Der angehende Abiturient aus Köln-Porz ist ein Phänomen im deutschen Schiedsrichter-Wesen.
Für den Amateurfußball im Dauereinsatz258 Spiele in einer Saison – Vedat Mutlu ist Kölns Ausnahme-Schiedsrichter
Am vergangenen Sonntag erlebte Vedat Mutlu einen vorläufigen Höhepunkt seiner zumindest in Jahren gemessen jungen Schiedsrichter-Karriere. In Overath leitete der 19 Jahre alte Kölner die Bezirksliga-Partie des TuS Marialinden gegen die DJK Südwest Köln (1:3) – sein erst zweites Spiel in dieser Klasse. Eine Gelbe Karte, keine großen Probleme. Mutlu ist mit seiner Leistung zufrieden, der Schiedsrichter-Beobachter des FVM notierte in seinem Bericht ebenfalls keine Mängel – sein Ergebnis fällt mit 245 Punkten für ein Debüt in einer neuen Spielklasse überdurchschnittlich gut aus.
Alles andere wäre auch eine Überraschung gewesen. Denn Vedat Mutlu ist ein Phänomen im Kölner Fußballkreis. Während seiner bislang erst vierjährigen Schiedsrichter-Laufbahn hat der junge Mann aus Porz bereits über 450 Spiele geleitet – so viele wie andere Unparteiische in einer jahrzehntelangen Karriere.
In der Saison 2021/22 verbrachte Mutlu mehr Zeit auf dem Platz als fast alle seiner etwa 50.000 Schiedsrichter-Kollegen und -Kolleginnen aus ganz Deutschland: Der Schüler kam in 258 Partien zum Einsatz, durchschnittlich also fast sechs Spiele pro Wochenende. Nur zwei Referees konnten bundesweit noch mehr Partien für sich verbuchen.
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Kölner Schiedsrichter Vedat Mutlu spendet einen Teil seiner Einkünfte
Die zwei häufigsten Fragen sind „Wie?“ und „Warum?“. Rein organisatorisch klingt es von den Schilderungen des 19-Jährigen gar nicht mal kompliziert. Zunächst habe er seine ohnehin für ihn vorgesehenen Partien gepfiffen. Dann, so berichtet Mutlu in etwas schüchterner und gleichzeitig trockener Manier, „habe ich mich sehr, sehr oft für Spiele beworben, für die andere Schiedsrichter abgesagt hatten“.
Damit konnte er auch noch sein Taschengeld aufbessern. Für einen Einsatz gibt es zwischen 25 und 50 Euro Aufwandsentschädigung. Einen Teil seiner Einkünfte spendet Mutlu regelmäßig – zuletzt für eine Hilfsorganisation mit Fokus Afrika sowie die Erdbebenopfer in der Türkei. „Man muss sich nur einmal klarmachen, wie gut wir es hier haben“, sagt Mutlu.
Ivan Mrkalj, Chef der Schiedsrichter-Talentförderung im Fußballkreis Köln und der einzige Regionalliga-Referee der Stadt, formuliert es so: „Vedat ist das Paradebeispiel eines komplett motivierten Schiedsrichters, der dazu auch noch Talent und soziales Engagement mitbringt.“ Weil Mutlu im Kalender-System ständig als verfügbar angezeigt wurde, habe er im Laufe der Zeit immer mehr Spiele zugewiesen bekommen. „Und wenn Spiele zu vergeben waren, hat er immer als Erster aufgezeigt. Er ist mit dem Fahrrad kreuz und quer für die Spiele durch die Stadt gefahren – von Porz nach Worringen zum Beispiel. Das ist der Wahnsinn, gerade mit der Doppelbelastung mit der Schule“, lobt Mrkalj.
