sie sogar ziemlich schlampig. Viren vermehren sich, indem sie ihr Erbgut kopieren. In den allermeisten Fällen brauchen sie dafür die Hilfe einer Wirtszelle. Da Viren sehr schnell sehr viele Kopien ihres Erbguts herstellen und die Werkzeuge, die ihre Erbinformation ablesen, ungenauer arbeiten als die von höher entwickelten Organismen, mutieren sie besonders häufig.
Das bedeutet: Sie machen Fehler. Denn jede Mutation im Erbgut ist das Resultat eines Kopierfehlers.Dass Viren mutieren, ist normal. Sie tun es ständig. Die bedeutende Frage für die Wissenschaft ist aber: Welche Mutation macht das Virus gefährlicher? Mit jeder Veränderung des Erbguts verändern sich auch die Eigenschaften des Virus.
Manche Änderungen sind vollkommen irrelevant, andere machen ein Virus tatsächlich gefährlicher.
Bereits 100 Mutationen im Verlauf der Pandemie
Im Fall des Coronavirus wurden seit Beginn der Pandemie über 100 Mutationen festgestellt. Die meisten blieben folgenlos. In Peking stießen Forscher nun auf eine Mutation, die ebenfalls beim in Europa vorkommenden Coronavirus charakteristisch ist. Sie trägt den Namen D614G und betrifft das Spike-Protein, mit dessen Hilfe das Coronavirus in die Zelle eindringt. Die genetische Veränderung könnte dazu führen, dass sich die virale Übertragung verstärkt, schreiben die Forscher in ihrer Studie.
Der in Europa vorkommende Erreger scheint demnach der etwas infektiösere zu sein, weshalb er sich mit der Zeit auch in anderen Regionen durchsetzt, so die These. Doch eindeutige Beweise gibt es dafür nicht. „Um jetzt wirklich funktionell zu verstehen, was die Konsequenz einer einzelnen Mutation ist, bedarf es deutlich mehr Arbeit im Labor und nicht nur die reine Sequenzierarbeit“, sagt Andreas Bergthaler, Leiter des Projektes Mutationsdynamik von Sars-CoV-2 in Österreich.
Mit seinem Team entschlüsselt Bergthaler weitere Gensequenzen des Virus. Dadurch lässt sich großräumig ermitteln, welches Virus wo vorkommt. „Bei dieser Pandemie gibt es sehr viele parallele Eintragungswege. Es ist nicht nur ein einziges Event, sondern das Virus ist vielfach in Österreich gelandet, vielfach in Deutschland, vielfach in den USA auf unterschiedlichen Arten und Wegen. Das heißt, das ist ein Gemisch“, sagte Bergthaler.
Aufschlüsselung der Gensequenzen kann helfen, Ausbrüche abzugrenzen
Richard Neher, Leiter der Forschungsgruppe Evolution von Viren und Bakterien an der Universität Basel, sagt: „Generell gehe ich n ach wie vor davon aus, dass die Mutationen, die wir beobachten, keinen wirklich signifikanten Unterschied auf Übertragung oder Ansteckungsfähigkeit haben.“ Man könne den Effekt nicht ausschließen, aber der Beweis dafür sei nach wie vor schwach. Neher betonte jedoch ebenfalls, dass die weitere Aufschlüsselung der Gensequenzen dabei helfen könnte, einzelne Ausbrüche voneinander abzugrenzen. „Das Virus mutiert ungefähr alle zwei Wochen. Das ist allerdings nicht wie ein Uhrwerk, sondern manchmal kommen drei auf einmal und dann wieder sechs Wochen keine. Sodass man auf einer Zeitskala von ungefähr vier Wochen Ausbrüche miteinander recht gut verknüpfen oder mit Sicherheit sagen kann, dass sie getrennte Ereignisse sind“, so Neher.
Coronaviren sind RNA-Viren. Das bedeutet, die Basenabfolge ihrer Erbinformation stellt sich als Einzelstrang dar – im Unterschied zur DNA, bei der die Basenabfolge als Doppelstrang vorliegt. Coronaviren besitzen das größte Genom aller bekannten RNA-Viren. Um die Fehlerrate bei der Vervielfältigung niedrig zu halten, verfügen diese Viren über einen besonderen Korrekturmechanismus. Dadurch ist die Mutationsrate im Vergleich zu anderen RNA-Viren zunächst geringer.
Virus wird gezwungen zu mutieren
„Gleichzeitig ist das Genom aber ungefähr dreimal so groß. Und das hält sich die Waage. Die Zahl der Mutationen pro Monat ist in all diesen Viren ähnlich“, sagt Neher.Verändert eine zufällige Mutation die Eigenschaften des Virus dahingehend, dass es besser und länger überleben kann, wird sich diese Eigenschaft mit der Zeit gegenüber anderen Virusvarianten durchsetzen. Dies ist als Selektion bekannt.
Äußere Bedingungen können einen sogenannten Selektionsdruck auf ein Virus haben. Das Virus wird also gezwungen zu mutieren. Dem Virus ist dabei egal, ob sein Wirt früher oder später stirbt. Es ist ein Irrglaube, dass ein besonders tödliches Virus keine großen Überlebenschancen hat, weil der Wirt früher stirbt. Es geht um die Übertragung. „Wenn ich, um eine gute Übertragung zu erreichen, nun mal meinen Wirt komplett ausnutzen muss und der dabei vielleicht sogar verstirbt, dann ist das wurscht, weil bis dahin schon wieder viele andere infiziert wurden“, sagt Friedemann Weber, Virologe an der Uni Gießen.
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Weber rechnet allerdings bei Sars-CoV-2 nicht mehr mit Mutationen, die das Virus besonders optimieren. „Ich glaube, dieses Virus ist schon so gut angepasst, dass eigentlich nicht mehr so viel Luft nach oben ist.“ So sind Betroffene bereits infektiös, wenn sie noch keine Symptome zeigen. Das Virus verbreitet sich dadurch schnell im Verborgenen, wenn es keine Eindämmungsmaßnahmen gibt. Diese könnten paradoxerweise allerdings auch einen Selektionsdruck auf das Virus ausüben. Wenn man den Zeitraum verzögere, in dem der nächste Wirt infiziert werden kann, werde sich die Evolution oder die Selektion auf solche Viren hin ausrichten , die den Wirt mehr schonen, sagt Burgthaler. Sars-CoV-2 würde dadurch womöglich weniger tödlich sein, sich aber länger im Körper halten.
Mutationen und Impf-Wirksamkeit
Probleme Im ungünstigsten Fall erschweren Mutationen auch die Findung eines Impfstoffs. Derlei Probleme zeigen sich jährlich bei der Grippe. Sie sei das Paradebeispiel von einem Virus, das dem Impfstoff wegläuft, sagt Richard Neher vom Biozentrum der Uni Basel. Jedes Jahr muss der Grippeimpfstoff angepasst werden, weil das Influenzavirus zu schnell mutiert.
Immunantwort Mit derartigen Schwierigkeiten rechnet Neher bei Sars-CoV-2 jedoch nicht: „Ich glaube nicht, dass es auf einer sehr kurzen Zeitskala sogenannte Escape-Mutationen geben würde, die einen Impfstoff ineffektiv machen.“ Zudem sei die typische Immunantwort eines jeden Körpers in der Regel sehr unterschiedlich. Der Basler Experte sagt: „Das heißt, eine Mutation reduziert nicht in jedem Menschen gleich die Effizienz des Impfstoffs.“