Astronom Heino Falcke im InterviewWie es ist, ein Schwarzes Loch zu fotografieren
- Bereits in den 90er Jahren entwickelte Falcke ein Konzept dafür, wie man ein Schwarzes Loch fotografieren kann. Am 10. April 2019 konnte er in Brüssel das erste Bild präsentieren.
- Ein unterhaltsames Gespräch über die nassen Säcke der Galaxien, ihre Rolle als kosmische Staubsauger und wie es ist, eine „bekloppte Idee“ in die Tat umzusetzen, an die nicht einmal Albert Einstein glaubte.
Herr Professor Falcke, Sie gehören einem internationalen Team von Astronomen an, dem eine wissenschaftliche Sensation gelungen ist: Das erste Bild eines Schwarzen Loches. Die Initiative ging auf Ihre Idee zurück. Wie würden Sie einem Zwölfjährigen erklären, was sie da in der Galaxie M87 fotografiert haben?
Die Zwölfjährigen würden das wahrscheinlich Ihnen erklären, die haben alles in den sozialen Medien verfolgt. Das Schwarze Loch im Zentrum der Galaxie M87 ist eines der größten, die wir im Weltall kennen. Und es liegt direkt vor unserer Haustür.
Aber doch immerhin in einer Entfernung von 55 Millionen Lichtjahren?
Genau, 55 Millionen Lichtjahre, das ist unsere kosmische Nachbarschaft. Es gibt große Strukturen im Weltall, große Galaxienhaufen, und der Virgo-Galaxienhaufen ist der größte in unserer Umgebung, tausend Milchstraßen, die da um M87 herumfliegen. Und im Zentrum sitzt eben dieses Monster-Schwarze-Loch. Wir konnten nun zum ersten Mal einem Schwarzen Loch ins Auge schauen, in den Abgrund sozusagen, ins Nichts hinein: Wo Licht verschwindet, wo die Zeit aufhört.
Sie nannten es das „Tor zur Hölle“.
Das war eine Reaktion auf meinen Kollegen George Smoot, der damals von den Fluktuationen des Urknalls gesagt hat, das wäre, als könne man das Gesicht Gottes sehen. Das Tor zur Hölle wäre dann der Gegenpol: Wenn der Urknall der Moment der Schöpfung ist, ist das Schwarze Loch die endgültige Verdammnis. Dieses Verschwinden ins Nichts ist natürlich auch ein Bild für den Tod, und deshalb machen Schwarze Löcher den Menschen Angst. Dabei sind das ganz normale physikalische Objekte, die sich logisch aus der Relativitätstheorie von Albert Einstein ergeben. Nur: Am sogenannten Ereignishorizont stößt unsere Physik an ihre Grenzen. Das ist der Punkt ohne Wiederkehr, an dem alles verschwindet und hinter dem die Zeit – von außen gesehen – still zu stehen scheint. Was dahinter passiert, das kann man vielleicht ausrechnen, aber man kann es nicht messen.
Weshalb Einstein selbst ja auch zuerst die Existenz von Schwarzen Löchern bestritt...
Das war damals eine große Diskussion: Gibt es das überhaupt? Dass Masse kollabiert und nicht mehr aufhört, zu kollabieren? Dass die Selbstzerstörungskräfte eines Sterns irgendwann so stark werden, dass sie alles andere überwinden? Glücklicherweise, muss man sagen, bildet sich dieser Ereignishorizont, der die ganze verrückte Physik, die darin stattfinden müsste, von unseren Messungen abschirmt.
Sie haben sich bereits in Ihrer Doktorarbeit mit Schwarzen Löchern beschäftigt.
Ja, die hieß „Hungernde Löcher und aktive Kerne“. Da ging es darum, dass Schwarze Löcher auch gefüttert werden müssen. Wenn sie nicht fressen können, hängen sie nur rum wie ein nasser Sack und tun nichts.
Die meisten Schwarzen Löcher in unserer Umgebung sind tatsächlich auf Fastenkur.
Der eigentliche Witz an meiner Doktorarbeit aber ist, dass dabei die Idee entstanden ist, dass man ein Schwarzes Loch fotografieren könnte.
Aber wie?
