Klima-Killer im VisierWie mit dem gefährlichen Mittel FCKW getrickst wird
- FCKW sind vor allem als „Ozonkiller“ bekannt. Sie heizen aber auch die Erde auf..
- Und mit dem FCKW-Verbot sind längst nicht alle Probleme gelöst.
- Wissenschaftler spüren illegale Quellen in Asien auf. Wir geben Einblicke.
Vor 35 Jahren rüttelten drei Forscher des British Antarctic Survey die Welt auf. Ihre Messungen hatten gezeigt, dass in der Atmosphäre über der Antarktis große Mengen an Ozon verloren gingen – jenes Gases, das in der hochgelegenen Stratosphäre Menschen vor der gesundheitsschädlichen, weil Hautkrebs auslösenden UV-Strahlung schützt. Sie hatten das Ozonloch entdeckt. 1985 wurde das nur offiziell bekannt gegeben; die Messungen waren bereits 1979 erfolgt, aber der Brite Joseph Farman und der Japaner Sui Chubachi trauten sich zunächst nicht, ihre Extremwerte publik zu machen. Damit begann eine komplizierte Luftchemie-Geschichte, die bis heute andauert.
Farman und Chubachi glaubten an falsch geeichte Messinstrumente, denn schließlich rotierte der Nasa-Satellit Nimbus-7 um den Globus und hatte keinen Ozonverlust registriert. Schließlich wagen es Farman und Chubachi doch und veröffentlichen in Nature. Die Nasa liest mit. Daraufhin lässt sie alle Daten kontrollieren, auch jene, die im elektronischen Mülleimer gelandet sind. Ergebnis: Die Satelliten-Software war falsch programmiert und hatte „zu extreme“ Daten einfach aussortiert. 1985 bestätigte die Nasa die Messungen der Forscher.
Komplexe Kettenreaktionen durch FCKW
Bald war klar, dass der Ausstoß von Fluorchlorkohlenwasserstoffen (FCKW) über komplexe Kettenreaktionen das Ozonloch verursacht. Durch entschlossenes politisches Handeln, insbesondere durch die Verabschiedung des Montreal-Protokolls 1987, das die Freisetzung der Substanzen ab 1989 reglementierte, hat die Welt dieses Problem mittlerweile weitgehend im Griff. Das Loch schließt sich jedoch nur langsam. Und die ozonschädlichen Substanzen haben eine andere schlimme Wirkung: Sie wirken als Treibhausgase und treiben unverhältnismäßig stark den Klimawandel an. Wie sehr, belegt eine aktuelle Studie.
Danach verursachte die Freisetzung der vielfältigen FCKW-Verbindungen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts etwa ein Drittel des bis 2005 gemessenen globalen Temperaturanstiegs. In der Arktis ging sogar die Hälfte der Erwärmung auf das Konto der Ozonkiller, berichten die Forscher im Fachmagazin Nature Climate Change. Das überrascht nicht, denn ein FCKW-Molekül wirkt – auf 100 Jahre gerechnet – wie bis zu 13 000 Moleküle CO2 (Kohlendioxid), einzelne FCKW-Verbindungen haben eine Lebensdauer von bis zu 640 Jahren.
Durch die Reglementierung dieser Substanzen im Montreal-Protokoll und ihr Verbot bei den folgenden Nachverhandlungen sinke, so die Studie, ihre Konzentration in der Atmosphäre etwa seit dem Jahr 2000. Von einer „sehr spannenden“ Studie spricht Martin Dameris vom Institut für Physik der Atmosphäre am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR). „Die Ergebnisse sind in ihrer Größenordnung plausibel und nachvollziehbar, auch wenn sie in anderen Klimamodellen noch nachvollzogen werden müssen.“ Grundsätzlich sei die klimaschädigende Wirkung dieser Substanzen bereits lange bekannt und etwa 2013 im Bericht des Weltklimarats IPCC erstmals thematisiert worden. Neu sei die Fokussierung auf einen Zeitraum von 50 Jahren und auf die arktische Region.
Starker Einfluss auf das Klima
Wie sehr die ozonabbauenden Substanzen zum Temperaturanstieg vor allem in der Arktis beigetragen haben, sei bislang nur wenig untersucht, schreiben die Forscher um Lorenzo Polvani von der Columbia University in New York (USA). Die Oberflächentemperatur in der Arktis sei mehr als zweimal so stark gestiegen wie im globalen Mittel, begleitet von einem dramatischen Verlust des Meereises und einer Abnahme von dessen Dicke. Die Wissenschaftler hatten mit Hilfe zweier gängiger Klimamodelle die Wirkung der Substanzen auf Temperatur und arktisches Eis im Zeitraum zwischen 1955 und 2005 ermittelt. Die Ergebnisse belegen, dass die FCKW-Substanzen neben dem Treibhausgas CO2 einen starken Einfluss auf das Klima haben. Warum die Substanzen ausgerechnet in der Arktis so einen starken Klimaeffekt haben, muss noch untersucht werden.
Die Effekte der Substanzen ließen kontinuierlich nach, weil sie dank des Montreal-Protokolls nicht länger freigesetzt und nun langsam abgebaut würden, schreiben die Forscher. „In den kommenden Jahrzehnten werden sie immer weniger zur globalen Erwärmung beitragen“, sagt Polvani. Das sei „eine Gute-Nachrichten-Geschichte“.