Klassenlehrer holte Vedat Mutlu in die Schiedsrichterei
Auch das „Warum“ kann Mutlu einleuchtend beantworten. „Es ist mein Hobby Nummer eins“, sagt er. „Es ist ein schönes Gefühl, ein wichtiger Teil des Fußballs zu sein und Verantwortung zu tragen.“ Begonnen hatte alles vor vier Jahren in einer Projektwoche seiner Schule. Sein damaliger Klassenlehrer Christian Martinet, ebenfalls Schiedsrichter aus Köln, wollte in Zusammenarbeit mit dem Fußballkreis Nachwuchs-Referees gewinnen. Mutlu ließ sich von dem Pädagogen überzeugen: „Am Ende der Woche habe ich den Test bestanden und losgelegt. Seit dem ersten Tag macht es mir großen Spaß.“
Gewalt gegen sich hat Mutlu seitdem erst einmal erlebt, bei einem D-Jugend-Pokalspiel vor einigen Jahren. „Da ist der Vater eines Spielers, den ich wegen einer Notbremse vom Platz gestellt hatte, auf den Platz gestürmt und hat mich geschubst“, erzählt er. „Die Eltern sind oft emotional auf dem Platz. Gerade die, die ihre Kinder für Ronaldo oder Messi halten, und sich durch meine Entscheidungen benachteiligt fühlen. Das ist dann nicht immer angenehm.“ Doch Gewalt-Ausbrüche seien Einzelfälle, betont Mutlu.
Deniz Aytekin und Patrick Ittrich als Schiedsrichter-Vorbilder
Als Jugendlicher hatte er kaum etwas mit Fußball zu tun, nicht einmal die Regeln kannte Mutlu genau. Das änderte sich dank seines Klassenlehrers, der ihn später in die Schiedsrichter-Abteilung von Bayer 04 Leverkusen holte, schlagartig. Heute kann sich der angehende Abiturient kein Leben mehr ohne den Fußball vorstellen. Als Vorbilder nennt er die Bundesliga-Unparteiischen Deniz Aytekin und Patrick Ittrich, „sehr kommunikativ und souverän“, sagt Mutlu. „Da will ich mir etwas abschauen.“
Schiedsrichter in Köln: Stand Mitte August gibt es nach Angaben des Fußballkreises 380 Schiedsrichter in Köln. Neben Vedat Mutlu dürfen noch 22 andere Unparteiische in den Bezirksligen pfeifen. Eine Landesliga-Qualifikation besitzen 16 Referees, in der Mittelrheinliga dürfen sieben Kölner Schiris Spiele leiten. In der Regionalliga kommt aus Köln nur Ivan Mrkalj als Haupt-Schiedsrichter zum Einsatz.
Für seine Eltern sei das zeitintensive Hobby kein Problem – „so lange die schulischen Leistungen passen“. Und das ist der Fall. Beruflich könnte er sich einen Werdegang in der IT-Branche vorstellen, „aber ich weiß es noch nicht genau“. Im kommenden Frühjahr strebt Mutlu sein Abitur im Ferdinand Franz Wallraf Gymnasium in Buchheim an.
Der Weg in die Fußball-Bundesliga ist für Schiedsrichter sehr weit
Die Schiedsrichterei wird trotz des großen Engagements wohl ein Hobby bleiben. Um es bis in die obersten Ligen zu schaffen, bedarf es enorm viel Glück und einiger Zufälle. Doch die Aufstiege in die Landes- und Mittelrheinliga traut sich der 19-Jährige für die nahe Zukunft zu. „Schon hier ist der Flaschenhals enorm eng“, sagt Regionalliga-Referee Mrkalj. „Aber Vedat hat dafür auf jeden Fall das Potenzial.“
Dafür wird er die Zahl seiner Einsätze aber reduzieren müssen. 2022/23 waren es „nur noch“ 140, in der neuen Saison könnten es noch einmal weniger werden. „Qualität vor Quantität“, sagt Mutlu, vor allem mit Blick auf seine Schiedsrichter-Laufbahn. „Bis in die Bezirksliga schafft man es in der Regel mit viel Fleiß. Ab der Bezirksliga kommt man nicht mehr nur durch Schulungen hoch, man muss durch Leistungen überzeugen. Auch für Vedat liegt die Wahrheit jetzt auf dem Platz“, erklärt Ausbilder Mrkalj.