Nähme ich dazu ein normales Spiegelteleskop, bräuchte ich eines, das so groß wäre wie die Erde. Interessanterweise kann man Bilder in Frequenzen zerlegen – so wie man Musik in Noten zerlegen kann. Da setzen unsere Radioteleskope an: Wir messen die so genannten Fourier-Komponenten des Bildes, also gewissermaßen die Töne des Bildes. Den Abstand zwischen zwei Teleskopen kann man sich vorstellen wie den zwischen zwei Saiten, die schwingen und diese Töne messen. Im Computer werden diese Daten umgesetzt in ein Bild. Ein Spiegelteleskop macht mathematisch übrigens genau das gleiche – nur ohne Computer.
Was genau haben sie gemessen?
Radiowellen im Millimeterbereich, wie sie zum Beispiel am Flughafen bei den so genannten Nacktscannern eingesetzt werden. Weil sie zwar durch die Kleidung durchgehen können, aber nicht durch den Körper. Im Prinzip haben wir also einen Nacktscan vom Schwarzes Loch angefertigt. Mit diesen hohen Frequenzen kann ich bis an den Ereignishorizont hineinzoomen. Das war es auch, was ich damals in meiner Doktorarbeit vorgeschlagen hatte.
Ist es nur kosmischer Zufall, dass ein Schwarzes Loch exakt diese Wellen ausstrahlt, die wir auf der Erde so gut empfangen können?
Ja, das ist tatsächlich ein kosmischer Zufall. Bei dem Schwarzen Loch im Zentrum unserer Milchstraße wissen wir, dass genau bei diesen einen Millimeter langen Wellen die Strahlung direkt vom Ereignishorizont kommt. Das hätte beim Schwarzen Loch M87 ganz anders sein können, es ist reiner Zufall, dass es tatsächlich dieselbe Frequenz ist. Wäre sie ein bisschen höher gewesen, blieben diese Wellen in der Erdatmosphäre stecken.
Es wollte gesehen werden!
Und es wollte auch nicht früher gesehen werden, sondern genau jetzt. Hätte man es bei niedrigeren Wellen sehen können, dann hätten wir es schon vor 20 Jahren fotografiert. Und die Erde musste auch gerade groß genug sein! Je größer unser Netzwerk desto schärfer die Bilder.
Gibt es nicht genügend andere Schwarze Löcher, die man hätte beobachten können?
Aber es gibt nur zwei, die groß und nahe genug sind, dass man sie sehen kann. Da war also auch viel Glück im Spiel. Und 2017, als wir die Beobachtungen gemacht haben, hatten wir auch überall auf der Welt gutes, trockenes Wetter.
Zur Person
Der Radioastronom Heino Falcke (53) wurde in Köln geboren und wuchs in Frechen auf, wo der Vater von drei Kindern bis heute wohnt. Seit 2007 ist er Professor an der Radboud-Universität Nijmegen. Bereits in den 90er Jahren entwickelte Falcke ein Konzept dafür, wie man ein Schwarzes Loch fotografieren kann. Am 10. April 2019 war es dann soweit: Als Vorsitzender des Wissenschaftsrates des Konsortiums Event Horizon Telescope (siehe S. 8) konnte er in Brüssel das erste Bild von einem Schwarzen Loch präsentieren. Als Prädikant der Evangelischen Kirche im Rheinland hält Falcke auch Gottesdienste.
War das technisch sehr anspruchsvoll, diese Teleskope weltweit zusammen zu schalten?
Das erfordert schon Geschick. Es ist auch viel Soziologie dabei, weil man mit Gruppen auf der ganzen Welt zusammenarbeiten muss, und jede Gruppe ihre verschiedene Eigenarten und Vorgehensweisen hat. Wir haben es sehr gut geschafft, in Europa effektiv zusammenzuarbeiten. In Amerika geht es dagegen noch sehr oft darum, wer dominiert. Das funktioniert aber nicht, in so einer globalen Kooperation.
Was hat Sie denn als junger Physiker so an Schwarzen Löchern fasziniert?
Ich wollte immer die Schwerkraft verstehen, denn die ist eine der letzten nicht verstandenen Kräfte und vielleicht die fundamentalste. Ich war schon als Kind jemand, der immer weiter durchgefragt hat: Was ist im Himmel? Und was ist hinter dem Himmel? Und was ist hinter dem, was hinter dem Himmel ist? Ist das unendlich? Ich habe stundenlang nachts wach gelegen, um diese Fragen zu beantworten. In der Physik kommt man bis zu den Schwarzen Löchern und das ist dann die absolute Grenze. Man kommt nicht vor den Urknall und man kommt nicht in Schwarze Löcher hinein, beziehungsweise man käme hinein, kann dann aber nicht mehr davon erzählen. Da lässt uns die Physik in Stich, im Moment jedenfalls noch. Und an dieser Grenze wollte ich arbeiten.
