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Infektiologe im InterviewKönnen auch Geimpfte ansteckend sein?

Lesezeit 4 Minuten
Coronavirus

Die  Illustration zeigt das Coronavirus.

  1. Können auch Geimpfte ansteckend sein? Wie lange hält der Schutz?
  2. Der Infektiologe Prof. Tom Lüdde von der Universitätsklinik Düsseldorf beantwortet mit seinem Team die zentralen Fragen.

Gesundheitsminister Jens Spahn sagt, die Wahrscheinlichkeit, dass ein Geimpfter eine Sars-Cov-2-Infektion weitertrage, sei gering, liege aber nicht bei 0. Kann man das genauer beziffern – und wie stellt man es überhaupt fest?

Aufgrund wissenschaftlicher Veröffentlichungen, die sich aber noch im Begutachtungsprozess befinden, kann man zumindest von einer deutlichen Senkung der Wahrscheinlichkeit der Übertragung einer Sars-CoV-2 Infektion durch Geimpfte ausgehen. Diese Daten wurden in Ländern erhoben, die bereits einen hohen Anteil der Bevölkerung geimpft haben. Untersucht wurden zum Beispiel gezielt im gleichen Haushalt lebende Kontaktpersonen von Sars-CoV-2 positiv getesteten Geimpften, um die Wahrscheinlichkeit einer Ansteckung im Rahmen dieser sehr engen Kontakte zu bestimmen.

Lüdde Prof. Dr_A

Prof. Tom Lüdde von der Universitätsklinik Düsseldorf

Was besagen in diesem Zusammenhang Corona-Ausbrüche in Pflegeheimen, bei denen viele Geimpfte infiziert sind?

Das hat sich mein Kollege, der Virologe Jörg Timm, in Leichlingen angeschaut. Es gab nach seinen Worten keine Anzeichen dafür, dass bereits vollständig geimpfte Personen das Virus weitergeben haben – auch wenn diese positiv getestet wurden und gegebenenfalls auch eine ausreichende Viruslast für eine Weitergabe hatten. Nach den vorliegenden Daten ist es wahrscheinlich, dass die Weitergabe durch Personen erfolgte, die nicht geimpft waren. Also: Die Wahrscheinlichkeit einer Verbreitung des Virus sinkt, allerdings nicht auf Null. Zudem hat Herr Timm in Leichlingen gesehen: Selbst Hochbetagte überstanden eine Infektion weitgehend unbeschadet, wenn der Impfschutz vorhanden war.

Impfquoten

Normalerweise interessieren sich Gesundheitsämter aber nicht für die Virenlast im Abstrich, auf die Sie eben hinweiesen. Positiv ist für die Ämter positiv. zu Recht?

Die Übertragungswahrscheinlichkeit hängt direkt von der Höhe der Viruslast im Nasen-Rachenraum ab. Somit wäre eine um Größenordnungen niedrigere Virusmenge in diesem Bereich in der Risikoabschätzung durchaus anders zu bewerten. In den Empfehlungen des Robert Koch-Instituts, nach denen sich die Gesundheitsämter richten, spielen für bestimmte Entscheidungen zu Quarantäne oder Isolation im Krankenhaus die Höhe der Viruslast auch bei positiven Befunden eine zentrale Rolle.

In dem Zusammenhang klingt eine Botschaft nicht so schön: Die Corona-Impfung schützt unsere Schleimhäute wohl nur rund neun Monate lang ausreichend vor Besiedelung. Die meisten von uns werden überhaupt erst im Sommer ihre Impfbescheinigung bekommen können – ist da nach ein paar Monaten wirklich schon wieder Schluss?

Diese Frage ist aktuell noch nicht abschließend zu beantworten. Aufgrund des bisherigen Wissenstandes erscheint es allerdings wahrscheinlich, dass nach einigen Monaten die Immunität langsam abnimmt. Wie häufig und in welcher Art geimpft werden sollte, um hier zum Einen für den Einzelnen Schutz vor Erkrankung und zum Anderen auf Bevölkerungsebene eine erfolgreiche Kontrolle der Pandemie zu erreichen, wird erst durch weitere wissenschaftliche Untersuchungen zu klären sein.

Wenn es nicht gelingen sollte, Hunderte Millionen Europäer, acht Milliarden Menschen weltweit alle paar Monate neu zu impfen – was könnte dann geschehen? Wäre es auch denkbar, dass ähnlich wie bei anderen Coronaviren ein Grundschutz bleibt, die Verläufe wären dann in der Regel nicht mehr so schlimm?

Das Szenario, in dem Sars-CoV-2 wie andere „Erkältungs-Coronaviren“ saisonal (im Winter) bevorzugt zirkuliert – aber aufgrund einer Grundimmunität durch vorherige Impfungen oder abgelaufene Infektionen keine Bedrohung mehr für Gesundheitssysteme darstellt, ist durchaus nicht unwahrscheinlich.

Diese Frage ist ja auch im Hinblick auf Mutanten wichtig: Können wir den Wettlauf überhaupt gewinnen – oder muss das Ziel bescheidener sein?

Das Ziel eines vollständigen „Verschwindens“ des Virus ist aufgrund seiner globalen Verbreitung und Anpassungsfähigkeit wohl nicht zu erreichen. Allerdings wird das Virus in dem Ausmaß, in dem auch weltweit Impfkampagnen fortschreiten, sich aufgrund seiner geringeren Vermehrungsmöglichkeiten auch nur noch langsamer weiterentwickeln können. Das Ziel einer Beendigung der Pandemie als für die ganze Welt in alle Teile des Lebens einschneidendes Ereignis ist durch eine gemeinsame Anstrengung und groß angelegte Impfprogramme aber erreichbar.

In Großbritannien versucht man, den Astrazeneca-Impfstoff als Nasenspray zu geben. Was halten Sie davon?

Das Konzept einer Gabe der Impfung über den Nasen-Rachenraum ist natürlich interessant und wird auch noch von anderen Forschern verfolgt. Ob dies zu einer besseren oder länger anhaltenden Wirkung der Impfung führt, müssen die entsprechenden wissenschaftlichen Untersuchungen aber erst zeigen.

Israel prüft Hinweise, nach denen die Wahrscheinlichkeit bei jungen Männern, nach einer Biontech-Impfung eine Herzmuskelentzündung zu bekommen, deutlich erhöht sein könnte: 1:20.000 gegenüber 1:100.000 im Bevölkerungsdurchschnitt. Wie sollten wir uns da verhalten, gerade, wenn künftig auch Jugendliche damit geimpft werden sollen?

Natürlich muss, wie bei jedem anderen Impfstoff oder Arzneimittel, eine Überprüfung möglicher, auch sehr seltener, Nebenwirkungen mit höchstmöglicher Sorgfalt erfolgen. Ein kausaler Zusammenhang mit der Impfung ist jedoch bisher nicht bestätigt. Zu betonen ist auch, dass bei Infektion mit Covid-19 selbst diese und zahlreiche andere Organkomplikationen mit einer meist deutlich höheren Wahrscheinlichkeit vorkommen – dies gilt auch für junge Menschen.