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Uniklinik-Studie„Der Tod ist ein weißer Elefant“ – Wie die Kölner sterben

Lesezeit 5 Minuten

Die Haltung der Palliativ- und Hospiz-Arbeit: Nicht dem Leben Tage geben, sondern den Tagen Leben. Foto: dpa

  1. Die Uniklinik-Studie „Last Year of Life in Cologne“ untersucht, wie Kölner sterben.
  2. Was wird bei einer unheilbaren Krankheit für den Betroffenen und seine Angehörigen im letzten Lebensjahr wichtig? Welche Rolle kommt den Krankenhaus-Ärzten zu? Diese Fragen untersucht Professor Raymond Voltz.
  3. Diana Haß hat sich mit dem Leiter des Zentrums für Palliativmedizin unterhalten.

Wie sterben die Kölner?Etwa zwei Drittel der Menschen in der westlichen Welt versterben nicht plötzlich und unerwartet, sondern erwartbar. Das ist in Köln genauso. Wir haben Angehörige befragt und konnten so ein gutes Bild gewinnen. Die meisten Verstorbenen wünschten sich, Zuhause zu sterben. Tatsächlich ist aber fast die Hälfte im Krankenhaus verstorben.

Wie ist der übliche Verlauf im letzten Lebensjahr?

In 60 Prozent der Fälle wird eine Erkrankung, die auf relativ absehbare Zeit zum Tode führen wird, im Krankenhaus diagnostiziert. Das heißt, dort muss natürlich auch die Kommunikation darüber stattfinden. Und dann geht es im letzten Lebensjahr – ob das nun sechs oder 18 Monate sind - um die innere Haltung. Man kann natürlich nicht exakt voraussagen, wann jemand stirbt. Aber man hat eine Intuition, eine klinische Erfahrung, dass es wahrscheinlich in den kommenden Monaten sein wird.

Diskussion in der Volkshochschule

Am Dienstag, 18. Juni, um 19.30 Uhr findet im Forum der Volkshochschule ein Vortrag von Professor Voltz statt. Dabei stellt er Ergebnisse der Studie zum letzten Lebensjahr in Köln vor. Es folgt eine Diskussion darüber, wie Menschen selbstbestimmt Therapieentscheidungen treffen können.

Weitere Teilnehmer der Diskussion: Norfrid Klug (Angehöriger), Ulrike Lenhart (Hospizdienst-Koordinatorin), Ursula Thaden (Hausärztin und Palliativmedizinerin).

Raymond Voltz (55) ist Neurologe und Gründungsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin. Er leitet seit 2004 das Institut für Palliativmedizin.

VHS-Forum, Cäcilienstraße 29-33, Eintritt frei

Wie verbringen Menschen ihre letzte Zeit?

In 85 Prozent der Fälle wird für sie das Krankenhaus zur wesentlichen Anlaufstelle. Sie kommen von Zuhause ins Krankenhaus, von dort in die Kurzzeitpflege oder nach Hause, dann wieder ins Krankenhaus. Knapp die Hälfte aller Sterbebegleitung passiert im Krankenhaus. Bei der Frage nach ihrer Zufriedenheit bewerten die Angehörigen jedoch die Intensiv- und Allgemeinstationen am schlechtesten.

Woran liegt das?

An vielem. Wie wird vorne kommuniziert, beginnend mit der Diagnose einer zum Tode führenden Erkrankung. Da wird meist zu spät und nicht offen genug kommuniziert. Die Angehörigen empfinden es oft nicht als so würdevoll, wie die Diagnose kommuniziert wird. Wir müssen da noch weiter in die Tiefe gehen. Auch empfinden nicht alle Angehörigen die Überweisungen ins Krankenhaus als sinnvoll. Und auch mit der Sterbebegleitung im Krankenhaus sind viele nicht zufrieden.

Es fällt nicht leicht, über den Tod offen zu sprechen…

Das ist der Kern- und Angelpunkt. Der Tod ist der weiße Elefant im Raum.

Jeder sieht ihn, keiner benennt ihn.