Ein Schwarzes Loch zu fotografieren, das klingt zunächst wie eine Schnapsidee. War es schwer, Leute für diese Idee zu begeistern?
Wir Astronomen sind es ja gewohnt, bekloppte Ideen zu diskutieren. Wir denken relativ weit. Aber natürlich musst du auch mit Argumenten kommen. In meinem Fall musste sich der Gedanke, dass das möglich wäre, erst einmal langsam einschleifen. Auf den ersten Blick klingt das in der Tat nach Science-Fiction, nach Wunschdenken. Wir hatten auch Glück, dass das Schwarze Loch in M87 so riesengroß war. Als ich 1994 meine Doktorarbeit gemacht habe, kamen gerade die ersten Messungen vom Hubble Space Telescope heraus. Laut denen war M87 um den Faktor Drei kleiner, und damit hätten wir es nicht sehen können. Zum Glück waren das systematische Messfehler.
Was noch ausbleibt, ist das Bild vom Schwarzen Loch im Zentrum unserer Milchstraße.
Das war ja damals auch mein Hauptziel und hat die ganze Geschichte angetrieben. Da haben wir noch tolle Daten, die wir noch gar nicht angeguckt haben. Wir werden nächstes Jahr noch mehr Teleskope einsetzen können, unter anderem in Frankreich und in Grönland. Und dann habe ich noch das schöne Projekt in Namibia: Ganz Afrika hat kein Hochfrequenz-Teleskop, dabei hat die Max-Planck-Gesellschaft bereits 1974 in Namibia einen Berg gekauft, um dort Teleskope hinzusetzen. Der Gamsberg ist der zweithöchste Berg im Südwesten Afrikas, ein superflacher Tafelberg, in der Nähe einer der trockensten Wüsten, da hat man wirklich 360 Grad Horizont. Und in Chile steht ein europäisches Teleskop, dass wir dort nicht mehr brauchen. Das wollen wir jetzt auf den Gamsberg holen. Wir freuen uns übrigens über Firmen und Personen, die uns dabei helfen wollen.
Die Annahme ist doch, dass in der Mitte jeder Galaxie ein Schwarzes Loch lauert?
Genau.
Dann übernehmen schwarze Löcher also quasi eine ökologische Aufgabe?
Die sind der große Staubsauger, der zentrale Abfluss. Genau wie die Müllabfuhr beim Rosenmontagsumzug, die hinterher alles aufsammelt, was liegengeblieben ist.
Heißt das, dass am Ende des Universums nur noch Schwarze Löcher übrig bleiben werden?
Im Moment sieht es so aus, als würde das Weltall auf alle Ewigkeit auseinander fliegen und am Ende den Kältetod sterben. Da werden Schwarze Löcher übrig bleiben und Strahlung. Andererseits hat uns das Universum in seiner Entwicklung immer wieder überrascht. Welcher Physiker hätte denn nach dem Urknall vorausgesagt, dass irgendwann der „Kölner Stadt-Anzeiger“ entsteht und wir hier an einem Tisch sitzen und Wasser trinken. Allein die Entstehung von Wasser wäre schon eine sehr ungewöhnliche, visionäre Idee gewesen. Überhaupt, dass Teilchen chemische Verbindungen eingehen, und dann reden diese Moleküle auch noch miteinander und denken darüber nach, wie das Universum entstanden ist. Das Universum denkt also gewissermaßen über sich selber nach. Da wäre man doch in die Klapsmühle gekommen, wenn man das kurz nach dem Urknall vorhergesagt hätte.
Nun hantieren Sie als Physiker ganz nüchtern mit Zahlen, bezeichnen sich aber andererseits als religiösen Menschen…
Ja, aber es braucht doch auch Vorstellungskraft. Wir denken ja auch intuitiv, in Bildern, wir brauchen Modelle, um die Zahlen fassbar zu machen. Ich besitze eben eine religiöse Prägung, die es mir erlaubt hat, weiter zu denken. Religion bedeutet für mich kein Denkverbot. Schauen Sie in die Geschichte zurück: Auch ein Paulus hat Dinge gedacht, die in seiner Zeit revolutionär waren und es vielleicht auch heute noch sind.
