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Zwei ehemalige Mitarbeiter packen ausWie es im Tönnies-Schlachthof wirklich zugeht

Lesezeit 4 Minuten
Tönnis Tor

Ein Mitarbeiter der Tönnies Security steht vor einem geöffneten Werkstor beim Fleischverarbeiter Tönnies. 

  1. Viele der Mitarbeiter bei Tönnies arbeiten weniger als sechs Monate dort.
  2. Das sei kein Zufall, meint Stefan, ein ehemaliger Mitarbeiter – so umgeht man Urlaubsansprüche.
  3. Über die Zustände dort, über Schikanen von Chefs und vielem mehr spricht er mit unserer Zeitung.

Rheda-Wiedenbrück – Fünf Monate nachdem Stefan* im Tönnies-Schlachthof in Rheda-Wiedenbrück angefangen hatte, musste er gehen. Fünf Monate lang machte er immer die Nachtschicht, von 17.30 bis 4 Uhr morgens. Der 58-jährige Bulgare wuchtete 20-Kilo-Fleischstücke aufs Fließband, die danach gekühlt, zerlegt und verpackt wurden. Sein Monatslohn dafür: 1200  Euro. So erzählt es der ehemalige Tönnies-Mitarbeiter.

Auch ein Kollege von Stefan hat nach wenigen Monaten bei Tönnies aufgehört. Seine Erinnerungen prägt vor allem eins: „Es war sehr kalt im Schlachthof“, sagt Ivan*. Beide Bulgaren erzählen immer wieder von der Kälte. Auch in einem Bericht des Landesarbeitsministeriums von 2019 ist davon die Rede. Das körpe rlich anstrengende Arbeiten bei Temperaturen unter zwölf Grad führe bei den zu langen Arbeitszeiten zu „gravierenden Gesundheitsschädigungen“, hieß es. 30 Fleischbetriebe in Nordrhein-Westfalen wurden dafür überprüft, bei 85 Prozent fand man „gravierende Mängel“. Ob auch Tönnies kontrolliert wurde, geht aus dem Bericht nicht hervor.

Ein weiteres Muster der Erzählungen von Stefan und Ivan: Die meisten Arbeiter blieben wenige Monate, bevor sie entweder von selbst aufhörten oder gekündigt würden. Das sei kein Zufall, glaubt Stefan. „Sie schmeißen viele raus, bevor sechs Monate rum sind“, sagt er. Sechs Monate, das ist die maximale Dauer der Probezeit. Bevor die vorbei ist, haben Arbeitnehmer keinen Anspruch auf vollen Urlaub. Und sie können binnen zwei Wochen gekündigt werden – selbst im Krankheitsfall.

Tönnies von oben

Eine Luftaufnahme der Tönnies Holding. Aufgenommen mit einer Drohne. 

Stefan berichtet von Schikanen im Schlachthof. Aus dem Job sei er von seinen Vorgesetzten gemobbt worden. Manche Chefs würden das Leben der Arbeiter zur Hölle machen, das Fließband zum Spaß schneller rollen lassen, kompetente Kollegen kleinmachen, bevor sie ihnen zur Konkurrenz werden könnten. Es sei Glückssache, was für einen Chef man erwische. Mit manchen sei die Atmosphäre gut, man scherze und lache viel. Stefan hatte beide Arten von Chefs.

Wie lebt man als Schlachthof-Mitarbeiter? Ivan hatte Glück. Er hat keine schlechten Wohnungsbedingungen erlebt, er konnte direkt zu seinen Verwandten ziehen. Wie seine Kollegen gewohnt haben, wisse er nicht, sagt Stefan. Für Gespräche sei nicht viel Zeit geblieben. „Arbeit, Schlaf, Arbeit, Schlaf“, das sei sein Alltag gewesen, sagt Ivan. Während er spricht, hört man im Hintergrund ein Baby weinen.

20 Menschen in einem Haus – zwei in jedem Zimmer

Stefan hat in den Unterkünften eines Subunternehmers gelebt. „Das war schon in Ordnung, alles normal“, sagt er immer wieder. Die Bedingungen, die er beschreibt, würden nicht viele Menschen in Deutschland normal nennen. In der Nähe von Rheda-Wiedenbrück hätten 20 Menschen in einem Haus mit drei Stockwerken gewohnt. „Zwei in jedem Zimmer, das hat schon gepasst“, sagt Stefan. Im ersten Monat. Danach wurde es enger. In vier Zimmern schliefen acht Menschen; Küche und Bad teilten sie sich.

Auf Anfrage sagt ein Sprecher von Tönnies, dass dem Unternehmen keiner der hier geschilderten Vorfälle bekannt sei. „Löhne, Schutzkleidung und Arbeitseinsätze sind mit den Dienstleistern klar geregelt.“ Man sei immer ansprechbar gewesen. Das schildern die ehemaligen Mitarbeiter anders – Stefan sagt, er habe mehrmals darum gebeten, nicht nur Nachtschichten zu machen, und sei ohne Erklärung abgewiesen worden. Tönnies hat nach dem Ausbruch erklärt, schon bis Ende des Jahres nicht mehr mit Werkverträgen arbeiten zu wollen. Die Arbeitsbedingungen in Schlachthöfen wurden aber schon lange vor der Pandemie kritisiert.

Manche von Stefans ehemaligen Mitbewohnern arbeiten noch im Schlachthof. „Sie sind in Quarantäne, dürfen nicht das Haus verlassen, sonst drohen hohe Strafen“, weiß Stefan. Er telefoniert in letzter Zeit oft mit seinen ehemaligen Kollegen, während sie auf die Ergebnisse ihrer Corona-Tests warten. Mit der Presse wollen sie nicht reden, selbst wenn ein ehemaliger Mitbewohner wie Stefan sie darum bittet. Die Mitarbeiter befürchten, dass ein Gespräch, selbst ein anonymes, Konsequenzen haben könnte.

Das ist nicht verwunderlich. Denn die vorwiegend aus Bulgarien und Rumänien stammenden Menschen sind aufgeschmissen. Sie leben in einem Land, dessen Sprache sie gar nicht oder nur mangelhaft beherrschen. Jetzt sind sie auch noch im Epizentrum der Pandemie in Deutschland; sie fürchten um ihr Leben und ihre Arbeitsplätze.

Auch Stefan wäre wohl geblieben – trotz der engen Wohnungen, der Kälte, des schlechten Lohns, der unangenehmen Chefs und der Nachtschichten. Hätte man ihn nur gelassen. Denn die Alternative heißt für ihn erst einmal Arbeitslosigkeit. Als er den Job verlor, musste er die Firma verklagen, um seinen Lohn zu bekommen. „Jetzt habe ich mein Geld“, sagt er. „Es gibt aber auch Kollegen, die noch darauf warten.“ Stefan lebt jetzt in einem anderen Bundesland, sucht seit mehr als einem halben Jahr nach einem neuen Job und macht währenddessen Deutschkurse. „Ohne Sprachkenntnisse hast du keine Chance“, sagt er.

Ivan hingegen hatte – wie schon bei der Wohnungssuche – Glück. Er arbeitet jetzt als Paketlieferant für Amazon. „Das ist nicht so kalt wie im Schlachthof“, sagt er.

* Alle Namen wurden von der Redaktion geändert.