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Astrazeneca unter der LupeWas über das Thrombose-Risiko bisher bekannt ist

Lesezeit 7 Minuten
Astrazeneca (1)

Das Vakzin von Astrazeneca steht unter Beobachtung

  1. Nach dem Aussetzen der Impfungen mit dem Vakzin von Astrazeneca regt sich vielfach Kritik.
  2. Vor allem der tatsächliche Zusammenhang und die Gefahr von Trombosen mit der Gabe des Mittels sorgen für Diskussionen.

Die Bundesregierung hat die Corona-Impfungen mit dem Wirkstoff Astrazeneca vorerst gestoppt. Grund dafür sind Thrombosefälle, die nach der Impfung mit dem von der Universität Oxford in Zusammenarbeit mit dem schwedischen Unternehmen Astrazeneca entwickelten Impfstoff auftraten. Thrombosen sind Blutgerinnsel, die Venen verstopfen. Diese können die Blutzufuhr zum Herz oder Gehirn unterbrechen und lebensgefährlich sein. Außerdem trat ein Mangel an Blutplättchen auf. Zum Aussetzen der Impfungen und vor allem den Gründen dafür gibt es aber noch einige offene Fragen:

Um welche Art von Thrombose geht es und wer ist betroffen?

Nach Astrazeneca-Impfungen sind Sinusvenenthrombosen aufgetreten. Bei dieser Form der Thrombose bildet sich in den Venen, die Blut vom Gehirn wegtransportieren, ein Gerinnsel. Drei der Fälle waren tödlich, teilt das Bundesgesundheitsministerium mit. Klaus Cichutek, Chef des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI), sagte der „Welt“ im Video-Interview, dass sechs Frauen im Alter von etwa 20 bis 50 Jahren von der Sinusvenenthrombose betroffen seien. Außerdem habe ein Mann eine zerebrale Blutung mit Thrombose erlitten.

Wie hoch ist das Risiko solcher Thrombosen normalerweise?

„Sinusvenenthrombosen treten etwa einmal pro 100000 Einwohner und Jahr auf, das heißt die jährliche Inzidenz liegt bei rund 1 auf 100000“, sagt Professor Peter Berlit, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) dem Science Media Center. Nach einem Artikel in der Fachzeitschrift „Neurosurgical Focus“ einer Forschergruppe um Aristotelis Filippidis von 2009 haben Kinder und Neugeborene ein höheres Risiko zu erkranken. Die höchste Inzidenz hatten allerdings Patienten zwischen 20 und 40 Jahren. 75 Prozent der Betroffenen waren weiblich. „Frauen sind häufiger als Männer betroffen und wahrscheinlich spielen Hormone eine Rolle. In der späten Schwangerschaft, im Wochenbett und bei Frauen, die die Antibabypille einnehmen, sehen wir die Sinusvenenthrombosen am häufigsten“, so Berlit. Die European Medicines Agency (EMA) wertet laut Angaben des Bundesgesundheitsministeriums jetzt alle Berichte der europäischen Arzneimittelbehörden aus.

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Was sagt die Europäischen Arzneimittelagentur EMA?

Dass sie am Donnerstag eine Einschätzung zu möglichen Risiken und zur weiteren Verwendung des Impfstoffs abgeben will. Bis dahin gibt sie schon einmal etwas Entwarnung: Stand heute seien die Vorteile zur Verhinderung von Covid-19 größer als das Risiko, sagt EMA-Chefin Emer Cooke. Die 59-jährige Pharmazeutin aus Irland versucht, die Wogen zu glätten: Unerwartet kämen Erkrankungen nach einer Impfung nicht, wenn man Millionen Menschen impfe. Aber: Nebenwirkung oder Zufall? Die entscheidende Frage prüft die EMA noch.

Ist der Vergleich zur Antibabypille haltbar?

Ein häufiges Argument, auch von SPD-Europapolitikerin Katarina Barley auf Twitter lautet: Die Antibabypille habe auch Thrombosen als Nebenwirkung. SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach sieht das kritisch. „Die Thrombosen, die es nach Einnahme der Pille gibt, sind nicht in der Schwere vergleichbar mit den Thrombosen, über die wir hier sprechen“, sagte er gegenüber dem „Deutschlandfunk“.

