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Sabbat in New YorkEine Angelschnur umspannt Manhattan

Lesezeit 5 Minuten
Mit bloßem Auge kaum auszumachen: Rabbiner Moshe Tauber zeigt mitten in Manhattan auf den Eruv, der in mehreren Metern Höhe verläuft.

Mit bloßem Auge kaum auszumachen: Rabbiner Moshe Tauber zeigt mitten in Manhattan auf den Eruv, der in mehreren Metern Höhe verläuft.

Vieles ist praktizierenden Juden am Sabbat außerhalb ihres Hauses nicht erlaubt. Eine uralte Tradition macht es trotzdem möglich.

Die Sonne ist noch nicht über dem East River aufgegangen, als Moshe Tauber seinen leicht verbeulten schwarzen Kleinbus über die George-Washington-Brücke nach Manhattan lenkt. Am Riverside Drive, Ecke 145th Street nimmt er pünktlich um halb fünf die Fährte einer Nylonschnur auf – wie jeden Donnerstag seit rund 25 Jahren. Nicht einen habe er ausgelassen. „Siehst du diese Angelschnur da oben? Die geht jetzt auf der 145th Street bis rüber zur Madison Avenue. Die müssen wir jetzt checken, damit fangen wir an.“

Tauber ist zwölffacher Vater, betreibt gemeinsam mit seiner Frau eine Kinderkrippe und lehrt als Rabbiner an einer jüdischen Schule. Jeden Donnerstag aber fährt der 50-Jährige von seinem Heimatstädtchen Monsey aus rund eine Stunde in die Metropole New York, um den Eruv von Manhattan zu kontrollieren – ein Faden, der aufgehängt unter anderem an Straßenpfosten große Teile von Manhattan umspannt. Am Freitagmorgen kommt Tauber noch einmal, um sich mit Handwerkern zu treffen, Reparaturarbeiten zu koordinieren – und ganz sicherzugehen, dass für Freitagabend alles bereit ist.

Ein Symbol, das das Leben am Sabbat erleichtert

„Am jüdischen Sabbat – also von Sonnenuntergang am Freitag bis zum Eintritt der Dunkelheit am Samstag – gibt es bestimmte Sachen, die nicht erlaubt sind“, sagt Adam Mintz, der in Manhattan als Rabbiner arbeitet. „Eine solche Sache ist das Tragen von Objekten außerhalb des eigenen Hauses – darunter fällt zum Beispiel auch das Schieben von Kinderwagen oder Baseball spielen.“

Deswegen kamen schon vor fast 2000 Jahren Rabbiner auf die Idee, dass man ein Gebiet umgrenzen könnte, das dann quasi kein öffentlicher Raum mehr ist, sondern ein privater. „Dann ist dort alles wieder erlaubt“, erzählt Mintz. Ursprünglich – zur Zeit der Römer – seien dafür echte Mauern errichtet worden. „Aber das war irgendwann nicht mehr praktisch, darum benutzt man jetzt Schnüre und Pfosten.“

Ein Stück Eruv in Manhattan ist entlang des Pfostens einer Straßenlaterne gespannt.

Ein Stück Eruv in Manhattan ist entlang des Pfostens einer Straßenlaterne gespannt.

Heutzutage haben viele Städte weltweit, in denen größere Gemeinschaften streng praktizierender Juden leben, ihren eigenen Eruv – Antwerpen etwa, London, Toronto oder Wien. In Deutschland gibt es nach Angaben des Zentralrats der Juden derzeit keinen dauerhaften Eruv. In den Vierteln New Yorks, wo sich Schätzungen zufolge insgesamt mehr als eine Million Menschen zum jüdischen Glauben bekennen, gibt es gleich mehrere.

Manhattans Eruv ist der größte der Welt

Der Eruv in Manhattan aber, den Moshe Tauber jeden Donnerstag mit seinem Kleinbus abfährt, sei der größte der Welt, sagt Rabbiner Mintz. Von der 145th Street geht er bis ganz an die Südspitze und umfasst auf diesem Stück fast das komplette Inselgebiet. Nicht überall besteht er aus aufgespannter Angelschnur, es zählen auch zuvor bereits für andere Zwecke errichtete Zäune oder Mauern dazu.

