Der 1. FC Köln verlor 1965 im Europapokal gegen Liverpool durch Losentscheid, nachdem das Spiel 2:2 endete.
Vor 60 JahrenAls ein Stück Holz den 1.FC Köln im Europapokal gegen Liverpool stoppte

Wolfgang Weber
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Die Scheibe war aus Holz und so groß wie eine Fünf-Mark-Münze, eine Seite war rot, die andere weiß. Sie sorgte dafür, dass der 1. FC Köln das dramatischste Europapokalspiel seiner Geschichte verlor. Am 24. März 1965 wurde der Wettbewerb, der heute Champions League heißt, zur Lotterie.
Es war der Schlussakt eines historischen Fußball-Dramas, das von Beginn an reichhaltigen Legendenstoff bot. Im Viertelfinale des Europapokals der Landesmeister traf der 1. FC Köln als erster deutscher Bundesliga-Meister im Viertelfinale auf den englischen Titelträger FC Liverpool. Der Wettbewerb war erst neun Jahre zuvor von der UEFA eingeführt worden, doch die Idee des französischen Journalisten Gabriel Hanot hatte die Fußballfreunde in Europa auf Anhieb in ihren Bann gezogen.
Flutlicht, Fernsehen und Flugverkehr machten den Siegeszug möglich und brachte die besten Mannschaften des Kontinents in einem schnörkellosen K.o.-Wettbewerb zusammen. Die Verbreitung des Flutlichts erlaubte Abendspiele in den Wochen zwischen den Liga-Wochenenden, das Reisen wurde durch den rasant wachsenden Flugverkehr schneller und einfacher. Dazu entdeckte das neue Massenmedium Fernsehen den Fußball als Attraktion: Für die 1954 gegründete European Broadcasting Union (EBU) war der Wettbewerb der Meister perfekter Stoff für die Eurovision, die aufwändige Live-Übertragungen für ganz Europa brauchte.
Spiel Köln gegen Liverpool am 24. März 1965 live in zehn Länder übertragen
Auch das Spiel zwischen Köln und Liverpool am 24. März 1965 wurde nach der feierlichen Eurovisions-Hymne live in zehn Länder des Kontinents übertragen, 100 Millionen Menschen sahen so den Showdown eines Duells, das in Hin- und Rückspiel torlos geblieben war, aber zweimal hochklassigen Fußball geboten hatte. Dass das Rückspiel an der Anfield Road erst im zweiten Versuch stattfinden konnte, weil ein plötzlicher Schneesturm die Absage der ersten Ansetzung herbeigeführt hatte, ist trotz der ungewöhnlichen Umstände – die Spieler waren bereits auf dem Platz, mehr als 20.000 Zuschauer schon im Stadion – nur noch eine Randnotiz.
Das ist verständlich angesichts der Dramaturgie des Entscheidungsspiels, das nach dem Punkt- und Torgleichstand vom UEFA-Reglement vorgeschrieben war und an einem neutralen Ort ausgetragen werden musste. Der FC Liverpool – mit vier schottischen Stars im Team – schlug den Hampden-Park in Glasgow vor, der 1. FC Köln wünschte sich das nahe Rotterdam, das – ohne Begründung – den Zuschlag bekam.
Fünf Sonderzüge fuhren nach Rotterdam
Das Interesse an der Partie war in Köln gewaltig: Fünf Sonderzüge mit knapp 4000 Plätzen, Dutzende von Bussen und Tausende von Autos brachten mehr als 20.000 Kölner ins nahezu ausverkaufte Stadion „De Kuip“. Schon zur Pause schien alles verloren: Die Kölner lagen mit 1:2 zurück und hatten einen ihrer besten nicht mehr auf dem Platz. Wolfgang Weber, überragend schon in den beiden ersten Spielen, war nach einem Zusammenprall mit Milne in die Kabine gehumpelt.