Auch der Gesundheitswissenschaftler Professor Gerd Glaeske von der Universität Bremen lehnt es ab, das Thromboserisiko der Antibabypille in Relation zu den Impfungen zu setzen. „Die Nebenwirkungen, die wohl in Zusammenhang mit der Impfung mit dem Astrazeneca-Impfstoff stehen, sind mit den möglichen Thrombose-Fällen durch die Pille nicht vergleichbar. Bei der Impfung gibt es die unerwünschten Wirkungen nach einer Dosis. Bei der Pille ist der Wert also auf einer ganz anderen Basis entstanden“, erklärte er gegenüber unserer Redaktion.

Das Bundesgesundheitsministerium betont auf seiner Homepage den Unterschied zu Thrombosen als Nebenwirkungen der Antibabypille: Diese seien in den Patienteninformationen aufgeführt – im Gegensatz zu der Sinusvenenthrombose bei der Astrazeneca-Impfung. Außerdem unterscheide sich die Impfung von Gesunden arzneimittelrechtlich von der Verordnung eines Arzneimittels.

Warum ist der Impfstoff dort noch nicht zugelassen?

Allein 30 Millionen Impfdosen seien einem Bericht der „New York Times“ zufolge bereits in einer Anlage im Bundesstaat Ohio abgefüllt, weitere Dutzende Millionen Dosen in Maryland produziert worden. Der Hintergrund sei, so schreibt der „Tagesspiegel“ mit Bezug auf die „New York Times“, unter anderem, dass die Ergebnisse der klinischen Studien in den USA noch nicht vorliegen. Zudem habe der Hersteller auch noch keine Notfallzulassung bei der US-Arzneimittelbehörde FDA beantragt. Doch wird noch ein anderer Grund für die Verzögerung wird vermutet: Es sei möglich, dass Astrazeneca unter Umständen in den USA nur kurz oder gar nicht mehr benötigt werde, weil der Impfstoff gegenüber dem ebenfalls vektorbasierten Vakzin von Johnson & Johnson keinen großen Vorteil mehr aufweisen könne und zudem nur eine Impfdosis nötig sei. Der Corona-Koordinator des Weißen Hauses, Jeff Zients, hatte dagegen vor wenigen Tagen erklärt, sobald es eine Zulassung gebe, könne das Astrazeneca-Mittel wie im Fall der anderen Impfstoffe schnellstmöglich an die Amerikaner verteilt werden.

Wie weit sind die Impfungen inzwischen überhaupt schon?

Derzeit gibt es dem Ministerium zufolge 244400 Impfungen pro Tag. Von 12,5 Millionen gelieferten Dosen sind 9,7 Millionen Dosen gespritzt. Mindestens eine erste Impfung haben 8,1 Prozent der Bevölkerung, schon zwei 3,5 Prozent. Bis April sollten die Lieferungen von Astrazeneca auf insgesamt 5,6 Millionen Dosen angewachsen sein, die von Biontech/Pfizer auf 12 Millionen und die von Moderna auf 1,8 Millionen.

Wie sollte die Impfkampagne mit Astrazeneca weitergehen?

Die Probleme knapper Dosen und überlasteter Termin-Hotlines sollten von April an allmählich schwinden. „Bereits zu Ostern wird der große Impfstoffmangel vorüber sein“, frohlockte die Kassenärztliche Bundesvereinigung vor drei Wochen. Der Löwenanteil soll von Biontech/Pfizer kommen – 40,2 Millionen Dosen im zweiten Quartal, dazu 6,4 Millionen Dosen von Moderna. Astrazeneca sollte mit 16,9 Millionen Dosen dabei sein. Zudem werden in der zweiten Aprilhälfte die ersten Lieferungen von Johnson+Johnson erwartet.

Ist der ganze Impfplan jetzt Makulatur?