Seit der Begründung des Eruvs in Manhattan 1999, in Absprache mit der Stadtverwaltung, ist Mintz im Auftrag von rund einem Dutzend jüdischer Einrichtungen und Organisationen offiziell dessen Präsident – und Tauber dessen Hausmeister. „Das läuft alles sehr rund“, sagt Mintz. „Ich muss nicht viel machen, nur die Finanzierung zusammentreiben.“ Etwa 150000 Dollar sind das pro Jahr, die hauptsächlich aus Spenden von jüdischen Einrichtungen und Privatleuten zusammenkommen. „Die ganze schwere Arbeit macht Rabbiner Tauber.“

Vom Fahrersitz aus lässt Tauber die Schnur nicht aus den Augen. Hin und wieder nimmt er einen Schluck Kaffee aus einem Thermobecher. „So früh morgens ist es einfacher, weil weniger Verkehr ist. Aber manchmal ist es dann auch schwieriger, die Schnur zu sehen.“ Vandalismus habe er noch nie erlebt, die meisten Schäden am Eruv entstünden durch Bauarbeiten oder Stürme, insbesondere Schneestürme. Nach Wirbelsturm „Sandy“ 2012 reparierten Handwerker unter Taubers Anleitung mehrere Tage lang den Eruv – und schafften es pünktlich zum Beginn des Sabbats.

Von der 145th Street biegt Tauber auf der anderen Seite der Insel Richtung Süden ab. Langsam geht die Sonne über dem East River auf. „Ich habe keine Zeit, mir den Sonnenaufgang anzuschauen“, sagt Tauber, die Augen fest auf Straßenverkehr und Angelschnur gerichtet. Auch Manhattan und seine Sehenswürdigkeiten beachte er nicht. „Ich verbringe hier keine Zeit, höchstens in der Synagoge schaue ich mal vorbei.“ Ansonsten genieße er die Zeit für sich während der Kontrollfahrt. „Ich höre dann oft Vorlesungen über jüdische Themen, manchmal nehme ich auch meine eigenen Lehrstunden auf und höre sie noch mal.“

Nicht jeder unterstützte den Eruv, sagt Präsident Mintz. „Es gab und gibt immer auch Menschen, die der Ansicht sind, dass, wenn es in den Regeln steht, dass man am Sabbat nichts tragen darf, man sich auch genau so daran halten soll.“ Er sei in seinem Heimatstädtchen Monsey ohne einen Eruv aufgewachsen, sagt Tauber. „Das bekommt man schon hin.“ Inzwischen gebe es aber auch dort einen – „und wenn man sich einmal dran gewöhnt hat, ist es schwer, sich vorzustellen, ohne ihn zu leben. Vor allem für Menschen mit kleinen Kindern, wenn man mit denen im Kinderwagen an die frische Luft will.“

Die meisten wissen nichts von der Leine hoch über ihren Köpfen

Mit seinem schwarzen Kleinbus ist Tauber inzwischen an der Südspitze Manhattans vorbeigekommen und fährt am Hudson River entlang wieder nach Norden. Um ihn herum erwacht die Stadt langsam zum Leben. Erste Jogger und Fahrradfahrer tauchen auf, aus Bars und Clubs purzeln übernächtigte Partygänger. Die meisten von ihnen wissen wohl nichts von der hoch über ihren Köpfen gespannten Angelschnur. Die Gleichzeitigkeit dieser Welten sei faszinierend, sagt Rabbiner Mintz. „Und es ist einfach schön zu sehen, dass es so etwas wie den Eruv heute noch geben kann.“

Keine einzige kaputte Stelle hat Tauber an diesem Morgen am Eruv entdeckt. Zurück am Ausgangsort seiner Kontrollfahrt hält er den Kleinbus an und holt ein schwarzes Klapphandy aus der Hosentasche. „Das ist mein einziges Telefon und darauf ist alles blockiert, es hat auch keinen Internetzugang. Ich kann damit nur Nachrichten schreiben.“ Wie jeden Donnerstag tippt er nun an Mintz und die Vorsteher einiger anderer jüdischer Einrichtungen das Ergebnis seiner Kontrollfahrt: „Der Eruv steht.“ (dpa)