Auch Dameris glaubt, dass sich mit dem Abbau der Substanzen die Klimaerwärmung zumindest verlangsamen wird. „Etwa 50 Jahre wird es diese Stoffe noch geben, dann wird zumindest ihr Beitrag zur Klimaerwärmung verschwunden sein.“ Das hängt damit zusammen, dass die FCKW vor allem in der Troposphäre, der sogenannten wetteraktiven Schicht, als Treibhausgase wirken, während sie später in höhere Schichten aufsteigen.
HFC mit erheblicher Treibhausgaswirkung
Doch es gibt Probleme, die die Sorgenfalten der Wissenschaftler vertiefen. Im Fokus stehen die FCKW-Ersatzstoffe – die chlorfreien Fluorkohlenwasserstoffe (HFC). Diese HFC besitzen ebenfalls eine erhebliche Treibhausgaswirkung: Die Freisetzung von einer Tonne Fluoroform (HFC-23) zum Beispiel entspricht in etwa der Klimawirkung von 12 000 Tonnen CO2. Die Substanz entsteht bei der Herstellung einer Chemikalie, die vor allem als Kühlmittel eingesetzt wird.
Um den Klimaschutz zu verbessern und die Nutzung auch dieser Stoffe schrittweise zu stoppen, wurde das Montreal-Protokoll 2016 um die sogenannte Kigali-Änderung erweitert. Im Fachblatt Nature Communications berichtet ein Forscherteam um Kieran Stanley von der Goethe-Universität Frankfurt und der Universität Bristol nun jedoch, dass der Anteil des problematischen HFC-23 in der Atmosphäre nicht, wie in Kigali beschlossen, sinkt. Im Gegenteil: Den Messungen zufolge ist die Konzentration 2018 sogar auf einen Rekordwert gestiegen. Die Emissionen stammten vermutlich aus China und Indien. Die beiden Länder setzen am meisten HFC-23 frei. Seit 2015 hatten sie angekündigt, die Emissionen zu begrenzen. Bis Ende 2017 sei die Freisetzung ihren Angaben zufolge nahezu vollständig gestoppt worden. „Unsere Studie zeigt, dass es China sehr wahrscheinlich nicht geschafft hat“, erklärt Stanley.
Verdächtig hohe Messwerte entdeckt
Es ist nicht das erste Mal, dass Forscher bei Messungen eine unerlaubte Freisetzung verbotener Substanzen registrieren. Erst vor zwei Jahren hatte ein Team um Stephen Montzka von der National Oceanic and Atmospheric Administration (NOAA) in Boulder (USA) verdächtig hohe Messwerte der längst verbotenen FCKW-Chemikalie Trichlorfluormethan (CFC-11) in der Lufthülle entdeckt und darüber in Nature berichtet. Montzka: „Es war das Überraschendste und Schockierendste, was ich in meiner gesamten Berufslaufbahn erlebt habe.“ Sie befürchteten, dass die Substanz aus einer illegalen Quelle in Südostasien freigesetzt wird. 2019 schrieben dann Forscher um den Chemiker Sunyoung Park von der National University in Südkorea in Nature, dass mindestens 40 bis 60 Prozent des Trichlorfluormethans aus dem Nordosten Chinas stammen.
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Ermittlungen der Umweltschutzorganisation Environmental Investigation Agency (EIA) ergaben später, dass die Chemikalie trotz eines weltweiten Verbots in chinesischen Unternehmen weiter zum Aufschäumen von Kunststoffen eingesetzt wurde. Die „weit verbreitete“ Verwendung in China erkläre, warum der Stoff in der Atmosphäre seit 2012 langsamer sinkt, als durch die bestehenden Umweltregeln eigentlich zu erwarten wäre.
Neben der NOAA kontrolliert auch das internationale Messnetzwerk Advanced Global Atmospheric Gases Experiment (AGAGE) die Einhaltung der Vereinbarungen. Dazu gehört die Messstation auf dem Schweizer Jungfraujoch. Aus der Analyse der Bergluft ging hervor, dass „in Norditalien zwischen 2008 und 2010 bis zu 56 Tonnen des äußerst klimaschädlichen HFC-23 freigesetzt wurden“, berichtet Spek-trum der Wissenschaft.
„Es sieht so aus, als gebe es noch viel zu tun“, sagt Stanley, während Dameris auf einen wesentlichen Punkt verweist: Die Umsetzung der Vorgaben liege bei den Unterzeichnerstaaten, aber Sanktionen seien bei Verstößen nicht vorgesehen. Ähnlich sieht es bei allen das Klima erwärmenden Treibhausgasen aus. Wie genau erfüllen die Staaten ihre freiwilligen Ziele zur Verringerung von CO2 und anderen Gasen oder steht der Klimaschutz-Ehrgeiz nur auf dem Papier? Ein neues Kontrollinstrument werden europäische Umweltsatelliten sein, die ab 2026 mit sensibler Messtechnik um die Erde rotieren. Sie sollen in der Lage sein, die Treibhausgas-Emissionen pro Land exakt zu ermitteln.