AboAbonnieren

Serie „Spurensuche“Franz von Papen und das Geheimtreffen in Köln-Lindenthal

Lesezeit 5 Minuten
Bei den Nürnberger Prozessen war er angeklagt (Foto oben: zweite Sitzreihe von unten, rechts), wurde aber freigesprochen.

Bei den Nürnberger Prozessen war er angeklagt (Foto oben: zweite Sitzreihe von unten, rechts), wurde aber freigesprochen.

Wo hat Napoleon genächtigt? Wo stieg Max Schmeling in den Ring? In unserer Serie „Spurensuche“ stellen wir Personen und ihre Zeit in Köln vor, Orte ohne Gedenktafeln. Anselm Weyer widmet sich in dieser Folge Franz von Papen.

Franz von Papen, der 1932 für ein paar Monate Reichskanzler gewesen war, saß am Mittwoch, 19. November 1952, in der Fürst-Pückler-Straße 40 und weinte. Die anwesenden Politiker und Journalisten schauten betreten zu Boden. Ihr Mitleid hielt sich jedoch in Grenzen. Sie wussten, was kaum zwanzig Jahre zuvor auf Betreiben von Papens nur wenige Meter entfernt seinen Anfang genommen hatte.

Es hatte eine undichte Stelle gegeben. Deshalb blieb nicht unbeobachtet, wer da an jenem nasskalten Mittwoch, 4. Januar 1933, in der Villa des Kölner Bankiers Kurt Freiherr von Schröder, Stadtwaldgürtel 35, zu einem Geheimtreffen zusammenkam. Da war zunächst einmal Reichskanzler a.D. Franz von Papen. Dieser zürnt seinem Amtsnachfolger, Reichskanzler Kurt von Schleicher, und liebäugelte hinter dessen Rücken mit seiner eigenen Rückkehr an die Macht.

Der neue Reichskanzler Adolf Hitler (l) und Franz von Papen (M) auf dem Weg zur Eröffnungssitzung des neuen Parlaments in der Potsdamer Garnisonkirche am 21. März 1933.

Der neue Reichskanzler Adolf Hitler (l) und Franz von Papen (M) auf dem Weg zur Eröffnungssitzung des neuen Parlaments in der Potsdamer Garnisonkirche am 21. März 1933.

Kanzler werden wollte auch Adolf Hitler, dem das Wasser gerade bis zum Hals stand. Bei der letzten Reichstagswahl hatte die NSDAP Stimmen verloren. Nicht wenige Zeitungen spekulierten, der „braune Spuk“ habe damit seinen Höhepunkt überschritten. Zudem hatte Hitler parteiinterne Konkurrenz abzuwehren. Reichskanzler von Schleicher hatte Gregor Strasser vom linken NSDAP-Flügel gerade vertraulich angeboten, er könne doch am angeschlagenen Hitler vorbei in ein Regierungskabinett eintreten. Auch die finanzielle Lage der Nationalsozialisten war prekär. Hitler lief die Zeit davon. Da kam ihm das von Franz von Papen vorangetriebene Treffen in Köln-Lindenthal wie gerufen. Hitler, offiziell auf dem Weg zu einem Wahlkampfauftritt in Detmold, erschien in Begleitung von seinem Wirtschaftsberater Wilhelm Keppler, Rudolf Heß und Heinrich Himmler. Die blieben im Nebenzimmer, während sich Hitler und Papen besprachen. Allein Gastgeber Schröder war noch im Raum, als Papen und Hitler mehrere Stunden über Möglichkeiten der Zusammenarbeit verhandelten.

Fürst-Pückler-Straße 40

Eine historische Adresse: Die Fürst-Pückler-Straße 40

Als die geheime Unterredung publik wurde, war die Aufregung allenthalben groß. Aber was kurz zuvor noch undenkbar gewesen war, eine Kanzlerschaft Hitlers, wurde salonfähig. Dank seines Einflusses bei Reichspräsident Hindenburg erreichte Papen, dass dieser seine Skepsis gegen einen Kanzler Hitlers verlor. Plötzlich überschlugen sich die Ereignisse. Schon am Ende des Monats, am 30. Januar 1933, war Hitler Kanzler und Franz von Papen sein Vizekanzler. Das Treffen in Köln fand Einzug in die Geschichtsbücher als Geburtsstunde des Dritten Reiches.