So ist es! Das fällt in der Familie besonders schwer. Da brauchen Sie einen professionellen Vermittler. Jemand, der den weißen Elefanten, den alle sehen, auch benennt. Jetzt nicht so in dem Sinne: Sie sind in drei Wochen tot. Aber in dem Sinne: Es könnte sein. Ganz wichtig ist die Aussage: Wir lassen Sie nicht alleine und wir haben auch Netzwerke, die Sie auch bis zuletzt Zuhause betreuen können. Das wollen die meisten Menschen. Die wollen nicht falsche Hoffnungen hören. Aber es ist schwer, sich auszudrücken. Denn den weißen Elefanten, den sprechen auch die nicht so geübten Professionellen nicht gerne an.

Warum ist das aus Ihrer Erfahrung so?

Das ist eine Frage des Bewusstseins und der Übung. Vielleicht auch die Frage, ob es professionell ist, Emotionen anzusprechen.

Ist es professionell?

Aus meiner Sicht natürlich. Aber es kann auch falsch verstanden werden. Und genau die Diskussion darüber findet innerhalb der Studiengruppe statt. Es geht nicht darum, dass wir mit dem Finger auf jemanden zeigen, sondern dass wir neue Systeme schaffen. Der Auftrag eines Akutkrankenhaus ist schließlich zu heilen. Das will ich nicht missen. Aber die Reflexe sind noch nicht ausgeprägt: Wie erkenne ich eine nicht mehr zu heilende Situation, wie sind dann meine Abläufe? Für den Fall einer unheilbaren Krankheit gibt es noch keine Routinen und Reflexe. Ich glaube, das müssen wir einführen.

Wie könnte das gehen?

Die wollen wir mit der international anerkannten Surprise-Question anregen. Sie lautet: Würde ich mich wundern, wenn der Patient innerhalb der nächsten zwölf Monate verstirbt? Allein diese Frage einzuführen, würde das Bewusstsein verändern.

Wie geht es jetzt weiter?

Wir werden jetzt konkret auf Allgemeinstationen gehen und dort versuchen, mit neuen Routinen den Beginn der Diagnosestellung eines letzten Lebensjahrs zu verbessern und klar zu machen, welche Relevanz das hat.

Wie reagieren Menschen darauf, wenn ihr Tod plötzlich möglicherweise näher rückt?

95 Prozent der Menschen sind sehr vernünftig. Wenn mir jemand offen sagt: Ich würde mich nicht wundern, wenn Sie Weihnachten nicht erleben, dann fange ich doch an zu denken: Ja, Mensch, was mach ich denn jetzt? Im optimalen Fall findet dann ein offenes Gespräch mit dem Arzt statt und er zeigt, welche Hilfen und Unterstützung es gibt. Was gegen Schmerzen gemacht werden kann, welche Unterstützung es für die Angehörigen gibt. Dann ist das doch eine Alternative.

Was bewirkt es, wenn das Lebensende so eingeläutet wird?

Es hinterlässt die Angehörigen später oft zufrieden. Das erlebe ich auch immer wieder bei den Festen bei uns auf der Palliativstation, wenn die Angehörigen eines Verstorbenen relativ frohen Mutes hierhin zurückkommen. Da wundere ich mich manchmal richtig. Bei der Gesamtbegleitung im letzten Lebensjahr müssen wir auch die Angehörigen mitdenken.

Gibt es so etwas wie ein gutes Sterben?

Es gibt das stimmige Sterben und das friedliche Sterben. Sehr häufig erleben wir die Sterbephase friedlich. Da ist es dann viel wichtiger, auf die Angehörigen miteinzugehen. Eben weil diese letzten Stunden – ich kenne das auch aus eigener Erfahrung mit meinem Vater – einem so im Kopf hängenbleiben. Und deswegen glaube ich, tun wir mit Palliativ und Hospiz auch etwas für die Gesellschaft, indem das weitergegeben wird. Wenn das Sterben verstehbar wird für die Angehörigen, dann können sie gut weiterleben.