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1000 Menschen starbenWie eine Katastrophe das Ende von „Little Germany“ in Manhattan einläutete

Lesezeit 3 Minuten
ARCHIV - 19.08.2024, USA, New York: Ein Taxi fährt vor der Ottendorfer Bücherei in New York.

Überbleibsel aus einer von deutschem Einfluss geprägten Zeit: die Ottendorfer Bücherei. 

„Little Germany“ in Manhattan war einst ein lebendiges Zentrum für deutsche Einwanderer, bis die „General Slocum“-Schiffskatastrophe 1904 verheerende Auswirkungen auf die Gemeinschaft hatte.

Die Ottendorfer Bücherei ist ein solider Backsteinbau, auf dessen Fassade „Freie Bibliothek und Lesehalle“ steht. In dem Bau von 1884 ist noch heute eine Bücherei – die sich aus deutscher Sicht dadurch auszeichnet, dass sie nicht in irgendeiner bundesrepublikanischen Kleinstadt steht, sondern mitten an der belebten 2nd Avenue in Manhattan.

Denn einst beherbergte die US-Ostküstenmetropole eine blühende deutsche Gemeinde, mit deutschem Essen, deutschem Brauchtum und deutscher Sprache – um 1850 lebte hier die drittgrößte deutschsprachige Bevölkerung weltweit nach Berlin und Wien. „Little Germany“ im heutigen East Village und in der Lower East Side in Manhattan boomte, so wie „Chinatown“ und „Little Italy“. Doch eine Katastrophe vor 120 Jahren trug zu ihrem Untergang bei.

Unglück der „General Slocum“ als eine der schlimmsten Tragödien Manhattans

Es war an einem sonnigen Juni-Morgen im Jahr 1904. Etwa 1350 Menschen – hauptsächlich Frauen und Kinder deutscher Abstammung – wollten das Ende des Schuljahres feiern. Wie jeden Sommer hatte die lutherische St. Marks Kirche der deutsch-amerikanischen Gemeinde auf der Lower East Side einen Dampfer gechartert: das Ausflugsboot „General Slocum“.

Doch was nach dem Ablegen folgte, war keine Feier, sondern bis heute eine der größten zivilen Schiffskatastrophen der USA: Nur rund eine halbe Stunde nach dem Start brach in einem Lagerraum des Schaufelraddampfers Feuer aus. Glut einer Zigarette oder aus der Kombüse hätten unsachgemäß gelagertes Stroh entzündet, ergab später eine Untersuchung.

Löschversuche scheiterten, und die Crew soll Kapitän Van Schaick gesagt haben: „Es ist, als ob wir die Hölle selber löschen müssten.“ Schließlich sank das 76 Meter lange und 21 Meter breite Schiff vor der Küste der Bronx bei einer Flussenge mit dem Namen „Hell’s Gate“ (Höllentor). Hunderte Passagiere erstickten, verbrannten oder ertranken im heftigen Wellengang. Viele von ihnen konnten nicht schwimmen und wurden durch ihre damals modische schwere Kleidung zusätzlich in die Tiefe gezogen.

1000 Menschen starben, zahlreiche Witwer versanken in Depression

Mehr als 1000 Menschen waren am Ende des Tages tot, die meisten von ihnen Frauen und Kinder. Obwohl die Tragödie heute so gut wie in Vergessenheit geraten ist, ist sie nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 noch immer die größte Katastrophe in der Geschichte New Yorks.

Das „Kleindeutschland“ in der Millionenmetropole New York sollte sich von der Tragödie nie mehr erholen. Im heutigen East Village hatten mehr als 50.000 deutsche Einwanderer ein vibrierendes „Kleindeutschland“ gegründet. Etwa eine halbe Million New Yorker sprach damals Deutsch. Mit Schiffen kamen Woche für Woche Neuankömmlinge dazu. Rund um den Tompkins Park gab es auf mehr als 40 Straßenblocks Biergärten, Delikatessenläden, deutsche Schulen und Kirchen sowie Gesangs-, Sport- und Schützenvereine, von denen noch immer viele Spuren zu sehen sind. Nicht zuletzt wurden Deutsche zu Leistungsträgern: Der Einwanderer John Augustus Roebling wurde als Konstrukteur der weltbekannten Brooklyn Bridge berühmt.

Nach der „General Slocum“-Katastrophe hatten Hunderte Männer ihre Familien verloren, die Kindergärten und Schulhöfe blieben leer, dutzende Witwer nahmen sich das Leben oder litten unter Depressionen. Andere gingen zurück nach Deutschland oder zogen weiter in den Norden Manhattans. Dort entstand ein zweites „Little Germany“, das allerdings nur ein blasser Abglanz des Vorbilds war. (dpa)