Wenn die EMA bei ihrem bisher positivem Votum für den Astrazeneca-Stoff bleibt, ohnehin nicht. Aber auch sonst eigentlich nicht komplett. Beispiel Hamburg: Nun werden Reserven anderer Impfstoffe genutzt und der mögliche Zeitabstand zwischen den zwei nötigen Impfdosen ausgeschöpft. Das Zentralinstitut für die Kassenärztliche Versorgung rechnet dem „Handelsblatt“ zufolge mit einer Verzögerung um mehrere Wochen, wenn es beim Astrazeneca-Stopp bleibt. Alle Menschen über 60 wären aber Anfang Juli durchgeimpft. Es kommt auch immer wieder zur Aufstockung der prognostizierten Liefermengen – so kann die EU von Biontech/Pfizer nun kurzfristig im zweiten Quartal weitere 10 Millionen Dosen Corona-Impfstoff bekommen.

Wie sieht die Lage in Großbritannien aus?

Mehr als elf Millionen Dosen Astrazeneca sind in Großbritannien zum Einsatz gekommen und bislang gebe es keinerlei Anzeichen für ein erhöhtes Auftreten von Thrombosefällen, hieß es von Großbritanniens Regulierungsbehörde für Arzneimittel und Gesundheitsprodukte MHRA. Sie hält einen Impfstopp zum jetzigen Zeitpunkt für nicht angebracht und ermutigt vielmehr die Menschen, ihre Termine wahrzunehmen. Die Nachricht, dass in vielen europäischen Ländern das Verimpfen des AstraZeneca-Impfstoffs erst einmal ausgesetzt wird, löste denn auch vor allem Verwunderung und Unverständnis aus. „Wir prüfen die Berichte genau, aber die vorliegenden Indizien deuten nicht darauf hin, dass der Impfstoff die Ursache ist“, sagte Phil Bryan von der MHRA. Also wird auf der Insel weitergeimpft. Beinahe die Hälfte der erwachsenen Bevölkerung hat bereits zumindest die erste Dosis erhalten. Mehr als 26 Millionen Impfungen wurden bislang vorgenommen – ob in Impfzentren, in Apotheken, bei Hausärzten oder in umfunktionierten Kathedralen oder Rugby-Stadien. (mit dpa)

Drei Fragen an Karl Lauterbach zu Astrazeneca

Warum sind Sie dafür, den Impfstoff von Astrazeneca trotz der aufgetretenen Thrombose-Fälle weiter zu verimpfen?

Es ist richtig, die aufgetretenen Fälle zu prüfen. Und ich gehe auch davon aus, dass sie mit dem Impfstoff Astrazeneca etwas zu tun haben. Dennoch hätte ich auf einen Impfstopp verzichtet, um einen weiteren Vertrauensverlust in Astrazeneca zu vermeiden.

Aber wird nicht gerade Vertrauen hergestellt, wenn man beim Auftreten solcher Fälle genau prüft?

Das ist keine Kritik an Gesundheitsminister Jens Spahn oder dem Paul-Ehrlich-Institut. Für beide Entscheidungen gibt es gute Argumente. Und ich verstehe auch, warum man so entschieden hat. Mein Ansatz ist nur, dass wir Astrazeneca dringend in den kommenden Wochen und Monaten brauchen, um der Pandemie Herr zu werden. Und das Vertrauen in den Impfstoff besserte sich gerade wieder. Das ist nun wieder gefährdet.

Wie kann man aber Vertrauen erhalten oder aufbauen, wenn man über bestehende Gefahren hinwegsieht?

Es geht nicht darum, Gefahren nicht zu benennen, im Gegenteil. Ich bin dafür, dass man die Risiken und Wirkungen einer Astrazeneca-Impfung den Menschen klar kommuniziert. Meiner Ansicht nach kann man mit den Fakten den Großteil der Bevölkerung auch überzeugen. Das Risiko, an einer solchen Thrombose, wie die jüngst aufgetreten Fälle, zu erkranken liegt bei 1:300 000. Diese Gefahr ist weitaus geringer als die Gefahr, dass sowohl jüngere und erst recht ältere Menschen an Covid-19 schwer erkranken oder sterben. Für Über-80-Jährige, die sich mit Corona infiziert haben, liegt die Sterberate bei 1:6. Also kann man ihnen derzeit nur empfehlen, sich mit Astrazeneca impfen zu lassen.

Interview: Dierk Himstedt