Sehen Sie die Physik nie im Gegensatz zu Ihrem Glauben?
Nein, ich habe das nie so empfunden. Die Fragen nach den Ursprüngen, auch nach Gott, sind immer parallel gegangen. Es geht immer um die Frage, wie weit komme ich denn? In gewissem Sinne komme ich mit dem theologischen Denken weiter. Ich kann noch vor dem Urknall denken. Unsere moderne Naturwissenschaft ist aus der Religion entstanden, die war ja erst Teil der Theologie. Wir hatten in China, bei der Jahrestagung der internationalen astronomischen Gesellschaft, eine interessante Diskussion. Ein chinesischer Historiker sagte: Wir hatten bis ins elfte, zwölfte Jahrhundert eine viel bessere Astronomie als ihr. Warum haben wir keinen Galileo, warum haben wir kein Kopernikus hervor gebracht? Das hatte vielleicht mit dem chinesischen Weltbild zu tun. Die Gestirne galten dort als Geister, als Götter – und Götter hinterfragt man nicht. Im christlichen Weltbild dagegen ist Gott der allmächtige Schöpfer, aber die Schöpfung ist gemacht, also kann ich die untersuchen. Und auch versuchen, auf diese Weise den Schöpfer dahinter zu entdecken. Es ist wie im Johannes-Evangelium: Das Wort, der Gedanke steht am Anfang des Urknalls. Für mich sind die Naturgesetze Teil der Schöpfungsordnung. Wenn ich etwas über Naturgesetze lerne, lerne ich auch etwas über die Eigenschaften Gottes. Gleichzeitig denke ich, dass Gott und auch wir mehr sind als nur Materie, die nach den Naturgesetzen funktioniert. Diese Atome fangen auf einmal an zu denken und dabei entsteht etwas Neues, ein Bewusstsein.
Aber Michel Foucault sagt, nur weil wir darüber nachdenken können, dass wir einen Sinn haben, haben wir den nicht a priori.
Genauso kann man sagen, dass die Naturgesetze auch nur Einbildung sind. Die existieren ja auch nicht, sondern sind nur Produkt unserer Fantasie. Kein Atom weiß, dass es Naturgesetze gibt. Trotzdem helfen Sie uns, die Natur zu beschreiben. Und ich glaube, genauso hilft uns auch das Nachdenken über Gott dabei, die Natur zu beschreiben.
Sind Sie mit ihrer Religiosität und ihren Wissenschaftskollegen eine seltene Erscheinung?
Genauso selten oder oft wie sonst auch in der Gesellschaft. Es gibt eine Gruppe christlicher Astronomen. Es gibt ja sogar auch eine Vatikanische Sternwarte – eines der ältesten astronomischen Institute überhaupt. Kopernikus und Kepler waren tief gläubige Menschen. Und Galileo, der durch den einen Papst festgesetzt worden ist, ist durch den anderen Bischof finanziert worden. Ich glaube, wir brauchen eine gesunde Spiritualität, eine gesunde Kirche und eine gesunde Naturwissenschaft, und die müssen immer in der Diskussion bleiben. Eine Naturwissenschaft, die ohne ethisch-moralische und auch spirituelle Grundlagen agiert, wird irgendwann zynisch und menschenverachtend sein. Und es würde auch etwas fehlen im Verständnis dieser Welt.
Jetzt sind sie als Physiker so weit gekommen, wie man kommen kann. Weiter kann niemand sehen. Ist das nicht auch ein bisschen frustrierend?
Ja.
Was fehlt, um weiterzukommen?
Wir können das natürlich noch besser machen. Wir werden irgendwann aus dem Weltraum heraus richtig scharfe Bilder von Schwarzen Löchern schießen. Das jetzt ist ja nur der erste Pinselstrich. Aber es kann sein, dass das tatsächlich die Grenze ist, dass wir da nicht weiterkommen. Zumindest aufgrund der heutigen Physik sieht das so aus. Freilich, immer wenn Leute in der Geschichte der Wissenschaft so etwas sagten, haben sie kurz darauf etwas völlig Neues entdeckt. Aber wenn wir diese Grenze überschreiten, dann würde das wirklich eine radikale Änderung unseres Weltbildes bedeuten.
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