Dort bekam der „Bulle“, wie der Jungprofi wegen seines Kampfgeistes genannt wurde, eine schmerzstillende Spritze und unterzog sich einem Belastungstest: Er sprang von der Massagebank, das lädierte rechte Wadenbein hielt – „unter höllischen Schmerzen“, wie es Weber oft beschrieben hat. Die Verletzung wurde als schwere Prellung eingeschätzt und Weber trat zur zweiten Halbzeit wieder an, Auswechslungen waren nicht erlaubt. Tatsächlich war das Wadenbein gebrochen.
„Meine Motivation war, dass ich meine Mitspieler nicht im Stich lassen wollte“, sagte das FC-Idol stets, wenn die Rede auf diesen Abend kam und fügte an: „Aber mit einem gebrochenen Wadenbein sollte man nicht zu oft spielen…“ Fünf Monate fiel Weber danach aus. Das Land Nordrhein-Westfalen spendierte ihm für seinen großartigen Einsatz einen einwöchigen Erholungsurlaub in Bad Münstereifel. In Rotterdam quälte sich der Abwehrspieler Weber als Stürmer über die Runden. Seine Willenskraft war auch ein Signal für Mitspieler und Fans, dazu hatte der Anschlusstreffer von Karl-Heinz Thielen kurz vor der Pause den Kölnern Mut gegeben. Nach dem verdienten Ausgleich durch Hannes Löhr war der deutsche Meister dem Siegtor näher – und erzwang es auch: Doch der von Löhr und Thielen vorbereitete und von Heinz Hornig erzielte Treffer wurde von Schiedsrichter Robert Schaut nicht anerkannt; eine fragwürdige Entscheidung, wie die TV-Bilder zeigen.
Am Ende entscheidet das Los
Auch nach einer hektischen, harten Verlängerung auf aufgeweichtem Rasen stand es 2:2 – und nun sah das UEFA-Reglement den Losentscheid vor. Schaut warf auf dem Platz in der Nähe des Mittelkreises bedrängt von den Mannschaftsführern, Funktionären und Journalisten die rot-weiße Scheibe in die Luft; der Belgier hatte die rote Seite dem FC Liverpool zugewiesen. Beim ersten Versuch blieb die Scheibe senkrecht im morastigen Rasen stecken, erst im zweiten Anlauf fiel die Entscheidung. „Ich möchte jetzt nicht Spielführer sein... es ist eine solche Spannung... Da ist das Los gefallen! Wer gewinnt? Wer gewinnt? Wer ist es? Wer ist es? Wer gewinnt? Wer gewinnt? Muss auch das wiederholt werden? Ja, es muss wiederholt werden! Und… Liverpool gewinnt! Liverpool ist eine Runde weiter! Wenn je eine Mannschaft unglücklich vom Platz gegangen ist, dann die Kölner.“ So kommentierte WDR-Reporter Ernst Huberty atemlos die entscheidenden Sekunden.
Es war nicht der erste und nicht der letzte Losentscheid in der Geschichte des Europapokals, doch kein anderer führte die Ungerechtigkeit dieses Mittels so vielen Menschen vor Augen, nie zuvor war ein derart wichtiges Spiel so entschieden worden. Die Kommentare der Zeitungen und Fachzeitschriften waren einhellig und deckten sich mit dem Ton, den die große „Times“ vorgab: „Es ist wirklich schade, dass ein solcher Titanenkampf durch die lächerliche Los-Prozedur entschieden wurde. Dieses Glücksspiel wird keinem der beiden Vereine gerecht, insbesondere ist der 1. FC Köln nach dieser Leistung zu bedauern.“
Zwischen 1957 und 1970 wurden die Sieger von 17 Duellen in den europäischen Klubwettbewerben auf diese Weise bestimmt. Seit der Saison 1970/71 ist das Elfmeterschießen die letzte Instanz, die in einem deutsch-englischen Duell Premiere hatte: Am 4. November 1970 verlor Borussia Mönchengladbach im Goodison-Park gegen den FC Everton.
Das Spiel von Rotterdam ist in voller Länge und in Ausschnitten mit dem Original-Kommentar von Ernst Huberty bei YouTube zu finden.