Mitte August trifft der 1. FC Köln in der ersten DFB-Pokal-Runde auf den VfL Osnabrück. Tobias Schweinsteiger, Bruder von Weltmeister Bastian, hat die Niedersachsen zum Zweitliga-Aufstieg geführt.
Trainer von Zweitliga-Aufsteiger VfL OsnabrückWie Tobias Schweinsteiger aus dem Schatten des Bruders tritt
Fangen wir mit dem nahe liegenden an. Ja, er ist der Bruder von Bastian Schweinsteiger, Weltmeister und Bayern-Legende, der Star, den alle kennen. Da wirkt der Bruder auch dann klein, wenn er der ältere ist. „Der Bezug ist immer da“, sagt Tobias Schweinsteiger, „aber es macht mich nicht schlechter, dass mein Bruder so gut ist.“ Punkt. Das war´s zu dem Thema. Ist jetzt der Blick frei auf einen jungen, frischen Trainer, der auf seiner ersten Station als Chefcoach in Deutschland aufgefallen ist? Und zwar nicht nur durch den Erfolg, den er in der 3. Liga mit dem VfL Osnabrück hatte, dem Gegner des 1. FC Köln in der ersten DFB-Pokal-Runde Mitte August.
Es war ein Trainerwechsel der ungewöhnlichen Art. Der Fußballlehrer Daniel Scherning hatte nach dem siebten Osnabrücker Abstieg aus der 2. Bundesliga im Sommer 2021 einen beachtlichen Neuanfang hingelegt und führte sein Team als Mitfavorit in die Saison 2022/23. Die Mannschaft stand auf den langjährigen Co-Trainer von Steffen Baumgart; ein Kumpeltyp mit mutiger, offensiver Spielidee. Dann war er nach vier Spielen weg. Auf und davon, weil ihn sein Heimatverein Arminia Bielefeld gerufen hatte, im Abstiegskampf der 2. Bundesliga.
Der Weg vom Co-Trainer zum Cheftrainer
Die Mannschaft war schockiert über den Verlust der Bezugsperson, der Verein clever genug, um eine Ablöse von über 300 000 Euro herauszuholen. Mit der Suche nach einem neuen Trainer ließ sich Sportdirektor Amir Shapourzadeh zwei Wochen Zeit, ehe er Tobias Schweinsteiger präsentierte.
„Ganz ehrlich: Ich kannte ihn gar nicht“, gab Top-Scorer Ba-Muaka Simakala später zu. Und so ging es den meisten, doch Shapourzadeh war sich sicher, wen er da an Bord geholt hatte: „Ich habe von Anfang an gemerkt, dass in diesem Co-Trainer ein Cheftrainer steckt.“ Auch Schweinsteiger war sofort gepackt: „VfL, Bremer Brücke – das hat mich emotional total angesprochen, deshalb bin ich in die Analyse gegangen. Wenn das Herz nicht ja gesagt hätte, hätte ich mich nicht mit den Details beschäftigt.“
Nach über drei Jahren als Co-Trainer in der 2. Bundesliga, erst beim Hamburger SV und dann beim 1. FC Nürnberg, war die Zeit reif für den Schritt in die Cheftrainer-Rolle: „Ich fühlte mich bereit und war gut vorbereitet.“ In Osnabrück nahm er sich Zeit, Mannschaft und Trainerteam kennenzulernen; er wollte sich nicht auf Urteile Dritter verlassen, sondern sich sein eigenes bilden. Schweinsteiger hätte branchenüblich einen Assistenten mitbringen können, doch er entschied sich für das Duo mit Tim Danneberg und Danilo de Souza. Als de Souza unbedingt seinem Chef Scherning nach Bielefeld folgten wollte, holte er den langjährigen FC-Jugendtrainer Martin Heck.
Professioneller Skifahrer, dann Fußballprofi, über Umwege nun Trainer
„Es braucht eine Weile, bis man einen neuen Trainer kennengelernt hat und Vertrauen aufbaut“, sagt Schweinsteiger, „die Jungs wussten bald, was ich verlange und für welche Werte ich stehe.“ Um die zu erklären, greift er zur Kaffeetasse. Es geht um Verantwortung für die Mannschaft, das Klima im Team. „Das fängt bei Kleinigkeiten an – zum Beispiel bei der simplen Frage: Räume ich meine Kaffeetasse in die Spülmaschine oder lasse ich sie stehen?“, sagt Schweinsteiger, „daraus leitet sich viel ab: Wie übernehme ich Verantwortung für die ganze Gruppe? Wie gehe ich mit eigenen Enttäuschungen um? Wie regeln wir Konflikte?“
Die Leistungen waren in den ersten Monaten unter Schweinsteiger besser als die Ergebnisse, deshalb blieb der Coach gelassen. Nach dem 1:4 beim Topteam in Elversberg rief er dennoch den Abstiegskampf aus und nahm der Mannschaft damit den Druck. Eine Woche später gelang dem VfL beim 3:2 gegen den Halleschen FC einer von sieben Wendesiegen.
Seit jenem Tag gewann der VfL 18 Spiele, verlor nur noch vier Mal bei drei Unentschieden; als beste Rückrundenmannschaft und als erfolgreichstes Team das Jahres 2023 legten die Osnabrücker eine sensationelle Aufholjagd hin: Seit dem Dienstantritt von Schweinsteiger am 30. August 2022 holte der VfL mehr Punkte als jeder Drittligist in diesem Zeitraum.
Am letzten Spieltag wurde der VfL seinem Ruf als Drama-Queen gerecht, denn in den letzten drei Minuten der Nachspielzeit machte das Team an der brodelnden Bremer Brücke gegen Borussia Dortmund II aus einem 0:1 einen 2:1-Sieg, der den Traum vom siebten Aufstieg in die 2. Bundesliga doch nach wahr werden ließ.
Tobias Schweinsteiger als Gesicht des Aufstiegs
Tobias Schweinsteiger ist das Gesicht dieses Aufstiegs; mit dieser Feststellung setzt man niemanden von denen zurück, die dieser Teamplayer stets nennt, wenn er nach Ursachen des Erfolgs gefragt wird. Er ist das sportliche Master-Mind, der sich das fachliche Detailwissen der modernen Trainingsarbeit lernbegierig angeeignet hat und mit eigenen Erfahrungen mischt; er kann beides: Kopf und Bauch, Theorie und Praxis.
Dabei ist er keiner der stromlinienförmigen Karrieristen auf den Trainerbänken, die bei erstbester Gelegenheit den „nächsten Schritt“ gehen wollen. „Ich hatte Bock darauf, nach Osnabrück zu gehen und es fühlt sich gut an, hier zu sein. Emotional und rational passt hier vieles.“
Seinen Vertrag hat er verlängert, ohne Ausstiegsklausel. Mal sehen, wie es weitergeht. Tobias Schweinsteiger ist gerade erst gestartet in seine dritte Karriere im Sport: Professioneller Skifahrer im deutschen B-Kader war er, dann Fußballprofi über Umwege, nun Trainer.
Er ist ein Talent, er fällt auf - durch den Fußball, den er spielen lässt, und durch seine Art, mit Menschen umzugehen. Kann sein, dass er noch viel anpackt und erreicht als Trainer – aber nur, wenn er Bock drauf hat, wie er es sagen würde. Kann sein, dass dann eines Tages Bastian Schweinsteiger sagt: „Ja, ich bin der Bruder von Tobias.“