Der Versuch, sich zu rechtfertigen

Zwanzig ereignisreiche Jahre später hatte nun Franz von Papen eine Rechtfertigungsschrift mit dem Titel „Der Wahrheit eine Gasse“ veröffentlicht, die er auch in Köln vorstellte. „Er hält sich ausgezeichnet, zeigt die alte Mischung von Vitalität, Eleganz und Nonchalance“, berichten die Zeitungen über Papens Auftritt beim Mittwochs-Gespräch im literarischen Salon, nach einem Wandbehang im Veranstaltungsort, zwei über Eck liegenden Räumen in der in der Privatwohnung des Kölner Bahnhofsbuchhändlers Gerhard Ludwig, „Der grüne Teppich“ genannt. „Unter dem weiß gewordenen Haar strahlt ein frisches Gesicht; und er erklärt, dass er niemals ein Nazi gewesen, niemals mit den Zehn Geboten in Konflikt geraten sei und dass sein politischer Antrieb ausschließlich in dem Wunsch bestanden habe, sich seinem Volke nützlich zu machen.“

Diese Aussagen mussten Widerspruch provozieren. Da half wenig, dass Papen einräumte, sein politisches Konzept habe versagt. Er sei der festen Überzeugung gewesen, er könne Hitler so in Kompromisse einwickeln, dass der zur Diktatur Entschlossene sich „fügen“ müsse. Dies sei eben sein Irrtum gewesen.

Unter dem weiß gewordenen Haar strahlt ein frisches Gesicht; und er erklärt, dass er niemals ein Nazi gewesen, niemals mit den Zehn Geboten in Konflikt geraten sei.
Aus einem Bericht über eine Pressekonferenz Papens 1952

Was schwadronierte dieser auf ganzer Linie gescheiterte Politiker von Irrtümern, fragte irritiert der versammelte kleine Kreis von Politikern und Journalisten, darunter auch der damalige Herausgeber der Rundschau, Dr. Reinhold Heinen. Fehleinschätzung mag gewesen sein, sich zum Steigbügelhalter Hitlers hergegeben zu haben. Warum aber habe Papen nicht von Hitler gelassen, als klar war, wohin Deutschland steuerte? Warum habe er nach dem blutigen Röhm-Putsch am 30. Juni 1934, als unter anderem Kurt von Schleicher ermordet worden war und Papen selbst tagelang unter Hausarrest gestanden hatte, „seinem Führer“ eine Ergebenheitsadresse geschickt? „Damals saßen zwei meiner Mitarbeiter im Zuchthaus“, entgegnete Papen, „ich wollte sie herausholen.“

Vergeblich. Beide wurden ermordet. Aber warum hatte er auch danach noch Hitler öffentlich gelobt und sich von ihm zum Botschafter machen lassen, in Wien und Ankara? Er habe verhindern wollen, was verhindert werden konnte, erwiderte von Papen. Das sei aber nicht sonderlich viel gewesen, fiel der lapidare Kommentar aus. Papen ließ all diese Vorwürfe an sich abprallen und ging dann zum Angriff über. „Er schreckt nicht vor einem Auftritt zurück, den er offenbar für absolut entwaffnend hält, erregt sich, seine Stimme zittert“, berichten die Zeitungen, „er appelliert an die menschliche und christliche Anständigkeit, fleht, dass man ihn endlich in Frieden lassen solle, ihn den alten Mann – und schließlich rollen ein paar Tränen.“ Er allein sei doch in die Höhle des Löwen gegangen, zu Hitler, um ihn zu überwinden.

Ein fataler Irrtum

„In zwei Monaten haben wir Hitler in die Ecke gedrückt, dass er quietscht!“, hatte Papen anfangs noch getönt. Ein fataler Irrtum. Doch auch nachdem das Ermächtigungsgesetz 1933 den Grundstein für eine Diktatur gelegt hatte, brüstete sich von Papen mit seiner Rolle beim Aufstieg Hitlers. „Die Vorsehung hat mich dazu bestimmt, ein Wesentliches zur Geburt der Regierung der nationalen Erhebung beizutragen“, lobte sich von Papen am 9. November 1933 in einer Rede vor der Arbeitsgemeinschaft Katholischer Deutscher in der Messehalle Köln. Und am ersten Jahrestag des Kölner Treffens, schickte Papen Schröder ein Telegramm: „Gedenke heute in Dankbarkeit Ihrer und Ihres gastlichen Hauses, in dem die Grundlage für die umwälzenden Geschehnisse des letzten Jahres gelegt wurde.“

Bei den Nürnberger Prozessen wurde er freigesprochen. Und obwohl er in einem anderen Verfahren am 24. Februar 1947 als einer der „Hauptschuldigen“ an den Verbrechen des Nationalsozialismus zu acht Jahren Arbeitslager verurteilt wurde, kam er 1949 vorzeitig frei. Weder im Pressegespräch in Köln noch an anderer Stelle übernahm er jemals wirklich Verantwortung. Er starb am 2. Mai 1969 mit 89 Jahren